SOKO Braunlicht

Seite 5: Alles andere als "harmlos"

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Das kinderpornographische Material, das auf dem Rechner in der Wohnung in Zwickau gefunden wurde, gilt größtenteils als nicht strafrelevant. Also als "harmlos". Am Beispiel Sebastian Edathy lässt sich belegen, dass auch scheinbar "harmlose" Aufnahmen Persönlichkeiten brechen, Familien und Existenzen zerstören können - selbst dann, wenn die betroffenen Jungen gar nicht gemerkt haben, dass sie fotografiert wurden.

Sexuelle Ausbeutung und Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist ein gravierendes gesellschaftliches Problem. Ein Teilbereich, der sich rasant ausbreitet aufgrund der technischen Möglichkeiten, die das digitale Zeitalter bietet, ist die Kinderpornographie. Hier sind Jungen sehr häufig Opfer.

Konsumenten kinderpornographischen Materials sind vorwiegend männlich, und in allen sozialen Schichten zu finden. So wundert es nicht, dass Kinderpornographie sowohl eine Rolle bei dem NSU-Trio und deren Umfeld spielt, die sowohl als Kundinnen und Kunden in Erscheinung treten, als auch Geld mit Vermarktung kinderpornographischen Materials und Kinderprostitution verdienen.

In Kundenlisten, die dem BKA vorlagen, tauchten aber auch Namen auf hochrangiger Beamter des Bundeskriminalamtes und z.B. der des früheren niedersächsischen SPD-Politikers Sebastian Edathy auf.

2009 richtete das BKA eine Sonderkommission zum Thema Kinderpornographie ein. Wie sich später herausstellen sollte, war ein hochrangiger Beamter dieser Kommission selbst Kunde eines internationalen Händlerrings. Das bei ihm gefundene Material wurde eindeutig als illegal eingestuft.

In der "Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität" in Gießen werden die durch bundesweite Ermittlungen zu Kinderpornographie gewonnen Erkenntnisse gebündelt. Den dort tätigen Beamten fällt auf, dass die Opfer immer jünger werden, dass selbst Videos mit Babys auftauchen.

Seit Jahren versucht die zentrale Ermittlungsstelle die Kinder zu identifizieren, indem das Material an Schulen, im Falle von Kleinkindern oder Babys auch an Kindergärten oder Hebammen, bundesweit verschickt werden. In der Hoffnung, dass im Kollegium jemand eines der Kinder identifizieren kann.

Eine Sisyphus-Aufgabe, die sowohl durch die mangelhafte personelle und technische Ausstattung erschwert wird, als auch durch die Fülle an Material, das zu überprüfen ist:

Während die Polizei bei Hausdurchsuchungen vor ein paar Jahren noch ein oder zwei Computer mitnahm, würde sie heute ganze Serverlandschaften beschlagnahmen. So wie die Speicherkapazitäten wachsen, wächst auch die Zahl der Bilder und Videos." Jedes einzelne Video und jedes einzelne Foto wird von den Beamtinnen und Beamten überprüft.

NDR

Der Fall Edathy

Um eines unmissverständlich vorauszuschicken: Das politische Wirken des ehemaligen niedersächsischen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy soll auf keinen Fall mit dem der NSU-Terrorbande und dem mit ihm verbundenen Netzwerk auf eine Stufe gestellt werden.

Sebastian Edathy galt als integrer Politiker. Von Januar 2012 bis zum 10. Februar 2014 war Edathy Vorsitzender des 2. Untersuchungsausschusses des 17. Deutschen Bundestages "Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund" und Mitglied der entsprechenden Arbeitsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion.

Edathy galt als engagiert, kompetent und nachdrücklich bestrebt, die vielen Ungereimtheiten im Zusammenhang mit den Ermittlungen zum NSU sowie des Thüringer Heimatschutzes aufzuklären. Das bescheinigten ihm ausnahmslos alle in dem Ausschuss vertretenen Politikerinnen und Politiker. Für seine Arbeit wurde er mit dem Genç-Preis für friedliches Miteinander ausgezeichnet.

Er selbst macht sich aber durch sein fragwürdiges "Kunst"verständnis in Form einer Sammel-Leidenschaft von im Internet erwerblicher Fotos unbekleideter (männlicher) Kinder, sogenannter Posings, selbst mit den von ihm politisch bekämpften pädokriminellen Rechts-Terroristen gemein.

Das bei Edathy gefundene Material gilt in Deutschland als nicht strafrelevant, was allerdings nicht für Edathy spricht, sondern gegen die lasche Gesetzgebung. So fordert z.B. der Kinderschutzbund, die Vermarktung und den Konsum von Fotos unbekleideter Kinder grundsätzlich unter Strafe zu stellen.

Händlerringe im digitalen Zeitalter

Im Jahr 2005 wurde die kanadische Polizei auf "Azov Films", einem vom Kanadier Brian Way betriebenen Internet-Versandhandel aufmerksam. Dieser verkaufte über das Internet Coming-of-Age- und "naturistische" Filme, in denen meist nackte minderjährige Jungen zu sehen waren.

"Rare boy-based coming of age films, documentaries, photos, and family naturist films from around the world! You will find controversial writings and feature films, in addition to naturist films suitable for viewing by the entire family!"

(Seltene Jugendfilme (männlicher Jugendlicher), Dokumentationen, plus FKK-Aufnahmen aus aller Welt! Sie werden umstrittene Schriften und Spielfilme finden neben Nacktaufnahmen, geeignet für die gesamte Familie.)

xmarks.com

Unter "coming of age films" werden Filme verstanden, deren jugendliche HeldInnen von grundlegend menschlichen Fragen bewegt werden. Auch Sexualität Heranwachsender kann darin eine Rolle spielen. Im Fall von "Azov Films" ist Sexualität die Grundlage der Aufnahmen.

Mit anderen Worten: Es handelt sich um pornographisches Material. Ob diese sexuellen Handlungen freiwillig oder unter Zwang ausgeführt werden, ob das Einverständnis der Handelnden mit der (weltweiten) Vermarktung der Aufnahmen vorliegt, lässt sich den Filmen häufig nicht entnehmen.

Bei jugendlichen Darstellerinnen und Darstellern würde dazu zudem das Einverständnis der Erziehungsberechtigten benötigt. Die Möglichkeit, dass die Protagonistinnen und Protagonisten zu den Aufnahmen gezwungen wurden, und sie nicht um ihr Einverständnis für deren Verbreitung gefragt wurden, muss bei solchem Material also grundsätzlich in Betracht gezogen werden.

Wir erinnern uns: Auch auf dem PC von Beate Zschäpe wurden solche sexualisierten "Coming of Age"-Filme, sprich Jugend-Pornos, gefunden. Allerdings machte sich niemand die Mühe, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Sich dafür zu interessieren, wer dieses Material vermarktet hat, wo die Aufnahmen entstanden sind, und vor allem: Wer sind die darauf agierenden Personen?

Handelten sie gezwungenermaßen? Wurden sie zur Erstellung weiteren Materials gezwungen? Wo und unter welchen Bedingungen leben sie? Was ist aus ihnen geworden? Diese Fragen stellte übrigens auch im Zusammenhand mit Tino Brandts schwungvollem Kinderhandel niemand.

Mit dem Argument, Zschäpe habe für den Vorwurf "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung", der immerhin zehn Morde und ein Bombenanschlag zur Last gelegt werde, die Höchststrafe zu erwarten, wurden die Pornos ad acta gelegt.

Auch in Kanada sah die Polizei zunächst von Strafverfolgung ab, weil das Material auch nach kanadischer Gesetzgebung nicht als illegal eingestuft wurde. Doch 2010 geriet Way, bzw. "Azov Films" ins Visier rumänischer Ermittler. Und zwar hatte Way den Vertrieb von Aufnahmen gemanagt, die ein Deutscher in Rumänien von männlichen Kindern und Jugendlichen, manche von ihnen nicht älter als 8 Jahre, gemacht hatte, und die von einem rumänischen Gericht als "obszön" und an der "Grenze zu pornographisch" eingestuft wurde.