"Sichere Gebiete" in Afghanistan: Konter gegen de Maizière
- "Sichere Gebiete" in Afghanistan: Konter gegen de Maizière
- "Der angestrebten Intensivierung der Rückführung steht nichts entgegen"
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Bomben, die Entwicklung der Lage, das UNHCR und Landeskenner widersprechen der Einschätzung des Innenministers, der die Rückführungen ins Land intensivieren will
Am Dienstag wurden mehrere Sprengstoffanschläge aus Afghanistan gemeldet, zwei in der Hauptstadt Kabul, in unmittelbarer Nähe zum afghanischen Parlament, in einer Straße mit viel Verkehr, es gab "zahlreiche Tote", so die Tagesschau. Ein Anschlag wurde in Lashkargah, der Hauptstadt der Provinz Helmand, ausgeführt, und einer in der Provinz Kandahar, im Haus des Gouverneurs, wo sich der Gouverneur und Vertreter der Vereinigten Arabischen Emirate aufhielten und getötet wurden.
Für den Doppelanschlag in Kabul übernahmen die Taliban die Verantwortung, für den Anschlag in Lashkargah, Helmand, soll ebenfalls ein Selbstmordattentäter der Taliban verantwortlich sein. Die Urheberschaft des Anschlags in Kandahar ist noch ungeklärt. Hierfür übernahmen die Taliban nicht die Verantwortung. Insgesamt kamen über 40 Menschen ums Leben, zahlreiche wurden verletzt.
Die Schaffung einer "sicheren Zone" für die Taliban?
Ebenfalls vor zwei Tagen brachte AFP eine irritierende Meldung aus dem "sicheren Herkunftsland Afghanistan". Dort findet sich ein verblüffender Deeskalationsvorschlag. Afghanische Vertreter plädieren nach Informationen der Nachrichtenagentur für die Schaffung einer sicheren Zone - für die Taliban. Zitiert wird der Polizeichef von Kandahar, namens Abdul Raziq, der Taliban in Pakistan dazu auffordert, nach Afghanistan zurückzukehren. Man werde für sie und ihre Familie eine "sichere Zone" schaffen, soll Abdul Raziq einer Versammlung von religiösen Würdenträgern und Stammesältesten unterbreitet haben.
Der leitende Gedanke besteht darin, den Einfluss Pakistans auf die Taliban zu schmälern. Pakistan versucht über die Taliban, die Regierung im Nachbarland zu unterminieren, eine Art Stellvertreterkrieg. "Wir können uns nicht länger auf ausländische Regierungen und Botschaften verlassen, um den Krieg zu beenden. Die Taliban gehören zu unserem Land. Sie sind Söhne unserer Erde", wird Abdul Raziq zitiert.
Die Strategie ist umstritten, sie wird auch von afghanischen Vertretern als "unlogisch" bezeichnet. Abzulesen ist daran, worauf auch die Bombenanschläge verweisen: Um die Sicherheitslage in Afghanistan steht es schlecht. Auf diesen Punkt hebt auch der kommentierende Bericht der US-Publikation Long War Journal ab.
Kaum Aussichten auf einen Friedensprozess
Er stellt die Glaubwürdigkeit des Polizeichefs General Abdul Raziq heraus, der sich über Jahre hinaus einen Namen als Anti-Taliban-Kämpfer gemacht hat. Umso beunruhigender stelle sich die Lage in Afghanistan dar. Wenn Raziq die Taliban als "Söhne unserer Erde" bezeichne, dann sei klar, dass er nicht daran glaubt, dass er seine Abwehrlinie im Süden noch sehr viel länger halten kann.
Für das Long War Journal ist das keine Überraschung. Dort wird die Entwicklungen in Afghanistan seit längerem verfolgt und die Landgewinne der Taliban auf einer Karte verzeichnet. Der derzeitige Lagebefund lautet, amerikanisch-anschaulich auf den Punkt gebracht: Die Taliban kontrollieren gegenwärtig größeres Territorium als zu je zuvor seit dem Einmarsch der US-Truppen im Herbst 2001.
Der Vorschlag der Einrichtung einer safe zone wird nicht lange nach überlegenswerten Aspekten erwogen. Die Verzweiflung darin genügt; ergänzt wird, dass man die dem Vorschlag zugrundeliegende Annahme, man könne so einen Friedenprozess mit den Taliban einleiten wird, wenig Aussichten einräumt.
Es sei ein Irrtum, davon auszugehen, dass die Taliban Interesse an einer Friedensvereinbarung hätten und daran, sich dem politischen Prozess in Afghanistan anzuschließen. Angesichts dessen, dass die afghanische Regierung und das Militär an Boden verliere, sei es abstrus daran zu glauben, dass die Taliban jetzt Konzessionen machen würden.
UNHCR: Entscheidungspraxis des Bamf "eher überraschend"
Aus Sicht der deutschen Regierung, die verstärkt auf Abschiebungen von Flüchtlingen nach Afghanistan setzt (Abschiebungen nach Afghanistan: Der erste Flug nach Kabul), ist das keine beruhigende Lageeinschätzung, geht sie doch davon aus, dass es in dem Land "sichere Gebiete" gebe, auch wenn ihrer Behauptung immer wieder das Gegenteil vorgehalten wird - auch von öffentlich-rechtlichen Medien.
Im Dezember hat sogar das UNHCR direkt auf eine Anfrage des deutschen Innenministeriums zur Situation in Afghanistan geantwortet. Schon im ersten Satz wird festgestellt, dass man bei der Bewertung der gegenwärtigen Situation und im Land und des Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender berücksichtigen müsse, dass sich die Sicherheitslage seit April 2016 "nochmals deutlich verschlechtert habe".
Vor diesem Hintergrund sei die statistischen Entwicklung der Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration "eher überraschend". Das Papier widerspricht in einigen zentralen Punkten der Annahme von sicheren Zonen, wie dies in konzentrierter Form beim deutschen Afghanistan-Kenner Thomas Ruttig nachzulesen ist.
Herausgehoben seien hier die Kern-Aussagen, dass das "gesamte Staatsgebiet" Afghanistans von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen sei und dass man "aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage" nicht zwischen sicheren und unsicheren Regionen im Bürgerkriegsland unterscheiden könne.
Das gelte auch für die Feststellung sogenannter interner Schutzalternativen - also die von der Bundesregierung behaupteten, aber nie öffentlich benannten "sicheren Gebiete"; dort sei "in jedem Einzelfall eine individuelle Entscheidung erforderlich". Allerdings geht aus dem UNHCR-Bericht indirekt hervor, dass es sich dabei um die Provinzen Kabul, Bamian, Pandschir und Herat (handelt, Einf. d.A.)), denn zu diesen habe die Bundesregierung "gebietsspezifische" Informationen angefragt.] Die Situation im Land sei außerdem so "volatil" [ein Begriff, den auch die Bundesregierung intern verwendet, allerdings nur für bestimmte Gebiete], dass bei Asyl-Entscheidungen stets die aktuellsten Informationen genutzt werden müssten. Auch dieser Satz ist als Kritik zu verstehen, da die Asylentscheidungen des Bamf auf Informationen beruhen, die zum Teil fast zwei Jahre alt sind.
Thomas Ruttig
Der Innenminister antwortete unbeirrt auf die Einschätzung des UNHCR.