Selbstgemachter Druck: Warum immer mehr Deutsche unter Stress im Job leiden

Computer-Maus biegt vom Aufstieg in die Kankschreibung ab

Mehr als 40 Prozent der Berufstätigen fühlen sich häufig gestresst. Doch Ursache ist meist selbst gemachter Perfektionismus. Wie wirkt sich das auf die Gesundheit aus?

Die Zeiten sind unruhig. Krise folgt auf Krise und die Aussichten sind eher trübe. Und dann gerät auch noch der Deutschen liebstes Kind, das gefühlte Symbol von Freiheit, in immer schwierigeres Fahrwasser. Fachleute erwarten inzwischen, dass sich die Autoindustrie in China eine neue Heimat sucht.

Chinesen zeigen sich viel agiler und können offensichtlich mit den Unsicherheiten, welche der Zeitenwandel mit sich bringt, viel besser umgehen. Haben die Deutschen einen historisch begründeten Mangel?

Psychische Erkrankungen nehmen in Deutschland zu

Die Daten der Krankenkassen zeigen immer mehr Krankheitstage aufgrund psychischer Erkrankungen. Wo liegen die Ursachen für diese Entwicklung?

Eine einfache Antwort wäre die Aussage, dass die Krankheitstage nominell nur zunehmen, weil die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in der Folge von Corona Anfang 2023 verbindlich eingeführt wurde. Seither erhalten Krankenkassen einen automatischen Hinweis, wenn einer ihrer Versicherten krankgeschrieben wird.

In der Vergangenheit sollten zwar Versicherte auch ihre Kasse informieren, was jedoch häufig nicht geschah, weil es nicht so einfach überprüft werden konnte. Die verwaltungstechnische Vereinfachung war möglicherweise für die statistischen Verschiebungen verantwortlich.

Denkbar wären auch die Änderungen in den arbeitstechnischen Abläufen, wie sie durch Digitalisierung und den Einsatz von KI bewirkt werden. Wenn die KI sich als Blackbox präsentiert, fühlen sich viele Beschäftigte schnell überfordert.

Wer etwas tiefer gräbt, stößt jedoch auf andere Ursachen für den erhöhten Krankenstand. Wie eine aktuelle forsa-Umfrage im Auftrag der KKH Kaufmännische Krankenkasse zeigt, fühlen sich 43 Prozent der Berufstätigen im Job häufig hohem Druck und Belastungen ausgesetzt. 15 Prozent sagen, sie stünden sogar sehr häufig unter Stress. Bei Frauen, die feststellen, dass sie mitunter bis an die Belastungsgrenze und darüber hinaus gehen, liegt dieser Anteil bei 20 Prozent.

Interessanterweise sieht die Mehrzahl der Betroffenen nicht die bösen Vorgesetzten als Ursache für den gefühlten Stress, sondern in erster Linie die Anforderungen an die eigene Person. Offensichtlich stecken 65 Prozent der Erwerbstätigen buchstäblich in der selbst geschaffenen Perfektionismus-Falle.

Sie fühlen sich durch ihre eigenen hohen Ansprüche an sich selbst unter Druck gesetzt, ihre Aufgaben im Job bestmöglich zu erledigen. Für 62 Prozent ist der Zeitdruck im Arbeitsalltag ein fast ebenso großer Stresstreiber. Ob dies an der schlechten Selbstorganisation liegt, war nicht Teil der Untersuchung.

Die Fehltage wegen Burn-out, die meist als Syndrom zu Beginn einer Stresserkrankung oder im Zuge weiterer seelischer Leiden diagnostiziert werden, bewegen sich vor allem seit 2022 auf einem hohen Niveau.

Frauen sind stärker von Stress betroffen als Männer

Die forsa-Umfrage zeigt, dass sich deutlich mehr berufstätige Frauen als Männer sehr häufig gestresst fühlen. Das könnte sich primär mit Blick auf die Doppelbelastung Familie und Beruf erklären.

Frauen wollen und sollen heutzutage nicht nur in ihrer Rolle als Mutter Leistung zeigen, sondern auch eine perfekte Karriere machen. Frauen leiden daher häufiger als Männer an stressbedingten psychischen Krankheitsbildern wie Anpassungsstörungen und in der Folge auch an Depressionen, da sie stärker belastet sind und dadurch weniger Zeit für ihre eigene Erholung haben.

Der hohe Belastungsdruck führt oftmals dazu, dass Warnsignale des Körpers falsch interpretiert oder gänzlich ignoriert werden. Wer dann nicht gegensteuert und keine Handlungsoptionen kennt, setzt die Abwärtsspirale in Gang. Psychische Erkrankungen können die Folge sein.

Stress kann auch schnell zum körperlichen Problem werden

Stress hatte in der Menschheitsgeschichte eine lebensrettende Funktion. Wenn eine Situation als bedrohlich wahrgenommen wird, schaltet der Körper auf Alarmbereitschaft um. In der Folge werden Botenstoffe, sogenannte Stresshormone wie Noradrenalin, Adrenalin und Cortisol, ausgeschüttet.

Dadurch setzt der Körper mehr Energie frei und man kann schneller reagieren. Das konnte in früheren Zeiten entscheidend sein, wenn plötzlich ein wilder Bär auftauchte, vor welchem man geschickt die Flucht ergreifen musste.

War dies in der grauen Vergangenheit meist nur ein punktueller Vorfall, sorgen hohe Anforderungen, ständiger Zeitdruck und Reizüberflutung mittels der digitalen Medien für einen dauerhaften Stress, der sich negativ auf unsere physische Gesundheit auswirken kann.

Ein direkter Zusammenhang zwischen Stress und bestimmten Krankheiten lässt sich allerdings in Studien nicht so einfach belegen. Dies wundert nicht wirklich, da Menschen viel komplexer aufgebaut sind als Maschinen und damit unterschiedlich reagieren können, obwohl die Rahmenbedingungen oberflächlich identisch erscheinen.

Kann Stress zu mehr Krebserkrankungen führen?

Dass dauerhafter Stress den Organismus belasten kann, ist heute allgemein anerkannt. Körperliche Erkrankungen vom Schlaganfall bis zum Bluthochdruck sind die Folgen. Bei Krebs scheinen die Wirkungsketten nicht so einfach zu sein.

Bekannt ist, dass eine andauernde Produktion des Stresshormons Cortisol das Immunsystem beeinträchtigt, welches die Entartung von Zellen normalerweise verhindert. Stress kann Entzündungen fördern und die Zellreparatur hemmen, was langfristig das Entstehen von Krebs erleichtert.

Aber auch indirekt könnte Dauerstress zu Krebs führen, indem er ungesundes Verhalten fördert. Wer sich stark gestresst fühlt, ernährt sich oft weniger ausgewogen und bewegt sich zu wenig. Er greift öfter zu Nikotin und Alkohol. Dass solch ein Lebensstil das Risiko für Krebserkrankungen erhöht, scheint gut belegt zu sein.