Schily will das Versammlungsrecht einschränken

Nach einem Gesetzesentwurf sollen Kundgebungen an bestimmten Orten verboten werden können, aber auch Versammlungen, die "Gewalt und Willkürherrschaft" sowie Terrorismus im In- und Ausland verharmlosen oder verherrlichen

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Nur bei einer "Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" kann bislang das Versammlungsrecht in Deutschland eingeschränkt werden. Das aber soll nach Plänen von Bundesinnenminister Otto Schily bald anders werden. Eine Gesetzesinitiative sieht vor, dass Versammlungen von Extremisten leichter verboten werden können. Zudem soll es möglich werden, Kundgebungen von Rechtsextremisten an nationalen Gedenkstätten zu untersagen, die "in eindeutiger Weise an die Opfer einer organisierten, menschenunwürdigen Behandlung" erinnern.

Spiegel Online hatte gestern bereits einige Auszüge aus dem Referentenentwurf zitiert, der auf einen Auftrag der Innenministerkonferenz zurückgeht, wie eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums heute sagte. Vorgeschlagen hat den Gesetzesvorstoß der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD), der auf die steigende Anzahl von Demonstrationen in der Hauptstadt verwiesen hat, die geschäftlichen Schaden verursachen und mehr und mehr auch an historischen Stätten oder Mahnmalen stattfinden würden.

Konkreter Grund für die geplante Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist die Befürchtung, dass das Holocaust-Mahnmal nach dem Entwurf des Architekten Peter Eisenman, das im Mai 2005 eingeweiht werden soll, als Ort für rechtsextremistische Demonstrationen dienen könnte. Als im Jahr 2000 NPD-Anhänger durch das Brandenburger Tor marschierten, löste dies vielerorts Empörung aus. In der Begründung zu den geplanten ortsgebundenen Beschränkungen wird ausdrücklich auf das Holocaust-Mahnmal verwiesen und gleichzeitig versucht, eine klare Eingrenzung vorzunehmen:

Es kommen nur Orte mit eindeutiger Symbolwirkung und nationaler Bedeutung in Betracht, sofern das in ihnen Symbolisierte mindestens gleich schutzwürdig ist wie die Versammlungsfreiheit. Von eindeutigem Symbolgehalt dürfte beispielsweise das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin sein.

Die Versammlung muss nach dem Entwurf zudem dazu geeignet sein, die "menschenunwürdige Behandlung der Opfer zu billigen, zu leugnen oder zu verharmlosen". Bundesinnenminister will aber über diese ortsbezogenen Einschränkungen des Versammlungsrechts hinaus, auch allgemeiner eine Versammlung verbieten können, wenn sie "nationalsozialistische oder andere Gewalt- und Willkürherrschaft oder terroristische Vereinigungen oder terroristische Straftaten im In- und Ausland in einer Weise verherrlicht oder verharmlost, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu gefährden".

Damit beschreitet Schily allerdings einen höchst gefährlichen Weg, da die Interpretation von "Gewalt- und Willkürherrschaft" und von Terrorismus kaum eindeutig zu ziehen sein wird und die Gefahr besteht, damit je nach politischer Couleur Oppositionsgruppen am Recht auf Versammlungsfreiheit behindert werden können.

Wolfgang Bosbach, Vize der CDU/CSU Bundestagsfraktion, begrüßte die Pläne, weil damit endlich "die Notwendigkeit einer Verschärfung des Versammlungsrechts" eingesehen werde. Bosbach würde die ortsgebundene Einschränkung auch gerne noch aufandere symbolträchtige Orte erweitern. Auch Wolfgang Zeitlmann, Sprecher der CSU-Landesgruppe, zeigte sich erfreut, dass nun Schily damit Forderungen der Union aufgreife: "Wir unterstützen den Bundesinnenminister, wenn er vorhandene Spielräume ausschöpfen will."

Schily kann zwar auf CDU/CSU bei seinen Vorschlägen vertrauen, Kritik kam allerdings aus der SPD selbst sowie vom Koalitionspartner und von der FDP. So sagte Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, dass das vorhandene Recht ausreiche, auch wenn er sich ein Verbot für bestimmte Orte vorstellen könne. Die frühere FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erklärte nach einer dpa-Meldung: "Ein Gesinnungsversammlungsverbot halte ich nicht für gerechtfertigt." Kundgebungen, die die öffentliche Ordnung gefährden, könne man schon jetzt verbieten. Ähnlich argumentiert Volker Beck, der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, für den ein an Inhalten orientiertes Demonstrationsrecht nicht mit der Verfassung vereinbar wäre: "Man kann es sich beim Demonstrationsrecht nicht aussuchen, ob einem das Demonstrationsziel passt oder nicht."