Schlagfertigkeit als Produktpromotion

William Gibsons Rückkehr aus der Blogosphäre

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Rechtzeitig zum Erscheinen seines aktuellen Romans "Pattern Recognition" (vgl. Strickmuster erkannt) wagte William Gibson, der bis dahin als sehr zurückgezogen und vor allem internetscheu galt, einen ungewöhnlichen Schritt: Er begann, sein eigenes Weblog zu führen.

Im ersten Eintrag am 6.1.03

schrieb er:

Obwohl ich oft als ein zurückgezogener, ludditenhafter quasi-Pynchon beschrieben werde, der sich mit dem Netz nicht abgibt (oder nicht einmal mit Computern überhaupt, kommt drauf an, was Google ausspuckt) hoffe ich, mehr oder weniger täglich hier aufzukreuzen.

[Übersetzung: M.H.]

Das war eine gute Nachricht für die hartgesottenen Fans, die sich von ihrem Lieblingsautor mehr erhoffen als bloß einen Roman ab und zu, denen die Nahrung nicht reicht, die er zwischen Buchdeckeln zu verabreichen hat. Und man muss immer noch kein glühender Fan Gibsons sein, um seine schlagfertige, hochkomprimierte und immer noch sehr coole Prosa zu mögen. Von daher versprach ein Gibson-Blog auch Spaß für den gelegentlichen Leser.

Vier Monate später soll damit schon wieder Schluss sein. Gibson begründet das mit der Unmöglichkeit, gleichzeitig ein Weblog zu führen und Romane zu schreiben, und da sich sein nächster Roman in der Vorproduktion befindet, muss das Blog dran glauben:

DER PROMO-MODE WIRD ABGESCHALTET

(...)

Eins war mir von Anfang an klar, vom ersten Eintrag an: Das, was ich hier mache, kann mit der Arbeit an einem Roman nicht koexistieren. In einer Weise, die ich nur unvollkommen verstehe, verbraucht es zu viel von gleichen Bandbreite (ohne sie jemals *komplett* auszuschöpfen). Die Ökologie des einen kommt mit der des anderen nicht aus.

Quelle [Übersetzung: M.H.]

Obwohl er mit dieser Drohung bisher nicht ernst gemacht hat, muss man wohl davon ausgehen, dass das noch geschehen wird. Nun denn - Gibson hat eine Position erreicht, in der ihn nicht mehr kümmern muss, was andere über ihn denken oder von ihm erwarten, und mit kurzfristigen Einfällen verfährt er wie schon früher auch: Er greift sie auf, er lässt sie fallen. Man denke nur an seine sehr kurze Karriere als Lyriker, die sich in einem einzigen, auf sehr komplizierte Art und Weise veröffentlichten Gedicht niedergeschlagen hat (das leider nicht sehr gut ist, auch wenn es schöne Bilder enthält): Agrippa - A book of the dead

Trotzdem: Die Angelegenheit hinterlässt einen faden Nachgeschmack, von dem man nur schwer sagen kann, wo er herrührt.

Gibson Selbstbezogenheit vorzuwerfen, wäre albern. Alle Künstler sind selbstbezogen, ihr Ich ist ihr wichtigstes Rohmaterial. Auch der Vorwurf - eng mit dem der Selbstbezogenheit verwandt - Gibson habe mit seinem Weblog Werbung für "Pattern Recognition" und seine anderen Bücher machen wollen, geht ins Leere. Ein intelligenter Autor wird in der Reklame für seine Produkte den Presseerklärungen seines Verlages spielend überlegen sein, und der Abstand zwischen dem, was hinten auf seinen Büchern steht, und den Texten in seinem Weblog ist ja offenkundig.

Warum befriedigt dann die Unternehmung doch nicht so richtig? Einmal ist da die Tatsache, dass Gibson außer Werbung und ein paar Trivialitäten zu seinen Texten zu wenig bietet. Manches von dem Wenigen ist immer noch amüsant zu lesen, aber was er beispielsweise zum letzten Golfkrieg sagt, bestätigt zu oft sein eigenes Diktum von der nicht ausgeschöpften Bandbreite und ist zudem von der bemerkenswerten Naivität gekennzeichnet, die man in politischen Dingen von ihm schon kennt:

Die neueren militärischen US-Erfolge hängen sicher nicht nur von intelligenten Waffen, fortgeschrittener Telepräsenz usw. ab, sondern mindestens genauso stark von einer radikal neuen Doktrin der Spezialeinsätze, die kleinen, exzellent ausgebildeten, bemerkenswert autonomen Einheiten ermöglicht, sich selbst ihre Ziele zu suchen und ihre eigenen Entscheidungen zu fällen. Das erfordert, dass diejenigen, die diese Einheiten einsetzen, ihnen vertrauen. Es könnte sein, dass Gesellschaften mit einem Mangel an Vertrauen so etwas aufgrund ihres Charakters gar nicht machen können. Welcher Diktator könnte seiner eigenen Delta Force schon vertrauen? Ist es denkbar, dass dieses neue Paradigma der Kriegsführung nur für relativ demokratische Gesellschaften funktioniert?Quelle [Übersetzung M.H.]

Genauso gut könnte man vermuten, dass die Mitglieder solcher Einheiten die Werte und Ziele ihrer Vorgesetzten dermaßen verinnerlicht haben, dass sie eine tägliche Supervision gar nicht mehr brauchen - das Training solcher Einheiten besteht ja unter anderem genau in diesem Verinnerlichungsprozess. Dass die Existenz und das "Funktionieren" solcher Einheiten gewissermaßen als Lackmustest für den Demokratisierungsgrad der Gesellschaften funktionieren könnten, die sie einsetzen, ist eine groteske Form des Wunschdenkens. Erstens funktionieren sie in Diktaturen ganz hervorragend. Zweitens wird erst andersherum ein Schuh draus: Selbst Gesellschaften, die sich demokratisch nennen, verlassen sich im Fall der Fälle gerne auf Experten der Brutalität, die garantieren können, dass die Interessen der demokratischen Herrscher zumindest eine realistische Chance haben. Gibson erweist sich hier, wie an vielen anderen Stellen als schwacher Sozialpsychologe und als schwacher politischer Analytiker, und das ist, bedenkt man die übliche Präzision seiner reinen Beschreibungen, mehr als schade.

Aggressiv wird Gibson gegenüber Leuten, die "Pattern Recognition" als eine Wiederaufnahme von "Neuromancer" ansehen und anderen, die es für stark von Thomas Pynchons "Crying of Lot 49" inspiriert halten. Gibson möchte das widerlegen, indem er "Neuromancer" und "Crying of Lot 49" miteinander vergleicht, das Offensichtliche feststellt (sie haben nichts miteinander zu tun) und dadurch die Vergleiche von Pattern Recognition mit beiden für erledigt hält.

Aber Literatur unterliegt nicht der Transitivität, und wer die Karriere von Gibson genauer verfolgt, kann kaum um die Feststellung herum, dass er immer noch seiner Form aus der Zeit von "Neuromancer" hinterher schreibt und offensichtlich von dem Wunsch angetrieben wird, es irgendwann vielleicht doch einmal mit Pynchon aufzunehmen.

Insgesamt helfen dem Blog auch die wenigen Momente nicht, in denen die Gibsonsche Schlagfertigkeit ohne Bezug zur Produktpromotion zum Tragen kommt. Und die Art, wie er es abservieren will, lässt den minimalen Abstand vermissen, der aus dem Spruch "Der Promo-Mode wird abgeschaltet" die selbstironische Bemerkung eines Autors in der Warenwelt machen würde. Es ist eben einfach nur das: Eine Werbemaßnahme endet, und für das nächste Mal wird man sich auf etwas anderes einstellen können.