Sanktionen gegen Russland: Ruiniert die Bundesregierung die deutsche Wirtschaft?
Wirtschaft und Bundesregierung liegen im Clinch. Russland, Energie und Sanktionen spielen eine große Rolle. Wer welchen Anteil an der wachsenden Unsicherheit hat. Ein Kommentar.
Das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Bundesregierung ist so schlecht wie lange nicht mehr. Die Manager glauben, die Politiker in Berlin leben "auf einem anderen Planeten", schreibt das Handelsblatt. Und die Minister und Beamten gehen davon aus, dass die Unternehmen lediglich neue Subventionen abgreifen wollen.
Das Blatt berichtet von einer vertraulichen Runde, die vergangene Woche im Bundeskanzleramt getagt hat. Dabei soll es förmlich geknallt haben, und die anwesenden Konzernvertreter sollen klare Worte gegenüber den Vertretern der Bundesregierung gefunden haben. Letztere dementierten aber und betonten: "Das Gespräch sei freundlich, zugewandt und harmlos verlaufen".
Man kann die Sachlage nun drehen und wenden, wie man möchte – die deutsche Volkswirtschaft ist angeschlagen. Statt zu wachsen, schrumpft sie. Gingen im Frühjahr die führenden Forschungsinstitute noch von einem Wachstum von 0,3 Prozent in diesem Jahr aus, so änderten sie jetzt ihre Prognose. Das Bruttoinlandsprodukt wird voraussichtlich um 0,6 Prozent schrumpfen.
Die Manager sollen bei dem Gespräch den Kanzler gewarnt haben, dass es sich hier nicht nur um eine Konjunkturflaute handle. "Es geht letztlich um den Standort Deutschland", warnten sie dem Bericht zufolge.
An den führenden Politikern perlen solche Warnungen aber scheinbar ab. Für sie reden die Wirtschaftsvertreter nur den Standort Deutschland schlecht, heißt es im Handelsblatt.
Außerdem hätten sich die Unternehmen viele Probleme, die sie heute kritisieren, selbst eingebrockt. Viel zu spät seien sie "die grüne Transformation angegangen", sie hätten sich zu sehr in die Abhängigkeit von russischem Gas begeben oder sich zu stark an den chinesischen Markt gekettet.
Es wäre vielleicht auch etwas naiv, zu glauben, Politiker würden die Verantwortung übernehmen, wenn aus ihrem Handeln Schaden entsteht. Es ist hoffnungslos, auf ein "mea culpa" von ihnen zu warten. Sie haben nichts zu befürchten – anders als Manager, die für Schäden belangt werden können –, wozu sollten sie dann so etwas wie Reue zeigen?
Der Energiepreis ist ein wiederkehrender Streitpunkt zwischen beiden Seiten. Schon vor dem Krieg in der Ukraine war der Strompreis in Deutschland hoch. Er stieg weiter, nachdem der kollektive Westen Russland den Wirtschaftskrieg mit Sanktionen erklärt hatte. Als Antwort darauf drosselte Russland die Gaslieferungen nach Europa und die Energiepreise gingen durch die Decke.
Wer ist nun dafür verantwortlich? Die Unternehmen, die in Friedenszeiten und unter marktwirtschaftlichen Bedingungen günstiges Gas aus Russland bezogen? Oder die Personen, die ohne Not einen Wirtschaftskrieg proklamierten und eine Kaskade an Reaktionen provozierten? Diese Fragen sollte jeder für sich beantworten.
Jetzt streiten sich Wirtschaft und Politik darüber, wie die Energiepreise wieder gedrückt werden können. Am Markt fehlt ein ausreichendes Angebot an – kostengünstiger – Energie in Form von Strom oder Erdgas. Die letzten deutschen Atomkraftwerke wurden abgeschaltet, die erneuerbaren Energien sind nicht ausreichend vorhanden; auch bei der Gasversorgung ist man auf teures LNG angewiesen. Unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ist so kein günstiger Energiepreis zu machen.
Also diskutiert man über einen subventionierten Strompreis für die Industrie – und findet keine Einigung. Die Industrie würde es natürlich gern sehen, wenn die Steuerzahler für sie einen Teil der Energierechnung übernehmen. Auch der deutsche Wirtschaftsminister plädiert dafür. Der Bundeskanzler und der Finanzminister sprechen sich aber dagegen aus.
Mit Beginn der Energiekrise im vergangenen Jahr führte die Bundesregierung Sonderregeln etwa für Erdgas ein. Um den Preis wenigstens etwas zu senken, wurde der Mehrwertsteuersatz verringert. Diese Sonderregelung soll aber spätestens im April 2024 wieder wegfallen. Die Folge sind steigende Preise für Erdgas und Strom.
Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht überraschend, wenn Unternehmen planen, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern. Sie sind schließlich nicht dem Gemeinwohl, den Arbeitern oder dem Staat gegenüber verpflichtet, sondern ihren Aktionären. Und die möchten Gewinne sehen und Dividenden kassieren. Und letztlich sind es die Politiker verschiedener Parteien, die dieses kapitalistische Prinzip zur Grundlage der individuellen Vorsorge in Deutschland erklären wollen.
Insofern beißt sich die Schlange in den eigenen Schwanz, wenn Politiker mit dem Finger auf die Wirtschaft zeigen. Die Idee der sozialen Marktwirtschaft basiert auf der Annahme, dass Unternehmen in dem Rahmen handeln, der ihnen vom Staat vorgegeben wird. Wird nun aber dieser Rahmen schockartig durch Politiker verändert, kann die Wirtschaft nicht für die Folgen verantwortlich gemacht werden.
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