Sánchez nähert sich dem Abgrund und rückt nach rechts

Schlange am Supermarkt in Barcelona. Bild: Ralf Streck

Da der spanischen Regierung in der Corona-Krise die Unterstützer abhandenkommen, stützt sie sich zur Verlängerung des Alarmzustands auf die Rechten

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Nun hat der der spanische Regierungschef Pedro Sánchez doch seinen Alarmzustand bis zum 24. Mai - trotz massiver Kritik von allen Seiten - verlängern können. Er bekam mit 178 Stimmen eine knappe Mehrheit dafür.

Es hätte schief gehen können, denn seine fehlende Dialog- und Kompromissbereitschaft hat dafür gesorgt, dass das Bündnis zerbrochen ist, das im Januar überhaupt erst seiner Sozialdemokraten (PSOE) mit der Linkskoalition Unidas Podemos ermöglichte.

Der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) ist nun angesichts seiner Pläne zur Lockerung der Ausgangsbeschränkungen die Hutschnur geplatzt. Auf deren 13 Stimmen ist die Regierung angewiesen. Und spätestens wenn der Haushalt beschlossen werden soll, wird es wieder ernst. Vor einem Jahr war Sánchez über den Haushalt gestürzt und er musste Neuwahlen ansetzen.

Die ERC hatte angekündigt, sich nicht mehr enthalten, sondern gegen die vierte Verlängerung des Alarmzustands stimmen zu wollen. Ihr Sprecher im Madrider Parlament Gabriel Rufián hatte vergangene Woche gewarnt: "Nach 47 Tagen ohne Kompetenzen, ohne Dialog und Koordination erfahren wir über eine Pressekonferenz die Lockerungspläne."

"Es reicht"

Da sich daran nichts geändert hat, erklärte Rufián am Mittwochmorgen im Parlament: "Nach sechs Wochen sagen wir: Es reicht." Er fügte an, dass die Regierung stets nichts freiwillig tue, sondern "stets dazu gezwungen werden muss und das wissen ihre Partner von Podemos am besten".

Deshalb müsse man nun Nein sagen. Allen katalanischen Parteien, die kollektiv mit Nein gestimmt haben, stößt noch stärker als der Alarmzustand auf, dass es weiterhin eine "einzige Führung" in Madrid geben soll. Sánchez hat mit dem Alarmzustand alle Zügel in Madrid an sich gezogen und damit Autonomierechte beseitigt.

Denn eigentlich gehört die Gesundheitsversorgung zu den Autonomiekompetenzen. Anders als die deutschen Bundesländer dürfen die angeblich so weitgehenden Autonomien aber nichts bestimmen und in Spanien gibt es auch keinen Bundesrat, über den sie Einfluss nehmen könnten.

Die Sprecherin der linksradikalen CUP begrüßte jedenfalls das neue Verhalten der ERC. Nun könne man sich links wieder treffen, unterstrich Mireia Vehí. Sánchez regiere real mit einem "Ausnahmezustand", in den es verboten ist zu demonstrieren, doch auf die Arbeit schicke man die Menschen.

Wer profitiert?

Sie erklärte, zur Feststellung von Sánchez, der Alarmzustand sei "alternativlos", dass es "links immer eine Alternative gibt". Es sei eine Lüge, dass darüber zum Beispiel Mieterrechte geschützt würden, schließlich seien die eigentlich schon in der Verfassung in Paragraf 47 garantiert. Ohnehin halten vom diesem "Schutz" der Regierung auch viele Mieter nichts, die einen Mietstreik organisieren.

Für Vehí ist klar, dass nur erneut Staatskassen geplündert würden, um das Geld Banken und großen Firmen in den Rachen zu werfen. HM habe zum Beispiel Kurzarbeit für 6.124 Beschäftigte angemeldet. Dabei habe die Firma 2019 mehr als 14 Milliarden Euro Gewinn gemacht, doch nun zahlt der Staat die Löhne. Zudem garantiere der erneut mit 102 Milliarden Euro für Kredite von Banken, die das Geld der letzten Bankenrettungen noch nicht zurückgezahlt haben.

Werbung bei den Rechten

Angesichts der ERC- Ablehnung umwarb Sánchez erneut die spanischen Rechtsparteien, denen Autonomierechte ohnehin ein Dorn im Auge sind. So wiesen Rufián und Vehí die Linkskoalition Podemos darauf hin, dass ihre Koalitionsregierung sich nun schon auf die Ciudadanos (Cs) stützen müssen.

"Wenn ich Pablo Iglesias wäre", sagte Rufián mit Blick auf den Podemos-Chef, "wäre ich besorgt über den Schwenk der PSOE nach rechts". Denn letztlich retteten die neoliberalen Rechten die Regierung. Sánchez hätte ohnehin lieber mit den Cs als mit Podemos koaliert, das war aber angesichts des Wahldebakels der Cs im vergangenen Dezember nicht mehr möglich.

"Wir haben die Hand ausgestreckt, um Leben und Arbeitsplätze zu retten", erklärte die neue Cs-Chefin Inés Arrimadas zu ihrer Unterstützung für Sánchez, die sie als "Ausnahme" bezeichnete. Tatsächlich leitete Arrimadas einen Schwenk in einer Partei ein, die auf dem strammen Rechtskurs bei den letzten Wahlen von 57 auf 10 Sitze abgestürzt ist.

Mit der rechten Volkspartei (PP) regiert Cs in wichtigen Regionen in einer Koalition und schreckt dabei nicht einmal davor zurück, auf die Stimmen der ultrarechten VOX zu bauen. Dass die Partei sich nun der PSOE annähert und die Frontalopposition am rechten Rand aufgibt, sorgt nicht nur für scharfe Kritik von Rechtsaußen. Ex-Führungmitglieder haben sofort die Partei verlassen, als sie vom Abkommen mit Sánchez erfuhren.

Ins Boot hat Sánchez auch die christdemokratische Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) und weitere kleinere Regionalparteien mit Versprechungen geholt. Die PNV gehörte zwar schon bisher zu seinen Unterstützern, sie hatte aber zuletzt massiv die Regierung kritisiert und ebenfalls scharf die Rückgabe der Autonomierechte gefordert.

Deshalb erklärte Sánchez, in Zukunft "möglichst einvernehmlich" Entscheidungen unter Einbeziehung der Autonomieregierungen treffen zu wollen. Denn die wurden bisher über Maßnahmen nur nachträglich informiert. Sie sollen auch "Auslegungskompetenz bei den Ministerialerlassen" erhalten.

Die perfekte Ausrede

Besonders wichtig war der PNV und dem baskischen Regierungschef Urkullu, der mit aller Gewalt im Juli wählen lassen will, dass auch ein Änderungsantrag zum Dekret angenommen wird. Denn Urkullu hatte die baskischen Wahlen auf April vorgezogen, musste sie aber wegen der Coronaviruskrise wieder absagen. Tatsächlich wurde der PNV-Antrag abgenickt und so ist der Alarmzustand nun "kein Hindernis" mehr für Wahlen in Autonomiegebieten.

Sánchez hat allerdings sein Problem nun nur wieder verschoben. Nun ist es noch unwahrscheinlicher, dass er seinen Haushalt durchbekommen kann. Der ist für die ERC nicht nur an einen Dialog im Umgang der aktuellen Krise gebunden ist, sondern auch an den auf Eis liegenden Dialog über den Katalonienkonflikt. Sie hatte Sánchez zum Dialog gezwungen, sonst hätte sie ihn nicht zum Präsidenten gemacht. Allerdings fand bisher nur ein einziges abtastendes Gespräch statt.

Die Coronakrise ist die perfekte Ausrede für Sánchez, um dieses Problem in der üblich spanischen Art vertagen zu können. Allerdings scheint die ERC zu bemerken, dass sie sich wieder einmal über den Tisch ziehen ließ. Ganz sicher ist das noch nicht, schließlich muss sie sich vor den anstehenden Wahlen in Katalonien positionieren. Denn sie steht mit ihrem Kurs, Sánchez bisher unterstützt zu haben, nun ziemlich betröpfelt mit leeren Händen im Regen.

Der Kurs hatte das katalanische Regierungsbündnis zerbrechen lassen. Offenbar ist es nun aber wieder einmal das spanische Verhalten, das die Katalanen eint.

Vergessen werden sollte bei der Betrachtung nicht, dass die Auswirkungen der Finanzkrise ab 2009 als Katalysator für die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen gewirkt haben. Das Versagen Spaniens in der Coronakrise, das im Vergleich zum kleinen Nachbar Portugal ins Auge sticht, ist wahrlich nicht dazu geeignet, Katalanen vom Ziel der Unabhängigkeit abzubringen.

Vielmehr dürfte es viele darin bestärken, dass man außerhalb Spaniens besser Krisen meistern kann, wie es Portugal zeigt, das vor vielen Jahren seine Unabhängigkeit von Spanien durchgesetzt hat.