Russen hoffen in Syrien auf ein Wunder

Den Amerikanern trauen die Russen keinen effektiven Kampf gegen den "Islamischen Staat" zu, den eigenen Piloten schon

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der erste Tag des Einsatzes der russischen Luftwaffe in Syrien endete mit einer Erfolgsmeldung. Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte Bilder aus der Kanzel russischer Kampfflugzeuge. Im Kommentar zu den Bildern heißt es, es seien "acht Ziele getroffen" und das "Hauptquartier der Terroristen und die Koordinationszentrale komplett zerstört" worden. Westliche Medien dagegen berichteten von zivilen Opfern in der Stadt Homs (Gegen wen richten sich die russischen Luftangriffe in Syrien?).

Der Antrag von Wladimir Putin, "einem Kontingent der Streitkräfte" das Recht zu geben, "außerhalb Russlands" einzugreifen wurde vom russischen Föderationsrat am Montagvormittag mit 162 Stimmen einstimmig angenommen (Russisches Verteidigungsministerium: Russische Kampfflugzeuge haben erste Angriffe in Syrien ausgeführt). "Es geht um Syrien", erklärte Sergej Iwanow, der Leiter der russischen Präsidialverwaltung Sergej Iwanow. Kurze Zeit später folgten die ersten Luftangriffe russischer Kampfflugzeuge.

Eine SU-30, die auch in Syrien stationiert sein sollen. Bild: Alex Beltyukov/CC-BY-SA-3.0

Wie die Zeitung Wedomosti unter Berufung auf einen Vertreter des russischen Verteidigungsministeriums berichtete , sind in Syrien 1.500 russische Soldaten im Einsatz. Eingesetzt würden ausschließlich Offiziere und Zeitsoldaten. Nur wenige würden den Auslandseinsatz verweigern, meinte die Vorsitzende der russischen Soldatenmütter Walentina Melnikowa gegenüber dem Blatt. "Um die Stellen wird man sich schlagen, wegen der hohen Vergütung."

Angst vor IS-Rückkehrern

Sind die Russen Abenteurer? Stürzen sie sich, nur um dem Image einer Weltmacht zu genügen, in eine Schlacht, wie manche westliche Kommentatoren meinen? Für den Kreml und die ihm nahestehenden Zeitungen sieht die Sache anders aus.

Der Leiter der russischen Präsidialverwaltung Sergej Iwanow erklärte nach der Entscheidung des Föderationsrates, der wichtigste Grund für den Beschluss zum Einsatz der russischen Luftwaffe sei "Russlands nationale Sicherheit". Die Zahl der IS-Kämpfer aus Russland und den zentralasiatischen Staaten (Tadschikistan, Kirgistan, Usbekistan, U.H.) wachse "stündlich". Diese Kämpfer seien eine Bedrohung, wenn sie aus Syrien nach Russland zurückkehrten.

Ein Kommentator des Massenblattes Moskowski Komsomolez (MK) beschrieb seine Haltung zu der Entscheidung des Kreml, in Syrien einzugreifen, mit "vorsichtigem Vertrauen".

Immerhin seien Wladimir Putin und der Leiter der Präsidialverwaltung Sergej Iwanow beim Afghanistan-Einmarsch 1979 ja schon 27 und 26 Jahre alt gewesen. Diese Politiker wüssten, was es bedeute, sich in einer Region militärisch einzumischen, "wo traditionell jeder gegen jeden kämpft und wo gewöhnlich eine Logik fehlt".

Einen namentlich nicht genannten Vertreter des Kremls zitiert der MK-Kommentator mit den Worten: "Der Islamische Staat würde Russland in jedem Fall asymmetrisch antworten. Und je länger wir die Entscheidung der Lösung des IS-Problems dort hinauszögern, wo es seinen Ursprung hat, desto stärker würde ihre Antwort sein."

Russische Sicherheitskräfte nennen die Zahl von 5.000 IS-Kämpfern aus Russland und den zentralasiatischen Staaten, die sich dem IS angeschlossen haben. Russische Politologen meinen, der Angriff der Taliban auf die Stadt Kundus zeige, wie groß die Gefährdung Zentralasiens sei. Die Sicherheitsstrukturen der zentralasiatischen Staaten seien Angriffen radikaler Islamisten aus dem Süden "nicht gewachsen", schreibt der MK-Kommentator

"Warum soll Russland gelingen, was Amerika nicht gelungen ist?"

Wladimir Putin erklärte, es würden keine Bodentruppen, sondern nur die russische Luftwaffe eingesetzt und das auch nur solange, "wie die syrische Armee in der Offensive ist". Doch welchen konkreten Erfolg verspricht sich Russland von den Luftschlägen? "Warum soll Russland gelingen, was Amerika nicht gelungen ist?", fragt der Kommentator des Massenblattes MK.

Auf diese Frage hatten die Politologen und Nahost-Experten in einer russischen Talk-Show des "Ersten" Kanals eine Antwort. Die Amerikaner würden die Stellungen der IS gar nicht richtig bombardieren, meinte etwa ein russischer Journalist, der erfolglos versucht hatte, eine Bombardierung zu filmen.

Ein anderer russischer Experte sagte, die Amerikaner verfügten, was die Stellungen des IS betrifft, über eine schlechte Aufklärung. Es gehe vor allem darum, die syrische Armee auszurüsten. Was der syrischen Armee fehle, seien moderne Flugzeuge, Aufklärungs-Technik und lasergelenkte Waffen. Dies werde Russland jetzt zur Verfügung stellen. Wenn syrische Bodentruppen - vielleicht verstärkt durch Bodentruppen andere Staaten der Region - gegen den IS kämpfen und dabei von der russischen Luftwaffe unterstützt werden, könne der IS geschlagen werden.

Ist es überhaupt möglich auf dem Schlachtfeld in Syrien Stellungen des IS und Stellungen der Assad-Opposition auseinanderzuhalten? Das forderte in der Talk-Show des "Erste"-Kanals ein Journalist aus den USA. Ihm entgegnete der Leiter der Talk-Show, Pjotr Tolstoi, Russland werde "alle Terroristen, unabhängig davon, ob sie von Francois Hollande oder Barack Obama mit Waffen über Fallschirme oder moralisch-politisch unterstützt werden, vernichten, zusammen mit dem Islamischen Staat". Nach dem russischen Verständnis ist in Syrien auch Terrorist, wer bewaffnet gegen die Regierung Assad kämpft.

Könnte das Eingreifen der Russen im Chaos enden? Das russische Fernsehen bemühte sich, diese Befürchtung zu zerstreuen. Auch die Amerikaner hätten jetzt eingesehen, dass man den IS nicht ohne Russland bekämpfen kann. Zur Untermauerung dieser These blendeten russische Fernsehsender einen Ausschnitt aus einem CNN-Interview mit US-Außenminister John Kerry ein. In diesem Ausschnitt (ab Minute 1:42) sagt Kerry, dass die USA jetzt nicht mehr den sofortigen Rücktritt von Assad fordern, sondern für einen "kontrollierten Übergang" ohne Macht-Vakuum eintreten.

Außerdem hoben russische Medien hervor, dass bei dem Treffen Putin-Obama ein direkter Draht zwischen den Verteidigungsministerien USA und Russland vereinbart wurde, es also gute Bedingungen für eine Koordination der Luftschläge gegen den IS gibt. Doch neue Vorwürfe von Seiten der USA, Russland bombardiere nicht den IS, sondern die syrische Opposition, zeigen, dass von einer Koordination, die auf dem Schlachtfeld Syrien dringend nötig wäre, nicht die Rede sein kann. Russland hofft offenbar, dass es noch zu einer Koordination der Luftschläge kommt.

Schon einmal hat man eine Niederlage einstecken müssen

Bei den Russen gibt es wegen der militärischen Intervention in Syrien immer noch ein Gefühl der Unsicherheit (Russen lehnen Entsendung von russischen Soldaten nach Syrien ab). Sich mit radikalen Islamisten außerhalb Russlands auf einen Krieg einzulassen, endete schon einmal mit einer schweren Niederlage. 1989 mussten die russischen Truppen nach Jahren Krieg aus Afghanistan abziehen, ohne dass sie die Mudschaheddin niederringen konnten. 15.000 Soldaten der sowjetischen Armee bezahlten die Intervention am südlichen Rand der Sowjetunion mit ihrem Leben.

Als die USA 2001 ihre Intervention gegen die Taliban in Afghanistan starteten, wollte Wladimir Putin keine russischen Soldaten zur Unterstützung der USA schicken. In der öffentlichen Meinung Russlands hätte es für so einen Schritt auch keine Mehrheit gegeben. Zu tief saß der Schmerz des verlorenen Krieges in den 1980er Jahren. Russische Afghanistan-Veteranen warnten die USA damals davor, Bodentruppen zu schicken. Wegen der kampferfahrenen und ortskundigen Taliban solle man besser versuchen, den Feind mit gezielten Schlägen unschädlich zu machen.

Wladimir Putin half den USA 2001 aber auf andere Weise. Er machte seinen Einfluss bei den Regierungen in Tadschikisten, Kirgistan und Usbekistan geltend und sorgte so mit dafür, dass die USA und ihre Verbündeten in diesen drei zentralasiatischen Staaten Militärbasen zur Unterstützung des Afghanistan-Einsatzes einrichten konnten.