Wie groß müssen die kleinsten Organismen sein?
Funde bestätigen die Vermutung, dass es auf der Erde Nanoben, Mikroorganismen in Nanogröße, geben könnte, die es eigentlich gar nicht geben dürfte
Im August 1996 gab die NASA die spektakuläre Meldung heraus, dass Wissenschaftler auf dem Meteoriten ALH84001, der vom Mars stammt, Spuren von Mikrofossilien gefunden hätten (Mars Meteorites). Das passte gut zur kurz darauf folgenden Pathfinder-Mission und löste eine lebhafte Diskussion aus. Die Zweifel wurden stärker, viele neigten zu der Annahme, es handle sich dabei nicht um Spuren von Leben, sondern um chemische Prozesse. Doch mit einer Entdeckung, die Philippa Uwins, Richard Webb und Anthony Taylor vom Center of Microscopy and Microanalysis der University of Queensland im Frühjahr 1998 in der Zeitschrift American Mineralogist veröffentlichten, kam nicht nur die Möglichkeit auf, dass es bislang unbekannte lebende Kolonien von Mikroorganismen in Nanogröße geben könnte, sondern dass diese Nanoben, wie sie von den Forschern genannt wurden, durchaus auch auf anderen Planeten existieren oder mit Meteoriten durchs Weltall reisen könnten.
Noch freilich ist keineswegs sicher, ob es derartige Nanobakterien oder Nanoben wirklich gibt, obgleich Wissenschaftler wie Robert Folk seit 10 Jahren auf Indizien für die Möglichkeit von deren Existenz hingewiesen haben. Folk hatte bei Untersuchungen von Mineralablagerungen in der Nähe von Vulkanen "Bakterien" entdeckt, die viel kleiner als die bislang bekannten waren. Wissenschaftler aus Finnland behaupten, Nanobakterien auch im menschlichen Körper, beispielsweise in Nierensteinen, gefunden zu haben.
Während die kleinsten Bakterien höchstens 200 Nanometer lang sind, scheinen die Nanoben nur 20 bis 150 Nanometer groß zu sein. Das halten viele Wissenschaftler für zu klein für einen lebenden Organismus, da hier die für das Leben notwendigen Strukturen gar nicht Platz finden würden. Ein einziges Ribosom zur Erzeugung von Proteinen kann schon 50 Nanometer breit sein, in 20 Nanometer Breite passen gerade einmal 10 DNA-Moleküle hinein. Ein von der NASA initiierte Tagung am National Research Council beschäftigte sich denn auch Ende 1998 mit der Frage, wie klein Organismen sein können und wie sich Spuren von diesen auf Steinen oder Meteoriten entdecken lassen. Die Ergebnisse sind mittlerweile in dem auch online veröffentlichten Buch Size Limitis of Very Small Micro-organisms zu finden.
Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass eine freilebende Zelle nicht kleiner als 100 Nanometer sein könne. Das schließt nicht unbedingt von vorneherein Nanoben aus, aber sie müssten sich zumindest von den bekannten kleinsten Mikroorganismen erheblich unterscheiden, indem sie beispielsweise nur in Kolonien leben und sich als Zelle nicht vermehren können.
Uwins und Kollegen hatten ihre Entdeckung an quartzhaltigen Sandsteinen aus dem Trias und Jura gemacht, die durch eine Ölbohrung an der westaustralischen Künste aus einer Tiefe zwischen 3400 und 5100 Metern geborgen wurden. Unter einem hochauflösenden Elektronenmikroskop (SEM) entdeckten die Wissenschaftler Strukturen von Fäden, die sich auf der Oberfläche von gerade zerteilten Steinen ausbreiteten. Manche dieser fadenartigen Strukturen in verschiedenen Längen zwischen 20 und 128 Nanometer waren angeschwollen und erinnerten die Forscher an Fruchtkörper. Die Kolonien dieser pilzartigen Nanoben wuchsen spontan so schnell, dass man sie nach zwei Wochen bereits mit bloßem Auge als braune, weiße oder graue Strukturen mit einer Größe von 0,1 bis 0,2 Millimeter erkennen konnte. Möglicherweise, so vermuten die Wissenschaftler, befanden sich in den Sandsteinen Sporen, die dann, wenn sie wie durch das Zerteilen der Steine in eine geeignete Umgebung kommen, spontan zu keimen beginnen, während sie dies im Stein nicht zu machen scheinen. Ganz ausschließen wollten die Wissenschaftler aber nicht, dass sie auch durch Verunreinigen während des Bohrens und Bergens in den porösen Sandstein gelangt sein könnten. Die Wissenschaftler konnten die Nanoben auch auf anderen Materialien wie Kupfer, Polysteren oder Glas bei Temperaturen von 22 Grad Celsius unter aerobischen Bedingungen wachsen lassen. Die Kontamination mit organischen Komponenten scheint das Wachstum zu beschleunigen.
Untersuchungen ergaben, dass die Nanoben nicht-kristalline Strukturen sind, die aus Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff und geringen Spuren von Silizium bestehen - typische Zellen bestehen aus C (50%), O (18%), N (13%) und H (10%), wobei Wasser mit dem von den Wissenschaftlern eingesetzten Analyseverfahren nicht nachgewiesen werden kann. Sie besitzen überdies eine Außenschicht, die sich als Membran interpretieren ließe sowie eine elektronisch dichte und eine weniger dichte Region innerhalb, die die Wissenschaftler als Zytoplasma und als Kern deuteten. Aufgrund Tests scheinen die Strukturen DNA zu enthalten. All diese Befunde lassen anorganische Verbindungen unwahrscheinlich erscheinen und weisen auf lebendige Strukturen hin: "Falls Nanoben keine biologischen Organismen sind", so die Forscher, "ist es schwierig, ein bekanntes nichtbiologisches Material zu finden, das die beobachteten Eigenschaften aufweist."
Sollte die Nanoben wirklich Mikroorganismen sein, so würden sie sich nicht nur wegen ihrer Größe von allen bislang bekannten Organismen unterscheiden, sondern wahrscheinlich auch durch ihre Existenzweise. Es ist bekannt, dass auch Bakterien in Kolonien leben und durch ihre Vernetzung und Kommunikation eine Art Superorganismus bilden (siehe Howard Bloom: Bakterienkolonien und globales Gehirn und Eshel Ben-Jacob: Die Klugheit der Bakterien, Gödels Theorem und kreative genomische Netze). Möglicherweise sind auch ihre Gene verteilt. Sie könnten also nur in kooperierenden Gruppen existieren und sich fortpflanzen. Uwins und ihre Kollegen haben ihnen übrigens Namen Nanoben (Abkürzung von Nano-Organismen) gegeben, weil sie ausdrücklich noch nicht von Bakterien sprechen wollen. Nanoben könnten schließlich, wenn sie denn lebende Organismen sind, auch etwas anderes sein als die bekannten Archae- und Eubakterien.
Es ist noch nicht lange her, dass man erkannte, dass Bakterien, die während der ersten Hälfte der Entwicklungsgeschichte die einzigen Lebensformen waren, auch heute noch die vorherrschende Lebensform auf der Erde sind, die den Planeten umgeformt hat und weiterhin als ökologisches System bestimmt. Bakterien findet man nahezu überall auf der Erde bis tief im Erdinneren, und sie können in extremen Lebensräumen von Hitze und Kälte existieren, ohne Sauerstoff auskommen und sogar hohe Radioaktivität überstehen (Lebensformen unter extremen Bedingungen, With a little help from my friends ...). Überall wimmelt es von Bakterien, die trotz ihrer winzigen Größe sogar dann, wenn man nur die unterirdischen Bakterien, nimmt, die Biomasse aller anderen Organismen weit übertreffen. Sollte es tatsächlich Nanoben geben, eröffnet sich noch einmal eine vielleicht riesige, bis heute unbekannte Lebenswelt in Nanogröße mit Organismen, deren Eigenschaften und Lebensweisen sich von allem unterscheiden könnten, was wir bislang kannten. Das würde natürlich auch der Astrobiologie und der Suche nach extraterrestrischem Leben eine neue Grundlage geben.