"Signifikant gestiegene globale Inflationsrisiken"

Trotz einer leichten Abschwächung der Inflation, kann keine Entwarnung gegeben werden

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Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen im Euroraum wie erwartet stabil gehalten, obwohl die Inflation nach Angaben der EU-Statistikbehörde leicht gefallen sei. In China stieg sie erneut auf 8,5 Prozent an und die Preise für Lebensmittel sind dort sogar um 22 Prozent in die Höhe geklettert. Auch in Indien hat die Inflation ein neues Rekordniveau erreicht. Steigende Ölpreise erhöhen weltweit den Druck auf die Preise und wegen fallender Realeinkommen warnt man in Brüssel nun vor Zweitrundeneffekten. Nach Angaben der Dresdner Bank haben die Beschäftigten in Deutschland allein in den letzten fünf Jahren 3,7 Prozent Kaufkraft verloren. Der US-Notenbankchef deutet an, dass die eigentliche Immobilienkrise erst noch bevorsteht.

Beim der letzten Zinsentscheidung hat die Europäische Zentralbank in der vergangenen Woche die Leitzinsen wie erwartet stabil bei 4 % gehalten. Mit Spannung war zuvor nur erwartet worden, ob EZB Präsident Jean Claude Trichet auf der Pressekonferenz die Bereitschaft zu einer Zinssenkung andeutet. Genau das Gegenteil war der Fall, als Trichet auf die "signifikant" gestiegene Inflation hingewiesen hat. Mittelfristig werde sich daran auch nichts ändern, weil die Inflationsrisiken global gestiegen seien. Die Inflation werde auch in den kommenden Monaten deutlich über der EZB-Zielmarke von 2 % liegen, sagte er.

Die Rate hätte "in den letzten sechs Monaten über 3 % gelegen" heißt es in einer Erklärung zur Zinsentscheidung, was einigermaßen beschönigend wirkt. Die Inflation lag im Februar bei 3,3 und im März sogar bei 3,6 Prozent. In beiden Fällen war die Vorrausschätzung der europäischen Statistikbehörde, wie erwartet, jeweils zu niedrig ausgefallen. Mit Vorsicht muss deshalb auch Vorhersage genossen werden, auf die sich Trichet bezog. Nach der EU-Statistikbehörde Eurostat ist die Inflation im April voraussichtlich leicht auf 3,3 % gefallen.

Diesen Zahlen traut Trichet offenbar nicht, sonst hätte er einer möglichen Zinssenkung nicht eine derartig klare Absage erteilt, die unzweifelhaft die schwächelnde Konjunktur im Euroraum stützen könnte. Als Begründung, die Zinsen stabil zu halten, führte er "die Möglichkeit von steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen" an. Aber auch die Staaten selbst trieben die Inflation mit "administrativen Gebühren und indirekten Steuern" weiter an.

Preisanstieg in China und Indien

Tatsächlich gibt China ein Beispiel dafür ab, wie die Inflation nur auf hohem Niveau schwankt. Trotz Maßnahmen zur Begrenzung - die Regierung wollte sie für 2008 auf 4,8 Prozent drücken - ist nach neuesten Angaben die Inflationsrate wieder gestiegen. Nach dem zwölfjährigen Rekordstand von 8,7 % im Februar war die Jahresteuerung im März auf 8,3 % gesunken, stieg aber schon im April nun wieder auf 8,5 % an. Dafür waren erneut vor allem die stark gestiegenen Preise für Nahrungsmittel verantwortlich, die sich sogar um 22,1 % verteuert haben. Anders als gerne behauptet, hat sich der Import von Nahrungsmitteln in China aber nicht drastisch erhöht. Im vergangenen Jahr produzierte China mehr Reis, als es verzehrte, und es wurde auch mehr Fleisch aus- als eingeführt. Eine Tonne Reis kostete in Nordostchina Ende April zwischen 240 und 260 Euro, während sie auf dem Weltmarkt etwa drei Mal so teuer war.

Die chinesische Zentralbank kündigte als Reaktion auf die erneut steigende Inflation am Montag an, den Mindestreservesatz für Geschäftsbanken zum vierten Mal in diesem Jahr zu erhöhen. Die People's Bank of China (PBoC) teilte mit, sie werde den Zinssatz um 0,5 % auf 16,50 % anheben. Die Erhöhung trete am 20. Mai in Kraft. Die Notenbank hofft, durch die Erhöhung des Mindestreservesatzes das Kreditwachstum im Lande einzugrenzen.

Der Anstieg der Preise für Rohstoffe und Lebensmittel haben auch die Inflation in Indien auf den höchsten Stand seit dreieinhalb Jahren getrieben. In dem zweiten großen Schwellenland sind die Großhandelspreise erneut gestiegen. Liegt die definierte Schmerzgrenze der Regierung bei 5 %, haben sich die wichtigsten Großhandelspreise zum Vorjahr um 7,6 Prozent verteuerte. Neben den Nahrungsmitteln sind hierfür auch Rohstoffe verantwortlich. Nach Angaben des Finanzministeriums machen die Preisanstiege bei Stahl- und Stahlerzeugnissen rund ein Fünftel der Teuerung aus, die auf stark gestiegenen Preisen für Kokskohle und Eisenerz beruhten. In beiden Ländern macht sich auch der weiter stark steigende Ölpreis bemerkbar, der letztlich auch das Inflationsniveau in Europa hochhalten wird. Neben den Inflationsrisiken sieht Trichet aber auch weiter potentiell große Risiken über die globale Finanzmarktkrise für die Ökonomien der EU, die von der geplatzten Immobilienblase in den USA ausgelöst wurde. Die "Turbulenzen an den Finanzmärkten" könnten insgesamt negativere Auswirkungen haben, als bisher angenommen wird, erklärte Trichet.

Mehr als orakeln bleibt auch Trichet nicht übrig, denn trotz aller Ermahnungen an die Banken, endlich die genauen Zahlen auf den Tisch zu legen, ist das ganze Ausmaß noch immer nicht abschätzbar. Weiterhin müssen Banken weitere oder neue Milliarden abschreiben, die sich am Subprime-Geschäft kräftig verspekuliert haben. Eine wirkliche Nachricht ist das inzwischen aber längst nicht mehr.

Doch die Krise hat sich längst auf andere Bereiche ausgeweitet und der frühere US-Zentralbankchef Alan Greenspan sieht die US-Wirtschaft nun in einer Rezession. Es handele sich bisher um eine "schwache Rezession“, sagte er dem Finanzdienst Bloomberg. Doch könne man nicht sagen, wann die Kreditkrise im US-Immobilienmarkt überwunden sein werde.

Sein Nachfolger Ben Bernanke ist mit seinem geldpolitischen Latein offenbar am Ende. Er hat mit seinen ständigen Leitzinssenkungen die Schleusentore weit geöffnet (Fed öffnet die Schleusentore) und kürzlich erst den Leitzins erneut um 0,25 % auf nun 2 Prozent gesenkt. Die erwartete Stärkung der Wirtschaft ist mit der siebten Senkung des Leitzinses in Folge aber bisher nicht eingetreten. Dafür wurden mit anderen Maßnahmen aber eherne Gesetze der US-Notenbank gebrochen. Dass die FED von den Banken auch zweifelhafte Anleihen als Sicherheiten akzeptiert, wird von Greenspans Vorgänger als "Point of no Return" bezeichnet. Die Auswirkungen dieser Unsitte, die nun auch von der Bank of England praktiziert wird (Wie faule Kreditgeschäfte sauber werden), sind nicht absehbar. Vermutet wird, dass die globale Dominanz des Dollars angesichts seines drastischen Wertverlusts alsbald beendet sein dürfte . Andere gehen aber noch deutlich darüber hinaus und machen eine globale Systemkrise des Spätkapitalismus aus.

Jedenfalls ruft nun auch Bernanke nach staatlichen Hilfen. Hatte er nach der Rettung von Bear Stearns noch davon gesprochen, ein "Bankensterben" sei unvermeidlich, fordert er nun, deren Verluste in dreistelliger Milliardenhöhe zu sozialisieren und auf die Steuerzahler abzuwälzen. Er forderte vom US-Kongress, entsprechende Maßnahmen gegen die Krise zu ergreifen, da die Probleme am Immobilienmarkt Auswirkung auf die die gesamte Ökonomie zeitigen könnten.

Dass dies längst der Fall ist, lässt sich an der weiter steigenden Arbeitslosigkeit ablesen. Sie liegt derzeit auf dem höchsten Stand seit vier Jahren. Bernanke will die große Zahl an Zwangsvollstreckungen eindämmen, denn das sei nicht nur im Interesse der Geldgeber und Schuldner, sondern im Interesse aller, sagte er. Seine Zahlen machen deutlich, dass der Tiefpunkt der Krise noch aussteht. In den USA wurden im vergangenen Jahr rund 1,5 Millionen Zwangsvollstreckungen eingeleitet. Das waren gut 50 % mehr als noch im Vorjahr. Bernanke geht davon aus, dass es im laufenden Jahr noch deutlich mehr sein werden. Er forderte deshalb, dass Immobilienfinanzierer wie Fannie Mae, die sich zum Teil in staatlicher Hand befinden, den zahlungsunfähigen Familien unter die Arme greifen sollen. Die sollten auf Teile der Schulden verzichten und der Staat müsse künftig direkt Hypotheken refinanzieren.

Preis-Lohn-Spirale

Angesichts der Nachrichten aus den USA, sind die Warnungen Trichets vor den Folgen der Krise verständlich. Der EZB-Politik versucht sich weiter in einem Spagat zwischen Konjunkturpolitik und Preisstabilität, was die eigentliche Aufgabe der EZB ist. Das führt dazu, dass er, anders als von der Politik gerne gefordert, die Leitzinsen nicht senkt, um die Konjunktur zu stützen. Er hebt sie wegen der hohen Inflation und den starken Inflationsrisiken aber auch nicht an, was nötig wäre, um sich wieder dem Inflationsziel von 2 % zu nähern.

In der Frage der Inflationsbekämpfung macht sich Trichet vor allem dafür stark, gegen die befürchteten Zweitrundeneffekte anzureden. Die EZB schließt sich damit den EU-Finanzministern an, die vor allem den Arbeitnehmern wieder die Kosten für die Kreditkrise aufladen wollen (EU-Arbeitnehmer sollen die Zeche für die Finanzkrise zahlen), während die Spekulationsgewinner unangetastet bleiben (Die Zocker sind im globalen Kasino die großen Gewinner). Wieder einmal wird von den Beschäftigten in Europa eine Lohnzurückhaltung gefordert. Höheren Löhnen würden wiederum höhere Preise folgen, womit die Lohn-Preis-Spirale in Gang käme, ist die oft benutze Formel.

Angesichts der Entwicklungen in den letzten 15 Jahren ist es aber die Frage, ob nicht korrekter von einer Preis-Lohn-Spirale gesprochen werde müsste und der Konsum darüber immer stärker abgewürgt wird. Seit langem steigen die Preise deutlich stärker als die Löhne. So habe in den vergangenen fünf Jahren die Kaufkraft der Beschäftigten in Deutschland um 3,7 Prozent verringert, seit 1991 sogar um 6,1 Prozent. Das ergaben Berechnungen der Dresdner Bank. "Die Verbraucherpreise sind stärker gestiegen als die Einkommen der Arbeitnehmer", wird der Dresdner-Bank-Volkswirt Lorenz Weimann zitiert. Zwar seien die Nettogehälter seit 1991 um 28,5 Prozent gestiegen, die Preise aber mit 36,8 Prozent deutlich stärker. Die Kaufkraftentwicklung bleibe nach Weimann deshalb enttäuschend.

In anderen europäischen Staaten, mit deutlich höheren Inflationsraten, war diese Entwicklung noch drastischer. In Spanien sind neben der stets überdurchschnittlich hohen Inflation wegen der auch dort platzenden Immobilienblase ohnehin schon ähnliche Phänomene wie in den USA zu beobachten. Die Arbeitslosigkeit steigt und steigt - erstmals seit 24 Jahren sogar wieder im April. Betroffen waren vor allem die Regionen, die stark an der Bauwirtschaft hängen, weshalb im Baskenland die ohnehin niedrige Arbeitslosenquote weiter gesunken ist.

Der Wirtschaftsminister Pedro Solbes gesteht eine Horrormeldung nach der anderen ein, während sogar die große Zeitung El País, die der sozialistischen Regierung nahe steht, schon vom "Flirt mit der Rezession" spricht. Solbes meint nun, dass sich der Abbau von Arbeitsplätzen "möglicherweise beschleunige". Er sagt auch, dass die angepeilte Inflationsrate von ohnehin hohen 3 % "sehr schwer zu erreichen" sein werde und auch in Spanien die Saumseligkeit bei der Rückzahlung der Kredite deutlich steige. Ins Reich der Märchen darf wohl die Angabe der Regierung verwiesen werden, die offiziell noch immer ein Wachstum von 2,3 % erwartet.