Schweden steigt zum schärfsten China-Hardliner in der EU auf

Der Nato-Beitritt Schwedens und die aggressive Haltung Stockholms gegenüber China binden das Land enger an die US-Geopolitik. Bild: TP / Vorlage: Duden-Dödel

200 Jahre neutral und gegen Atomwaffen, jetzt auf dem Weg in die Nato. Nun nimmt Schweden sogar aggressivste Haltung gegenüber Beijing ein, so Foreign Policy. Über ein Sicherheitspapier, Falken und die globalen Folgen.

Erleichtert wurde die Entscheidung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf dem Nato-Gipfel in Vilnius vor zwei Wochen im Westen aufgenommen, als er grünes Licht gab für den Beitritt Schwedens in das Militärbündnis.

Es mag nach der Invasion Russlands in die Ukraine verständlich sein, auch angesichts der historischen Konflikte mit Russland, dass Schweden unter den Mantel der Nato aufgenommen werden möchte. Aber es ist, wie von vielen Seiten argumentiert wird, unsinnig zu glauben, dass damit Schweden sicherer wird, ganz zu schweigen von Europa und der Welt.

Was tatsächlich stattfindet, ist einer Neuausrichtung und Verschärfung der europäischen (Un)sicherheitspolitik, angetrieben von den geopolitischen Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika.

Das lässt sich an Schweden besonders gut ablesen. Das Land hat eine 200 Jahre alte Tradition der Blockfreiheit, der Priorität der Diplomatie in Krisen, einer Antihaltung gegen Waffenexporte und atomare Aufrüstung.

Jetzt betrachtet man Verhandeln mit Russland als Appeasement und lehnt Verhandeln grundsätzlich ab. In der Absichtserklärung Schwedens für den Nato-Beitritt heißt es zudem:

Schweden akzeptiert den Sicherheits- und Verteidigungsansatz der Nato, einschließlich der wesentlichen Rolle von Atomwaffen.

Während die schwedische Haltung gegenüber Russland noch dem europäischen Konsens folgt, ist das gegenüber China nicht mehr so. Tatsächlich nimmt das einstmals neutrale Land, was auch zu Zeiten des Kalten Kriegs und realeren Bedrohungen als Friedensstifter fungierte, nun eine Falken-Position ein, während US-Präsident Joe Biden gerade die Spannungen gegenüber Beijing abzubauen versucht.

Trita Parsi, Direktor des Quincy Institute, und Frida Stranne, Politikwissenschaftlerin an der Halmstad Universität in Schweden, argumentieren in einem aktuellen Artikel in Foreign Policy "Schweden ist das Land von Ikea, ABBA und China-Falken", dass Schweden sich in kurzer Zeit zu dem aggressivsten Land gegenüber China entwickelt habe.

Im letzten Monat wurde in dem skandinavischen EU-Mitgliedsland ein außenpolitisches Dokument veröffentlicht, was dem Charakter der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA (NSS) entspricht. Dort werde unkritisch die Haltung der China-Hardliner in Washington übernommen, so die Autoren von Foreign Policy.

Nun werde wie in den USA behauptet, dass China, wie Russland, die regelbasierte internationale Ordnung bedrohe und attackiere. In den früheren Sicherheitseinschätzungen in Schweden wurde über diese Ordnung hingegen praktisch nicht gesprochen. Im aktuellen Papier wird dagegen drohend gewarnt, dass diese Ordnung unbedingt aufrechterhalten werden müsse.

Auch war früher immer von Bedrohungen die Rede, die von der Unberechenbarkeit seitens der USA ausgingen. Nun gibt es keinerlei Kritik mehr an Washington, und auch keine an der Nato, z.B. in Bezug auf die Destabilisierung Nordafrikas.

Einst Friedensstifter und als neutrale Kraft Garant dafür, den Dialog zu befördern, komme Schweden nun zu dem Schluss, "dass der einzige Weg zu Sicherheit und Stabilität im 21. Jahrhundert in der Konfrontation mit China liegt".

Damit demaskiere sich Stockholms diplomatische Grundhaltung, so Parsi und Stranne. Außenpolitik bedeute jetzt, den Hardlinern in den USA zu folgen und den Kurs auf Bekämpfung Chinas zu fokussieren.

Falkenpolitik, Meinungsmache und Stimmungsumschwung

Die schwedische Falkenpolitik gegenüber China zeigt sich auch in einem Vergleich mit der Sicherheitsstrategie der Bundesregierung, die ebenfalls im Juni veröffentlicht wurde. Dort wird laut Foreign Policy zum Beispiel 71-mal das Thema Klima angesprochen, China sechsmal. Im schwedischen Pendant sind es 53 Mal fürs Klima, aber sage und schreibe 331 Mal China. (In den Sicherheitspapieren in den Jahren zuvor wurde China nur am Rande erwähnt.)

Während Deutschland dem europäischen Konsens dabei mehr oder weniger folgt und von China als Rivalen und Konkurrenten spricht, aber Beijing in globalen Fragen auch als unvermeidbaren Partner ansieht, ist Stockholm kompromisslos. China wird ausschließlich als Bedrohung in den Blick genommen.

Der extreme außenpolitische Schwenk gegenüber Beijing wurde, wie der Beitritt zur Nato, ohne öffentliche Debatte vollzogen. Das ist angesichts der kämpferischen und militarisierten neuen Sichtweise, die dazu beitragen könnte, die Nato noch schärfer in eine Konfrontation mit China zu treiben, verblüffend.

Während die sicherheitspolitische Kehrtwende gegenüber China und die Abkehr von der diplomatisch ausgerichteten Neutralität in Schweden unter Tabu gestellt werden, verbreiteten die Medien Panik im Zuge des Einmarsches Russland in die Ukraine und präsentierten den überhasteten Nato-Beitritt als alternativlos.

Das hat viele Menschen in Schweden verunsichert. Es ähnele, so Parsi und Stranne, der US-Debatte über den Irak-Krieg vor zehn Jahren, bei der andere Meinungen ausgemerzt bzw. verunglimpft wurden. Zudem beherrsche das Narrativ der Biden-Administration, dass sich der Westen in einem großen "Kampf zwischen Demokratie und Autokratie" befände, die Meinungsbildung in Schweden.

Die Effekte der verzerrten Debattenführung zeigen sich in Umfragen. So ergab eine repräsentative Erhebung des European Council on Foreign Relations Anfang Juni, dass eine Mehrheit der Menschen in den Ländern der Europäischen Union der Auffassung ist, dass China ein "notwendiger Partner" für ihre Länder ist, im Gegensatz zu einem "Rivalen" oder "Gegner".

Die Umfrage, an der mehr als 16.000 Personen aus elf EU-Mitgliedstaaten teilnahmen, zeigt auch, dass eine solide Mehrheit der Befragten es vorziehen würde, dass ihr eigenes Land in einem möglichen Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China über Taiwan neutral bleibt.

Die meisten Europäer sehen die Vereinigten Staaten zwar als "Verbündeten" oder "Partner" an, sind aber auch mehrheitlich der Meinung, dass Europa seine eigenen Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten ausbauen sollte und sich bei der Gewährleistung seiner Sicherheit nicht immer auf Washington verlassen kann.

Schweden fällt in dieser Untersuchung aus der Reihe und vertritt die am stärksten ablehnende Haltung gegenüber China. Während nur 23 Prozent der Europäer dafür sind, sich den USA in einem Krieg mit China um Taiwan anzuschließen, und 62 Prozent es vorziehen, neutral zu bleiben, sind die Zahlen in Schweden viel höher.

35 Prozent der Schweden befürworten die Unterstützung der USA in einem Konflikt mit dem atomar bewaffneten China in diesem Szenario – der höchste Wert unter den befragten europäischen Staaten. Auch ist eine Mehrheit der Schweden, 56 Prozent, dafür, China zu sanktionieren, sollte das Land Russland im Krieg in der Ukraine unterstützen. Europaweit sind es nur 41 Prozent.

Es birgt eine bittere Ironie, dass das Land von Olof Palme, zweimaliger Ministerpräsident Schwedens, weltweite Stimme der Abrüstung, Verständigung und Advokat der Dritten Welt, der sich bewusst war, dass Diplomatie Kern internationaler Beziehungen sein muss, in wenigen Monaten zu einem Hort außenpolitischer Hardliner-Politik geworden ist.

Für eine drohende Konfrontation der Nato mit China ist die schwedische Kehrtwende kein gutes Omen.