Seriöser Neonationalsozialismus?
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Mit dem Verbot von "Kameradschaften" wollte NRW die Neonazi-Szene schwächen. Doch die organisiert sich nun neu - als Partei
Am 23. August jähren sich die Verbote des "Nationalen Widerstandes Dortmund" (NWDO), der "Kameradschaft Aachener Land" (KAL) und der "Kameradschaft Hamm" (KSH). Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) wollte mit diesem Schritt "große Löcher in das rechtsextremistische Netzwerk in NRW" reißen. Doch nur kurz war die Braunszene verunsichert. Ein Jahr später scheint die neonazistische Szene nahezu unbeeindruckt und hat sich zu einem großen Teil unter dem Deckmantel der Splitterpartei "Die Rechte" (DR) reorganisiert.
Mit diesem Schritt hat die "Bewegung" sich organisatorisch quasi zurück bewegt in ein Zeitalter, das bis Anfang der 1990er Jahre gedauert hatte, als das Konzept jener "Kameradschaften" entstand. Vorangegangen waren zahlreiche Verbote bundesweit aktiver Neonazi-Organisationen und -Splitterparteien.
Angesichts dieses Desasters für die Szene schufen Führungskader den Weg der "Organisation ohne Organisationen", wie Thomas Wulff, Mitbegründer jener selbst ernannten "Nationalen Bewegung" es nannte. Wulff entwarf unter anderem gemeinsam mit Christian Worch ein Konzept, demzufolge künftig lokale "Kameradschaften" ohne Mitgliederlisten und ohne rechtliche Strukturen aktiv sein sollten.
Vernetzt werden sollten sie durch "Kameradschaftsführer", Entscheidungskader und "Aktionsbüros". Man nannte sich fortan "Freie Kameradschaften", "Freie Nationalisten" und "Freie Kräfte". Doch von Anbeginn an trat man durch gemeinsame Aktionen und Aufmärsche in Erscheinung. Mangels herkömmlicher Organisationsstrukturen wähnte man sich jedoch als fast unangreifbar durch staatliche Maßnahmen oder Verbote. Dennoch wurden einzelne solcher Gruppen wiederholt verboten. Und trotzdem sich die "Freien Kräfte" als parteiungebundene Neonazis verstehen, kam es zu engen Kooperationen mit der NPD (Lasst uns SA und NSDAP sein!). Eine Art Update dazu waren die "Autonomen Nationalisten" (AN) (Fast antiautoritäre Neonazis).
Besonders die Neonazis aus Dortmund, die als NWDO firmierten, hatten das Konzept der AN mit entwickelt und praktiziert. Sie wollten weg vom klassischen Bild des Neonazi-Skinheads oder Braunhemdträgers, hin zu einer jugend(sub)kulturellen Erscheinung, angelehnt zum Teil auch an das äußere Bild der linkautonomen Szene. Überwiegend optisch traditionellerer Neonazis fand man hingegen bei der eng mit dem NWDO verwobenen KSH sowie der KAL. Alle drei Neonazi-Banden wurden am 23. August 2012 wegen ihrer politischen Nähe zum Nationalsozialismus und ihres aggressiv-kämpferischen Auftretens verboten.
"Harter Schlag" gegen die Neonazi-Szene
Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) hatte diesbezüglich von einem "harten Schlag" gesprochen, den sein Ministerium der Neonazi-Szene "versetzt" habe. Die Behörden hätten "drei große Löcher in das rechtsextremistische Netzwerk in NRW gerissen". Strukturen seien zerschlagen worden. Bei der Großrazzia hatten rund 900 Polizisten fast 150 Objekte in über 30 Städten durchsucht. Vermögen und der Besitz der nach dem Vereinsgesetz als Vereine eingestuften Gruppen wurden beschlagnahmt, darunter auch der "Kameradschafter"-Bus des NWDO, ein VW-Transporter.
Auch das "Nationale Zentrum" in der Rheinischen Straße 135 in Dortmund, für Jäger das "Vereinsheim" des NWDO, wurde durchsucht und geschlossen. In den Räumen hatten Treffen, Schulungen und Vorträge stattgefunden. Im Zuge der Verbote wurde auch die Gründung etwaiger Ersatzorganisationen untersagt. Wochen später reichten Neonazis vor dem Oberverwaltungsgericht Münster mehrere Klagen gegen die Verbote ein. Führungskader des NWDO und der KSH suchten zudem neue Wege für das Beibehalten von Strukturen – und fanden diese außerhalb des Vereinsgesetzes unter dem Dach des bis dahin oft verschmähten Parteienprivilegs.
Parteigründung als Lösung
So gründeten sie schon am 15. September 2012 in Dortmund einen NRW-Landesverband der Partei "Die Rechte" (DR). Alte Führungskader der Neonazi-Gruppen bilden nun Teile des Landes- und DR-Bundesvorstandes, zudem wurden verschiedene DR-Kreisverbände in NRW gegründet. Auch hier bilden alte "Kameradschafts"-Kader zum Teil die Führungsgremien, etwa in Dortmund und Hamm. Ehemalige KAL-Mitglieder gründeten die Kreisverbände in Aachen und Heinsberg verspätet am 2. Februar 2013 – wobei das Datum eine Anspielung ist und das Warten erklärt, hatte sich die eigentlich schon seit 2001 bestehende KAL doch erst am 1. Februar 2002 offiziell gegründet.
Die Splitterpartei DR war an Pfingstsonntag 2012 in Hamburg durch ehemalige Mitglieder der rechtsextremen DVU und Neonazis rund um Christian Worch gegründet worden. Bundesvorsitzender ist denn auch Worch, der einst das Konzept der "Kameradschaften" mit entwarf. Geprägt wird die Partei in NRW seit Herbst 2012 durch Neonazis und AN aus dem militanten Spektrum. So stellte Ende Januar 2013 der Landesverfassungsschutz denn auch fest, im NRW-Landesverband der DR würden sich die Neonazis verbotener Gruppierungen neu sammeln.
Vermutlich handele es sich bei der DR auch nicht um eine echte Partei, sagte Verfassungsschutz-Chef Burkhard Freier zu Jahresbeginn im Innenausschuss des Landtags. Es bestehe daher der Verdacht, dass das Parteienprivileg bewusst missbraucht werde. Das NRW-Innenministerium prüfte also, ob die Partei eine verbotene Ersatzorganisation der früheren Neonazi-Banden sein könnte und ein Verbot möglich wäre. Ergebnis: Weder die Splitterpartei noch ihr NRW-Landesverband können vom Landesinnenministerium verboten werden, da die Mutterpartei bundesweit aktiv ist.
Angesichts der Verbote in NRW (siehe zu den Verboten und Ermittlungsverfahren 2012: Kameradschaften im Visier) sah sich Innenminister Jäger im Juni bei der Vorstellung des Landesverfassungsschutzberichtes dennoch weiter auf Erfolgskurs: "Vor allem die Verbote der Kameradschaften in Köln, Aachen, Dortmund und Hamm waren ein erfolgreicher Schlag gegen die rechtsextremistische Szene." Dennoch erinnerte Jäger an die Schattenseiten: "Die Unbelehrbaren [...] haben sich der Partei 'Die Rechte' mit einem eigenen Landesverband angeschlossen."
Jäger nannte die Partei ein
Auffangbecken für Mitglieder der verbotenen Kameradschaften und auch für [enttäuschte] Mitglieder der NPD. Diese Neonazis verkriechen sich hinter dem Schutzschild des Parteienprivilegs. Wie viel Provokation und Hass in dieser Partei stecken, zeigt sich bereits an ihren Kandidaten für die Europawahl: Wer einen angeklagten Neonazi in U-Haft auf Listenplatz eins und einen wegen Volksverhetzung verurteilten Veranstalter diverser Rudolf-Heß-Gedenkmärsche auf Listenplatz zwei aufstellt, zeigt unverblümt, was er von unserer Demokratie hält: Nämlich nichts.