Sicher ist sicher

Über die Pläne zur Privatisierung der Medikamentenzulassung und -überwachung

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Es kann schon sein, dass mit dem Börsengang der Bahn der letzte große Staatsbetrieb privatisiert werden würde (vgl. Vor dem Fallen des Hammers). Aber das heißt ja noch lange nicht, dass die Privatisierungswelle damit an ihrem Ende angelangt wäre.

Als der Bundestagsabgeordnete der CSU Wolfgang Zöller Anfang Oktober der Berliner Zeitung ein Interview gab, äußerte er sich zu einem Thema, das bisher keine große Aufmerksamkeit erregt hat: Zur geplanten Ablösung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) - also jener Behörde, die in Deutschland die Medikamentensicherheit zu gewährleisten hat - durch eine privatwirtschaftlich organisierte "Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukteagentur" (DAMA).

Gerade der 50. Jahrestag des Contergan-Skandals sei eine Erinnerung an die Notwendigkeit funktionierender, unabhängiger Kontrollen. Die Arzneimittelüberwachung sei eine genuin staatliche Aufgabe und könne nicht an private Firmen durchgereicht werden, die Gewinn zu erwirtschaften hätten. Den Schutz der Patienten stellte Zöller klar über das Interesse der Hersteller an einer "ungehinderten Vermarktung ihres Produktes". Interessante Ansichten vom Abgeordneten einer Partei, die an sich mit Privatisierungen noch nie große Probleme hatte.

Wenn man sich den Entwurf zum sogenannten DAMA-Errichtungsgesetz (PDF-Datei) anschaut, der in einer früheren Fassung noch unter der seinerzeitigen rot-grünen Koalition formuliert wurde, dann fragt man sich zunächst, warum Zöller bei seinem Interview so auf Touren gekommen ist. Denn es scheint doch nur um die Umwandlung einer Behörde in eine andere zu gehen: aus BfArM mach DAMA. Klingt wie die Verwandlung eines experimentellen Speisefettprodukts in eine neue Margarinemarke. Eine bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts soll die DAMA werden, mit der Fähigkeit zur Ernennung von Beamten, einem Verwaltungsrat, einem wissenschaftlichen Beirat und allen Extras, die so eine Institution braucht.

Interessen der Pharmaindustrie und Zuschüsse vom Bund

Die Sprache des Gesetzentwurfs ist die der typischen Juristenprosa, die viele Worte machen muss, anscheinend weil man für eine Bundesbehörde auf einen neuen Namen verfallen ist. Der Begriff "Privatisierung" taucht in keinem Paragraphen des Gesetzestexts selbst auf, auch wenn in der Begründung manchmal von "privatrechtlichen Anstellungsverträgen" und "privatwirtschaftlichen Gestaltungsformen" die Rede ist. Aber dann gibt es da den Paragraphen 12 (Finanzierung). Der erste Absatz lautet:

Die Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukteagentur finanziert die mit der Wahrnehmung der Aufgaben nach § 2 Abs. 1 verbundenen Ausgaben vollständig aus Gebühren und Entgelten.

Auch das klingt zunächst harmlos genug. Gebühren und Entgelte erheben Behörden jeden Tag, warum nicht auch die DAMA? Aber die "Aufgaben nach § 2 Abs. 1" meint: die Zulassung und Registrierung von Fertigarzneimitteln. Und da wirkt die Sache schon origineller: Denn die DAMA würde sich aus Gebühren und Entgelten der Firmen finanzieren, deren Produkte sie überwachen soll. Mag Herr Zöller das mit seiner Aussage gemeint haben, "die Gebührenfinanzierung sorge für einen erheblichen Druck seitens der Pharmaindustrie"?

Der Paragraph 12 schreibt aber nicht nur den De-facto-Charakter der neuen Behörde als einer markt- und kundenorientierten Dienstleistungszentrale fest, sondern er regelt auch, wer dafür aufkommt, wenn die Entgelte und Gebühren nicht so üppig fließen, wie geplant: der Staat nämlich. In Absatz 2 und 3 heißt es:

(...) Ab dem Jahr 2008 erhält die Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukteagentur für eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2011 jährlich einen Bundeszuschuss zur Deckung des Fehlbedarfs für die Aufgaben nach § 2. Im Jahr 2008 beläuft sich der Bundeszuschuss nach Satz 2 auf 20,13 Millionen Euro, im Jahr 2009 auf 16,71 Millionen Euro, im Jahr 2010 auf 14,14 Millionen Euro und im Jahr 2011 auf 12,14 Millionen Euro. (...) Ab dem Jahr 2012 erhält die Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukteagentur jährlich einen Bundeszuschuss zur Deckung des Fehlbedarfs für die Aufgaben nach § 2 Abs. 2 bis 4 von 10,61 Millionen Euro.

Hier haben wir also die beabsichtigte Gründung einer "bundesunmittelbaren Anstalt" als Dienstleistungsunternehmen vor Augen, das zwar nach marktwirtschaftlichen Prinzipien handeln soll, aber aufgrund seiner Wichtigkeit von Tag eins ab eine staatliche Rückfallversicherung mit auf den Weg bekommt, die sein Funktionieren für alle Zeiten garantiert.

Der Gesetzentwurf enthält Kappungsgrenzen? Sicher. Und was will die Regierung tun, wenn die Selbstfinanzierung der neuen Behörde durch Gebühren und Entgelte einfach nicht funktioniert? Sie kann dann die Preise senken - und damit höchstwahrscheinlich auch die Standards -, um "neue Kunden zu generieren", wie es so schön heißt. Oder sie kann auf die eine oder andere Art zubuttern, damit die Kasse wieder stimmt. Eine Art des Zubutterns ist auch schon geregelt, nämlich die durch zinslose Kredite. In Absatz 5 des besagten Paragraphen 12 steht:

(...) Der Bund gewährt zinslose Darlehen zur Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten, wenn die Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukteagentur diese kurzfristig nicht durch eigene Maßnahmen abwehren kann. (...)

Nie war Marktwirtschaft schöner.

Ein Schelm, wer an Lobbyismus denkt

Dass die Rede vom markt- und kundenorienterten Dienstleistungszentrum nicht überzogen ist, beweisen sowohl die Presseerklärung des Gesundheitsministeriums zur Sache, als auch das Vorwort und die Begründung des Gesetzentwurfs selbst. Diese Texte lesen sich wie die Hochglanzbroschüren zur Gründung einer Privatfirma, die mit nie dagewesenen Produkten aufzuwarten hat. Von "Wettbewerb" ist die Rede und von "Aufstellung", von "Marktorientierung" und "Konkurrenzfähigkeit" - die üblichen Business-Phrasen eben, die man aus der Privatwirtschaft so gut kennt. Kein Wunder, heißt es doch zur Vorgeschichte des Gesetzentwurfs:

Die auf Initiative der Bundesministerin für Gesundheit im Mai 2003 eingesetzte „Task Force zur Verbesserung der Standortbedingungen und der Innovationsmöglichkeiten der pharmazeutischen Industrie in Deutschland“ hat in ihrem Abschlussbericht vom 7. Juni 2004 gegenüber dem Bundeskanzler auf erhebliche Defizite im Arzneimittelzulassungssystem in Deutschland, die im Bereich des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte begründet sind, hingewiesen und eine grundlegende und umfassende Reorganisation des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte für notwendig erachtet.

Zu diesem Ergebnis gelangen auch der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen vom Mai 2004 sowie die durch das ehemalige Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung aufgrund der Erkenntnisse der „Task Force“ am 9. März 2004 eingerichteten Lenkungsgruppe „Organisationsstruktur und Verfahrensabläufe im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ in ihrem Abschlussbericht. Die genannten Gremien fordern in ihren Ergebnissen und Empfehlungen im Kern übereinstimmend eine Abkehr von der bisherigen behördentypischen hin zu einer stärker marktorientierten Ausrichtung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, wie sie bei den Zulassungsbehörden in anderen Ländern bereits vollzogen ist.

Ein Schelm, wer dabei an Lobbyismus denkt. Wie viel Phantasie aber braucht es, um zu erahnen, dass hier Zustände geschaffen werden, bei denen die Pharmaindustrie die Kosten für die Zulassung ihrer Produkte weitgehend selbst bestimmt, indem sie nämlich dort in Europa prüfen lässt, wo es am günstigsten kommt? Wie der groteske Run auf die "Wettbewerbsfähigkeit" bei Medikamentenzulassung und -überwachung die Medikamentensicherheit erhöhen soll, wenn sie naturgemäß nur einen Kostenfaktor darstellt, bleibt das Geheimnis des Gesetzentwurfs - auch wenn er den Begriff "Pharmakovigilanz" scheinbar in hohen Ehren hält.

2006 ließ die deutsche Firma TeGenero einen neuen Wirkstoff in England testen, der bei allen sechs Probanden schwerste Nebenwirkungen hervorrief. Obwohl von TeGenero-Offiziellen betont wurde, dass die Durchführung des Tests den gültigen Bestimmungen entsprochen habe, kritisierten britische Ärzte immerhin, dass der Wirkstoff allen Patienten gleichzeitig verabreicht worden sei.

Ob dieser Vorfall unmittelbar mit dem Umbau des europäischen Systems zur Medikamentenkontrolle zu tun hat, sei dahingestellt; ein Restrisiko wird bei solchen Versuchen immer bleiben. Aber er zeigt doch deutlich, dass Zeitdruck dieses Risiko massiv erhöht.

Kompromissvorschlag ohne Lösung?

Wolfgang Zöller ist der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag. Ist mit seinem Einspruch die DAMA vom Tisch? Die aktuelle Fassung des Gesetzentwurfs (Stand 23.2.2007) ist im Gesetzgebungsverfahren relativ weit vorgedrungen. Sie ist von der Bundesregierung beschlossen worden. Wie das Begleitschreiben an den Bundestagspräsidenten betont, hat der Bundesrat bereits signalisiert, keine Einwendungen nach § 76 Abs. 2 GG zu erheben.

Zudem zeigt sich Wolfgang Zöller selbst kompromissbereit. Zwar sei die Union grundsätzlich gegen die Errichtung der DAMA, das BfArM mache seine Arbeit gut. Aber unter Rücksicht auf den Koalitionsvertrag, der eine Reform des BfArM festlegt, sei ein geändertes Modell durchaus diskussionsfähig. Die noch zu gründende DAMA solle doch in Zukunft für die Zulassung von Medikamenten zuständig sein, während das BfArM weiterhin für die Arzneimittelüberwachung verantwortlich zeichnen könne. Was dieser Kompromiss angesichts der von ihm selbst beschworenen Gefahren bringen soll, verriet Zöller allerdings nicht.

Ergänzung:

Neuerdings lässt der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie verlauten, das DAMA-Errichtungsgesetz sei "praktisch gescheitert"*. Als Grund für diese Sicht der Dinge gibt man an, dass in der Regierungskoalition keine Einigkeit zu dem Thema Arzneimittelsicherheit erzielt worden sei. Ob das nun einen Schlussstrich unter die geplanten Kursänderungen in der Medikamentenzulassung und -überwachung setzt, bleibt allerdings ungewiss.

* Dank an den Leser und Forenteilnehmer "Tagebruch" für den Hinweis auf die entsprechende Presseerklärung.