Russland-Nato-Krise: Entspannt euch mal!

Seite 2: Wer hört eigentlich auf die Ukraine?

Der diplomatische Druck Russlands und das militärische Bedrohungsszenario seien nur eine Seite der Medaille, zugleich nämlich gebe es ja diplomatische Aktionen, sagte der ukrainische Soziologe Wolodymyr Ischtschenko im Interview mit dem Magazin Jacobin. Der Direktor des Zentrums für Gesellschaftsforschung in Kiew bekräftigte, dass "Medienkampagne über eine bevorstehende Invasion, die ihre eigene Logik hat und von unterschiedlichen Interessen angetrieben wird, nicht als objektiver Spiegel russischer Handlungen betrachtet werden sollte".

Das Hauptziel dieser Kampagne sei wahrscheinlich nicht einmal Russland oder die Ukraine, sondern Deutschland, das sich seinen Nato-Verbündeten annähern soll.

Die Ukraine hat diese Kampagne in den westlichen Medien zunächst nicht einmal bemerkt. Sie versuchte dann, die Kampagne auszunutzen, indem sie mehr Waffen und vorbeugende Sanktionen gegen Russland forderte. Erst vor etwa zwei oder drei Wochen begann die ukrainische Regierung, sehr explizite Erklärungen abzugeben, dass die Invasion nicht unmittelbar bevorsteht, dass wir seit 2014 unter russischer Bedrohung stehen und daran gewöhnt sind. (…) Diese westliche Medienkampagne hatte sehr materielle und negative Folgen für die ukrainische Wirtschaft.

Soziologe Wolodymyr Ischtschenko

Kaum wahrgenommen – weil vielleicht weniger aufsehenerregend – werden zudem Appelle zur Deeskalation an beide Seiten. Ein solcher Vorstoß kommt von dem Konfliktforscher und Telepolis-Autor Leo Ensel sowie Ruslan Grinberg von der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Das gegenwärtige "Fahren auf Sicht" aller Akteure reiche nicht mehr, schreiben Ensel und Ginsberg:

"Benötigt wird stattdessen nichts weniger als ein kompletter Neustart in den Beziehungen zwischen dem Westen und Russland. Daher fordern wir vom Westen und Russland, eine neue euroantlantische Sicherheitsstruktur von Vancouver bis Wladiwostok unter Einbeziehung Russlands auf Augenhöhe zu entwickeln", heißt es in dem Appell, den Telepolis heute dokumentiert und der von Regierungen und Bürgern beider Seiten Schritte zur Deeskalation sowie eine kritische Haltung einfordert.