SPD: Übergangs-Führungstrio Dreyer-Schwesig-Schäfer-Gümbel
Den beiden Ministerpräsidenten werden bessere Chancen auf eine längerfristige Übernahme des Postens eingeräumt als dem hessischen Landesvorsitzenden
Nicht dementierten Medienberichten nach hat eine nicht namentlich aufgeführte "engere Parteiführung" dem Parteivorstand vor seiner Tagung heute Vormittag den "Vorschlag" unterbreitet, die deutschen Sozialdemokraten nach dem Abschied ihrer bisherigen Vorsitzenden Andrea Nahles kommissarisch von einem Triumvirat aus der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Maria Luise Dreyer, der mecklenburg-vorpommerschen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und dem hessischen SPD-Landesvorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel leiten zu lassen. Im Vorsitz der Bundestagsfraktion soll Nahles kommissarisch ihr Kölner Stellvertreter Rolf Mützenich nachfolgen. Die eigentlich für Morgen angesetzte Neuwahl eines Bundestagsfraktionsvorsitzenden wurde abgesagt.
Ebenfalls Absagen gab es von zwei SPD-Politikern, die vorher als kommissarische Interimsparteivorsitzende gehandelt wurden: Finanzminister Olaf Scholz hatte in der ARD-Talkshow Anne Will verlautbart, sein Regierungsamt lasse ihm nicht genügend Zeit, nebenher die Partei zu leiten - und der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil ließ über den Norddeutschen Rundfunk (NDR) verbreiten, er "bleibe furchtbar gern Ministerpräsident in Niedersachsen" und habe "keine anderen Ambitionen".
Vorzüge und Nachteile
Obwohl nicht ausgeschlossen ist, dass sich bis zur Wahl eines neuen Vorsitzenden noch Bewerber außerhalb des Triumvirats melden, gilt die Dreiergruppe Beobachtern als Vorauswahl für die reguläre Besetzung des Postens. Mit Schwesig als Vorsitzender würde es die SPD (bewusst oder unbewusst) mit der Guttenberg-Habeck-Methode versuchen (vgl. Auch eine Art Schönheitswettbewerb). Allerdings hat sie als Bundesministerin und mecklenburg-vorpommersche Ministerpräsidentin schon einige Affären angehäuft: Die Team-Gina-Lisa-Äffäre (vgl. Das Schweigen der Unterstützer), die Nepotismus-Affäre und die Brodkorb-Affäre.
Während Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern mit der CDU regiert, hat Dreyer in Rheinland-Pfalz eine so genannte "Ampelkoalition" mit den Grünen und der FDP geschlossen. Als ihre große Schwachstelle sieht man in Sozialen Medien eine auffällig vermachtete Rundfunkpolitik (vgl. Der Fall Marc Jan Eumann). Torsten Schäfer-Gümbel gilt unter den drei Interimsvorsitzenden als derjenige mit den geringsten Ambitionen auf eine reguläre Übernahme des Postens. Den Informationen der Süddeutschen Zeitung nach hat er sich nämlich bereits im März dazu entschieden, seine Parteiämter in der SPD im Herbst 2019 aufzugeben und in den Vorstand der "Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit" zu wechseln.
Doppelspitze oder Urwahl?
Einigt sich die SPD nicht auf Schwesig oder Dreyer, gilt als möglich, dass die Partei von einer "Doppelspitze" geführt wird, wie dies bei den Grünen, der Linken und der AfD üblich ist. Dafür setzt sich neben dem sächsischen Wirtschaftsminister Martin Dulig auch der Berliner Bürgermeister Michael Müller ein, der darauf verwies, dass "die anderen offensichtlich ganz gut [mit diesem Modell] arbeiten können". Parteivize Ralf Stegner brachte dagegen in der Rheinischen Post eine "Urwahl" des Vorsitzenden ins Spiel. So eine Urwahl gab es bei den Sozialdemokraten schon einmal, 1993. Sieger war damals der Martin Schulz vom Habitus her nicht ganz unähnliche Rudolf Scharping (vgl. Schulz - Scharping II.?), der die anschließende Bundestagswahl selbst gegen einen damals schon schwer angeschlagenen Helmut Kohl verlor.
In den nächsten Bundestagswahlkampf zog die SPD nicht mehr nur mit Scharping, sondern mit einem Triumvirat aus ihm, Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine. Damit gewann sie zwar 1998 gegen CDU und FDP, konnte aber eine längerfristige deutliche Abnahme der Wählergunst nicht verhindern. Nachdem Befürworter von Gerhard Schröders Politik Oskar Lafontaine erst aus dem Amt des Finanzministers und anschließend aus der Partei mobbten, sackte der Stimmenanteil der Sozialdemokraten von 40,9 Prozent auf 20,5 Prozent bei der letzten Bundestags- und 15,8 Prozent bei der Europawahl ab. In einer Umfrage danach maß das Forsa-Institut sogar nur mehr zwölf Prozent.
An diesem Abstieg konnte keiner der Vorsitzenden etwas ändern - ob er nun kurz oder lang im Amt war. Weder Gerhard Schröder (1999 bis 2004), noch Franz Müntefering (2004 bis 2005 und 2008 bis 2009), Matthias Platzeck (2005 bis 2006), Kurt Beck (2006 bis 2008), Sigmal Gabriel (2009 bis 2017), Martin Schulz (2017 bis 2018) oder Andrea Nahles (2018 bis 2019). Eine Erklärung dafür wäre, dass in der SPD in den letzten Jahrzehnten gar kein Personal mehr nachwuchs, das die Probleme der Partei lösen könnte (vgl. Diskrepanz zwischen Wähler- und Funktionärswillen).
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