Russland: Ausweisung von Mitarbeitern der russischen Botschaft an der UN "extrem unfreundlich"

Nato-Generelsekretär Stoltenberg verkündet den Ausschluss von 20 russischen Vertretern. Bild: Nato

Russisches Außenministerium fordert Veröffentlichung eines britischen "Handouts" über den Skripal-Fall, für Sprecher des Weißen Hauses ist die russische Regierung der Täter

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Es hat etwas länger gedauert, bis sich nun auch die Nato der antirussischen Kampagne nach dem Anschlag von Salisbury gestern anschloss und ihrerseits 7 Mitarbeiter der russischen Vertretung an der Nato die Akkreditierung entzog, 3 weiteren soll keine gegeben werden, weitere 10 Russen werden vom Nordatlantikrat ausgeschlossen. Mittlerweile besteht die Koalition der Willigen aus 25 Staaten, die insgesamt 140 russische Diplomaten ausweisen. Für den Nato-Generelsekretär Jens Stoltenberg scheinen die Zahlen wichtig zu sein. Er macht auch klar, worum es dabei in erster Linie geht: die Einheit der Nato und die enge Koordination, zudem wird der geforderten Erhöhung der Rüstungskosten Nachdruck verliehen.

Die US-Regierung hat beschlossen, insgesamt 60 russische Diplomaten auszuweisen, darunter sind auch 12 Diplomaten der russischen Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York. Das ist ungewöhnlich und geht weit über die Ausweisung von Botschaftsmitarbeitern hinaus, die gewöhnlich verdächtigt werden, getarnte Geheimdienstmitarbeiter zu sein. Der russische UN-Botschafter Vassily Nebenzia nannte dies einen "sehr unfreundlichen" oder "extrem unfreundlichen" Akt. Er vermutet, dass dies gegen die Regeln des Abkommens zwischen der UN und den USA über das UN-Hauptquartier verstößt.

Ob das der Fall ist, erscheint fraglich. In dem Abkommen heißt es, dass die Diplomaten, die ein Land zu seiner Vertretung bei den Vereinten Nationen schickt, dieselben "Privilegien und Immunitäten" genießen wie akkredierte Botschaftsangehörige. Daraus ließe sich ableiten, dass sie ebenfalls des Landes verwiesen werden können, weil sie keine Sonderprivilegien haben. Die USA haben zur Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations (1946) den Passus hinzugefügt: "Persons who are entitled to diplomatic privileges and immunities under the Convention shall not be required to leave the United States otherwise than in accordance with the customary procedure applicable to members of diplomatic missions accredited or notified to the United State." Im Text des Abkommens sind über die zugesicherte Immunität hinaus keine Bedingungen für eine mögliche Ausweisung seitens der USA für UN-Botschaftsangehörige angegeben. Die Personen genießen Immunität in ihren offiziellen Aktivitäten, aber nicht für Tätigkeiten, die sie außerhalb ihres Aufgabenbereichs durchführen.

RT zitiert den russischen Botschafter, der den USA "Missbrauch der Rechte und Privilegien als gastgebendes Land" vorwirft, wenn russische Diplomaten ausgewiesen werden, der Zugang zu russischem diplomatischen Eigentum versperrt wird, Visa für Botschaftsmitarbeiter verweigert und andere "unfreundliche Schritte" ausgeführt werden.

Nikki Haley, die US-Botschafterin an den Vereinten Nationen, die gerne hart auftritt, warf den "12 Geheimdienstmitarbeitern" vor, sie hätten ihre Aufenthaltsprivilegien "missbraucht" und "Spionagetätigkeiten" ausgeführt, die der nationalen Sicherheit der USA zuwiderlaufen. Sie macht klar, dass es dabei auch um Syrien und die Ukraine geht: "Neben Russlands destabilisierendem Verhalten auf der Welt wie seiner Teilnahme an den Gräueltaten in Syrien und seinen illegalen Aktionen in der Ukraine, hat es nun eine chemische Waffe innerhalb der Grenzen von einem unserer engsten Alliierten eingesetzt. Hier in New York nutzt Russland die Vereinten Nationen als sicheren Hafen für gefährliche Aktivitäten innerhalb unserer Grenzen."

Auch vom Weißen Haus hieß es, die 12 Botschaftsmitarbeiter hätten wegen Spionageaktivitäten ihr Aufenthaltsprivileg verloren. Insgesamt gebe es in den USA 100 russische Botschaftsmitarbeiter, die für die Geheimdienste arbeiten. Mit der Ausweisung von 60 reduziere man die russische Spionage beträchtlich - was ausspioniert worden sein soll, bleibt allerdings im Dunkeln. Auf die Frage, warum dann nicht gleich alle des Landes verwiesen wurde, heißt es, dass dies erst einmal ein Signal sei, auf das weitere Schritte folgen könnten.

Nebenzia weist dies natürlich zurück. Die Mitarbeiter würden ihre Aufgaben ausschließlich innerhalb der UN ausführen. Als Gastland der UN hätten die USA kein Recht, in die Arbeit der Vereinten Nationen einzuwirken, und eine besondere Verpflichtung, die Privilegien und Immunität der Botschaftsangehörigen der anderen Länder zu schützen.

US-Regierung apodiktisch: "Die russische Regierung hat einen Angriff ausgeführt"

Auffällig ist, dass die Vertreter der US-Regierung im Unterschied zu anderen Regierungen wie der deutschen nicht einmal mehr von einem wie auch immer begründeten Verdacht sprachen, sondern sich zweifelsfrei festgelegt haben. Der Anschlag auf den russischen Doppelagenten und seine Tochter wird dabei zu einem Angriff auf den britischen Staat aufgewertet: "Am vierten März", sagte gestern ein Sprecher des Weißen Hauses, "hat die russische Regierung einen Angriff auf den engsten Verbündeten Amerikas ausgeführt." Russland wird vorgeworfen, dass dies nur eine weitere "bösartige Geringschätzung der Souveränität und Sicherheit von Ländern weltweit" sei, überdies habe die russische Regierung wiederholt versucht, "westliche Institutionen zu untergraben und in Misskredit zu bringen".

Während der Pressekonferenz erwähnten die Sprecher des Weißen Hauses keine näheren Beweise für die Verantwortung der russischen Regierung. Man habe sich Großbritannien angeschlossen, so das Hauptargument, weil Russland jede Schuld von sich gewiesen habe und die üblichen Nebelkerzen verbreite. Auf die Frage, ob die USA unabhängig von den Briten den Fall untersucht habe, wurde nicht eingegangen, betont wurde aber, dass man hinter der Entscheidung der britischen Regierung stehe, Russland keine Proben des Gifts zu übergeben. Die Begründung: Das würde nicht zu einer Klarstellung führen.

Gleichzeitig wirft man der russischen Regierung aber vor, nicht konstruktiv mitzuarbeiten. Seltsam war auch, dass die britische Regierung es lange hinausgezögert hat, die OCWP einzuschalten und Proben zu überreichen. Erst am 14. März, 10 Tage nach dem Anschlag, wandte sich die britische Regierung an das OPCW.

Warum veröffentlichen Washington und London nicht die Beweise für die Schuld Moskaus?

Das russische Außenministerium fordert in einerm Handout hingegen Großbritannien auf, den Anschlag als Terroranschlag einzustufen und aufzuklären und listet neben dem Vorwurf, keine Proben zu erhalten, eine ganze Liste an angeblich offenen Fragen auf, auf deren Erklärung man durch die OPCW-Untersuchung hoffe. Nebenbei wird darauf verwiesen, dass Julia Skripal russische Staatsangehörige ist, weswegen eine Einbeziehung Russlands nach der OPCW erforderlich wäre.

Gestern wurde vom russischen Außenministerium die Botschaften Großbritanniens und der USA gebeten, Informationen über ein Handout der britischen Regierung über den Skripal-Fall weiterzugeben. Der amerikanische Botschafter Jon Hintsman hatte in einem Interview mit Tass und Kommersant von einem solchen Handout gesprochen, das die Regierungen sich zugeschickt hätten, um "Beweise" für den Fall aufzubauen. Der Inhalt sei auch gegenüber der Öffentlichkeit verschlossen geblieben, obgleich hier angeblich die Informationen enthalten seien, die "die Verwicklung des russischen Staates in ein solch schreckliches Verbrechen beweisen".

Huntsman hatte gesagt, dass man sich die Informationen anschauen solle, "die von Großbritannien veröffentlicht wurden. Sie haben gute Arbeit geleistet, die Informationen über diesen Vorfall und über historische Vorfälle zu versammeln. Sie haben sie in einem Handout zusammengestellt, daher verweise ich Sie auf das Handout, weil es eine sehr überzeugende Darstellung war."

Offenbar aber wollten die Regierungen diese Informationen nicht öffentlich zugänglich machen. Möglicherweise haben sie beim Vorlauf zum Irak-Krieg gelernt, solche Beweise, die sich als konstruiert und falsch herausstellten, mit der Großbritannien und die USA aber in den Krieg zogen, lieber keiner öffentlichen Prüfung zu eröffnen. Jetzt behauptet man schlicht, dass die russische Regierung verantwortlich sein muss, weil es keine Alternative dazu gäbe.