Schnell voranschreitende Zerstörung der Meeres- und Küstenökosystemen

Nach Angaben von Wissenschaftlern werden die Ökosysteme der Meere vier bis zehn Mal schneller vernichtet als die tropischen Regenwälder

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Meeresbiologen und Meereskundler warnten kürzlich auf einer vom spanischen Wissenschaftsrat Consejo Superior de Investigaciones Científicas und dem Instituto de Mediterráneo de Estudios Avanzados organisierten internationalen Konferenz in der spanischen Hauptstadt Madrid vor der Verwüstung der Meere. Da die enorme Zerstörung mit bloßen Augen kaum feststellbar sei, wird sie noch viel weniger behandelt und wahrgenommen als die Abholzung der Regenwälder. Dabei, so die Experten, würden jährlich fünf bis neun Prozent der natürlichen Lebensräume in küstennahen Gebieten zerstört.

Tatsächlich scheinen die Probleme unterhalb des Wasserspiegels deutlich schlechter wahrgenommen zu werden, als alles, was sich darüber befindet, obwohl nun ständig über den Klimawandel gesprochen wird und es deutliche Verbindungslinien dazu gibt. Das zeigt auch die Berichterstattung über die Konferenz. Ganz anders die gescheiterte UN-Konferenz gegen die Ausbreitung der Wüsten, die zuvor im September in der spanischen Hauptstadt stattfand, fand die Verwüstung der Meere inner- und außerhalb Spaniens kaum Beachtung.

70 Prozent der Erdoberfläche ist von Ozeanen bedeckt, die eine unzählige Vielfalt an Pflanzen und Tieren beherbergen. Innerhalb weniger Jahrzehnte hat es der Mensch geschafft, sie extrem zu schädigen oder zu zerstören. Fast 44 Prozent aller Korallenriffe sind in den letzten Jahrzehnten fast gänzlich zerstört worden. Nach Angaben des Forschers Terry Hughes "ist es außerordentlich schwierig die Schäden wieder zu beseitigen, wenn die Korallen, die von der globalen Erwärmung betroffen sind, durch Algen ersetzt worden sind". Als Ursache macht der Wissenschaftler von der Australian Academy of Science die Überfischung, die Abnahme der Wasserqualität wegen der gesteigerten Nutzung der Küsten und der Rodung der Wälder und die allgemeine Erderwärmung verantwortlich .

Auf der Konferenz legte Dr. Núria Marbà von der Universität Barcelona Daten vor, die zeigen, dass seit 1970 im Mittelmeer sogar schon etwa 54 Prozent der bedeutsamen Seegraswiesen zerstört wurden. Diese Wiesen werden von der Posidonia oceánica (Neptunspflanze) gebildet, eines der ältesten Lebewesen der Erde. Sie ist im Mittelmeer und der Karibik in bis zu 40 Metern Tiefe angesiedelt. Sie schafft Sauerstoff, ist sehr fruchtbar und sorgt für sehr klares Wasser. In diesen Seegraswiesen findet sich eine enorme Biodiversität, da sie vielen Fischen und Wirbellose einen Lebensraum schafft und für eine hochdiverse Fauna und Flora sorgt. Das Wurzelwerk stabilisiert Sedimente und schützt damit die Küsten und zudem nimmt sie Kohlendioxid (CO2) auf.

Diese nur langsam wachsenden Pflanzen wurden über menschliche Einflüsse besonders stark beeinträchtigt. Zu den mechanischen Schädigungen durch Anker oder Schleppnetzfischerei trägt auch die Eutrophierung durch den hohen Eintrag von Schadstoffen und Düngemitteln bei, die inzwischen weltweit zu einer starken Ausweitung von Todeszonen führt (Todeszone im Golf von Mexiko breitet sich aus).

Zerstörung der Ökosysteme an den Küsten verstärkt die Folgen von Naturkatastrophen

Darauf wies vor allem Scott Nixon hin, der an der Universität Rhode Island in den USA forscht. Die humane Aktivität und der alarmierende Einsatz von Düngemitteln in der Landwirtschaft verursacht Algenbildung, die zum Tod von tausenden Lebewesen und zu "irreversiblen Schäden an den Ökosystemen" führt, "wenn der Sauerstoffgehalt unter zwei Milligramm pro Liter fällt". Als Beispiele für Todeszonen, die insgesamt jährlich in einem "Rhythmus von drei Prozent" wachsen, nannte er das Delta des Mississippi, die Küste von Dänemark und das Schwarze Meer, wo sich die betroffen Flächen in den letzten 20 Jahren verdoppelt hätten. Mit dem Ansteigen der Produktion von so genanntem Biosprit und dem Wachstum der Weltbevölkerung wird das Problem noch größer. Nixon machte aber auch eine exzessive Fleischproduktion direkt für den Verlust von Meeresökosystemen verantwortlich, "denn dabei werden große Mengen Stickstoff frei, die zu denen aus dem Abfluss hinzukommen".

Iván Valiela, vom Ecosystems Center der Marine Biological Laboratory in Woods Hole Massachusetts (USA), wies auf das Wechselspiel zwischen der Zerstörung der Sumpfgebiete an den Küsten und Mangrovenwäldern durch den Klimawandel hin. Diese Ökosysteme gerieten immer stärker in die Zange zwischen "dem steigenden Meeresspiegel und den Dämmen und Bauwerken zum Schutz der Küsten". Die Zunahme der Besiedelung der Küsten, an denen nun schon fast 60 Prozent der Erdbevölkerung lebte, wären seit 1980 die Sumpfgebiete um 35 Prozent und die Mangrovenwälder sogar um 50 Prozent geschrumpft.

Das Verschwinden dieser Ökosysteme gehe nicht nur mit dem Verlust ihrer ökologischen Funktionen einher, sondern erhöhe auch die menschliche Sterberate im Falle von extremen Naturereignissen. So habe der Verlust dieser Gebiete am Mississippi dazu geführt, dass die Auswirkungen des Hurrikan Katrina auf New Orleans stärker waren und die Rodung der Mangrovenwälder in Südostasien habe die Zahl der Todesopfer beim Tsunami 2004 erhöht.

Der spanische Wissenschaftler Carlos Duarte vom CSIC wies auch auf die hausgemachten Probleme in Spanien hin. So seien hier schon 50 Prozent der Küsten bebaut. Am stärksten betroffen sind die Strände in Katalonien, Valencia, Murcia und Mallorca, die deshalb auch am stärksten unter dem Verlust von Meeresbiotopen zu leiden haben.

Auch der Gastgeber sprach die Verbindung zu den Klimaveränderungen an: "Der Klimawandel hebt den Meeresspiegel an, weshalb maritime Habitate sogar dort geschädigt oder zerstört werden, wo sie noch relativ gut geschützt sind." Er resümierte, dass die küstennahen Gebiete wohl am stärksten von der menschlichen Aktivität betroffen sind. Gemeinhin wird dies für die tropischen Regenwälder konstatiert. Bis zu neun Prozent Fläche ginge davon jährlich verloren, alle drei Minuten sei seit 1980 die Fläche von der Größe eines Fußballfelds verschwunden, schätzt der Prof. William B. Dennison von der Universität Maryland. Der Verlust von Meeresökosystemen gehe vier bis zehn Mal so schnell voran wie der Verlust der Regenwälder. Gefordert wird, "die dramatischen Konsequenzen aufzuhalten, die mit dem Verschwinden dieser Ökosysteme einhergehen und ihre Restaurierung einzuleiten". Das Wissen und die Technologie dafür seien vorhanden.

Geschehen wird jedoch nicht viel. Das hatte sich auch im September bei der UN-Wüstenkonferenz und dem deutlich sichtbaren Problem der Wüstenbildung gezeigt. Viele Politiker und Wissenschaftler hatten sich hier beteiligt, es wurde auch groß und breit über diese drängende Frage berichtet, aber auf der Konferenz gelang es nicht einmal, eine verbindliche Finanzierung für die notwendigen Maßnahmen zu beschließen. Dabei ging es hierbei nicht einmal um eine Million Euro, mit dem das eher lächerliche Budget um fünf Prozent aufgestockt werden sollte. Betroffen sind in den nächsten Jahren von diesem Phänomen etwa 100 Millionen Menschen.