Sind die Mini-Monster schon unter uns?

Die umstrittene Existenz der Nanobakterien

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Zuerst entdeckten die Geologen winzige Strukturen in Meteoriten und im Gestein heißer Quellen. Sie interpretierten diese Strukturen als bisher unbekannte, winzigste Lebensformen oder deren Fossilien. Das war die Geburtsstunde des Begriffs "Nanobakterien".

Seit Jahren versuchen nun Humanmediziner zu beweisen, dass es solche Krankheitserreger aus der Nanowelt gibt. Aber bis heute ist der Großteil der Wissenschaftler nicht davon überzeugt, dass es diese Organismen der Nanowelt wirklich gibt. Jetzt legen US-Forscher neue Beweise dafür vor, dass Nanobakterien an der Arterienverkalkung beteiligt sind.

Mögliche Nanobenstrukturen in Boden auf Vulkanfelsen nahe Viterbo in Italien (Bild: Mississippi State University)

In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals New Scienstist geht die Debatte um die "Nanoben" (Wie groß müssen die kleinsten Organismen sein?) in die nächste Runde. Die Grundfrage lautet: Sind die sich selbst reproduzierenden Kleinststrukturen tatsächlich Lebewesen oder nur seltsame Kristalle? Denn im Grunde sind sie zu klein, um lebensfähig sein zu können. Aber die Zwergenwelt (Nano bedeutet in Griechisch Zwerg) hat sich in jüngster Vergangenheit immer wieder als verblüffend erwiesen, in ihr herrschen ganz eigene, verwirrende Gesetze (Heftige Diskussion um Nanotechnologie). Ein Nanometer entspricht einem Millionstel Millimeter. Wenn man ein menschliches Haar 50.000 Mal spaltet, erhält man eine Faser dieser Dicke.

Alles begann 1990 im italienischen Viterbo, wo Robert L. Folk von der University of Texas in den Thermalquellen etwas fand, dass er als bakterielle Formen interpretierte, obwohl es nur ein Zehntel der Größe von Bakterien hatte (Nanobacteria: Surely not figments, but what under heaven are they?). Die kleinsten Bakterien sind höchstens 200 Nanometer lang, die Nanobakterien) aber nur 20 bis 150 Nanometer.

Ähnliche Strukturen wie in den Bodenproben von Viterbo auf dem Marsmeteoriten ALH840001 (Bild: NASA)

Die NASA glaubte dann Spuren von Nanoben in Meteoriten vom Mars gefunden zu haben (How small can life be?). Danach kam die Biologen und Mediziner und inzwischen gelten Nierensteine, der graue Star und Arthritis als Erkrankungen, bei denen die Winzbakterien eine Rolle spielen könnten.

Nanobakterien als Verursacher von Arterienverkalkung

Jetzt veröffentlichten Forscher um John Lieske von der Mayo-Clinic in Rochester im "American Journal of Physiology: Heart and Circulatory Physiology" einen Artikel, in dem sie Beweise vorlegen, dass Nanobakterien bei Verkalkung der Arterien und der Herzklappen im Spiel sind.

Ähnliches - bezogen auf Nierensteine - behaupteten Olavi Kajander und Kollegen von der finnischen University of Kuopio schon 1998 in ihrem Artikel "Nanobacteria: An alternative mechanism for pathogenic intra- and extracellular calcification and stone formation". Sie erlebten lebhaften Widerspruch der Wissenschaftswelt (An alternative interpretation of nanobacteria-induced biomineralization), auch weil schnell klar wurde, dass das finnische Team finanzielle Interesse hatte, diverse Patente anmeldete und in Florida eine Firma namens Nanobac Life Sciences) gründete, die Testverfahren zum Aufspüren von Nanobakterien verkauft und auch an Therapien arbeitet, obwohl die Existenz der Erreger nicht als nachgewiesen gelten kann. Entsprechend scharf fielen die Kritiken der Wissenschaftswelt gegen diese Vorgehensweise aus.

Nanobakterien und Tonmineralien, die sich unter Wasser in prähistorischer Lava des sizilianischen Ätna entwickelten. (Bild: Mississippi State University)

Das Team der Mayo-Clinic hat keine derartigen Absichten, aber ihr Artikel musste durch sieben Revisionsrunden, bevor er von dem Fachblatt anerkannt wurde. Die Hauptautorin, Virginia M. Miller, betrachtet die kritische Haltung der Verleger nicht als Nachteil:

"Der Überprüfungsprozess, so schmerzvoll er auch war, hat uns gezwungen, die Gegenargumente von innen nach außen, von oben nach unten und von hinten nach vorne zu betrachten und dann unsere Experimente zu wiederholen."

Die Forscher nahmen Proben von verkalkten Arterien und Herzklappen, stellten daraus Lösungen her und filterten das Ganze, damit alle Partikel mit einem Durchmesser von mehr als 200 Nanometern entfernt wurden. Das ist die übliche Vorgehensweise, um Wasser keimfrei zu machen, da nach herkömmlicher Auffassung nichts Kleineres leben kann (Aqua-Free).

Dann wurde der Rest in ein steriles Medium gegeben und nach einigen Wochen war klar, dass sich Partikel in dem Filtrat selbst reproduziert hatten. Unter dem Elektronenmikroskop zeigte sich, dass die 30 bis 100 Nanometer großen Partikel eine zellähnliche Struktur hatten. Außerdem hatten sie in dem Prozess der eigenen Vermehrung Uridin absorbiert, ein Stoff, der wesentlicher Bestandteil der Ribonukleinsäure (RNS) ist.

Viel zu klein, um Leben zu sein

Gegner der Nanobakterien überzeugt das alles noch lange nicht. Sie vertreten die Ansicht, dass die Gebilde schlicht zu klein sind, um als Bakterien bezeichnet zu werden. In diesem Zwergenbereich gibt es nur noch Viren und die haben keinen autonomen Stoffwechsel, sie sind nicht fähig, sich alleine selbst zu reproduzieren. Unter einem Durchmesser von 140 Nanometern ist nicht genügend Platz für das Erbgut, wird argumentiert.

Für Kritiker wie John Cisar vom National Institute of Health handelt es sich schlicht um Kristallwachstum und nicht um eine neue Form von Bakterien:

"Es gibt immer wieder Leute, die versuchen dem immer wieder Leben einzuhauchen. Es ist, als hinge das Erklärungsmodell an einem Lebenserhaltungssystem."

Der Molekularbiologe Jack Maniloff von der University of Rochester im Staat New York geht in seinem Kommentar zum Artikel der Mayo-Kliniker sogar noch weiter:

"Das ist kein Beweis. Ich glaube nicht, dass das reell ist. Es handelt sich um die kalte Fusion der Mikrobiologie."

Bisher hat noch keiner DNS entdeckt, nur das eigentliche Erbgut wäre ein schlagender Beweis. Das Mayo-Team arbeitet daran, will aber noch nichts zum Stand der aktuellen Forschung sagen.

Aber auch andere sind eifrig dabei, dem Geheimnis der Nanobakterien auf die Spur zu kommen. Der Mikrobiologe Yossef Av-Gay von der University of British-Columbia in Vancouver forscht an den Mechanismen der "Fortpflanzung" der Winzlinge. "Diese Partikel replizieren sich selbst, daran gibt es keinen Zweifel", meint er und will zurzeit noch nichts Präzises zu seinem Forschungsstand sagen, nur so viel:

"Die Geschichte scheint sich in Richtung der Idee zu bewegen, dass dies keine Bakterien sind, aber vielleicht eine neue Form von Leben."