Spanien prescht vor und erkennt Guaidó an
Nach Ablauf des Ultimatums erkennen auch Großbritannien, Frankreich, Schweden und Deutschland ihn als Übergangspräsidenten an, während Maduro "ein Vietnam" nicht ausschließt
Entweder ist der Spanier Pedro Sánchez vorgeprescht oder die Länder, die dem venezolanischen Staatschef Nicolás Maduro gemeinsam mit Deutschland ein Ultimatum gestellt hatten, haben dem schwer angeschlagenen Sozialdemokraten den Vortritt gelassen, damit der sich profilieren kann. Denn er muss wohl bald, nach nur acht Monaten an der Regierung, vorgezogene Neuwahlen mit schlechten Aussichten ansetzen. So war es Sánchez, der um 10 Uhr vor die Presse getreten ist und in einer kurzen Erklärung - Fragen waren nicht zugelassen - den selbsternannten Juan Guaidó als Übergangspräsidenten anerkannt hat.
Sánchez, der wegen der fehlenden "Führerschaft" in Bezug auf die ehemalige Kolonie von der rechten Opposition schwer unter Druck geraten war, erklärte, Spanien erkenne Guaidó als "amtierenden Präsidenten" an, der "so schnell wie möglich" Präsidentschaftswahlen ansetzen solle, die "frei, demokratisch und mit Garantien" durchgeführt werden müssten. Man habe eng "mit der Mehrheit" der EU-Länder zusammengearbeitet, um eine gemeinsame Position zu erarbeiten. Er gibt damit zu, dass Europa auch in dieser Frage gespalten ist. "Wir werden ab heute weiter für die Freiheit, die Prosperität und die Verständigung aller Venezolaner arbeiten", erklärte Sánchez.
Venezuela solle wieder eine vollständige Demokratie werden, mit der Achtung vor "Menschenrechten und ohne politische Gefangene", erklärt ein Regierungschef, in dessen Land hochrangige katalanische Politiker mit erfundenen Anklagen im Gefängnis sitzen. Spanien verhindert zudem auch mit Gewalt und Repression eine demokratische Abstimmung nach Vorbild Schottlands in Katalonien. Per Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist geklärt, dass in Spanien auch baskische Politiker auf Basis von unfairen Prozessen illegal mehr als sechs Jahren in Gefängnissen verschwanden. Zudem wird das Land von diesem Gerichtshof auch immer wieder wegen Folter und Misshandlungen verurteilt. Dass sich also gerade die ehemalige Kolonialmacht mit eigenen massiven Demokratiedefiziten in der Frage an die Spitze stellt, macht das Vorgehen noch zweifelhafter.
Ungewöhnlicher Schritt in der deutschen Außenpolitik
Im weiteren Verlauf des Morgens gab es auch eine entsprechende Verlautbarung aus Großbritannien. Außenminister Jeremy Hunt twitterte, dass Maduro in der gesetzten Frist von acht Tagen keine Präsidentschaftswahlen angesetzt habe, weshalb das Königreich im Bunde mit den europäischen Verbündeten nun Guaidó als "verfassungsgemäßen Interimspräsidenten anerkennt, bis glaubwürdige Wahlen abgehalten werden können". So macht sich Hunt praktisch zu einem Richter über die Verfassung Venezuelas. Seine Worte verbindet er mit der Hoffnung, dass er damit der "Beendigung einer humanitären Krise näher" komme. Nach den Worten von Präsident Nicolás Maduro im Interview gestern mit einem spanischen TV (siehe unten), lässt sich aber genau das Gegenteil erwarten.
Auch der französische Präsident Emmanuel Macron setzte schließlich nach. Dieser angeschlagene Präsident ließ seine Twitter-Nachricht mit Blick auf die Landessprache in Venezuela auch gleich übersetzt auf Spanisch twittern. Die Venezolaner hätten das Recht, sich frei und demokratisch ausdrücken zu können, weshalb Frankreich Guaidó als "amtierenden Präsidenten" anerkenne, "um einen Wahlprozess einleiten". Frankreich werde die Kontaktgruppe der EU in dieser "Übergangszeit" unterstützen, schreibt Macron weiter.
In der Folge kam dann auch die Anerkennung aus Berlin, wo man sich ganz offensichtlich eher im Hintergrund halten wollte. Die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz erklärte, dass Maduro der Aufforderung nicht nachgekommen sei, Neuwahlen anzusetzen. "Wir erkennen Juan Guaidó als Interimspräsidenten Venezuelas an." Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich erst danach: "Bis gestern ist keine Wahl für eine Präsidentschaft ausgerufen worden. Deshalb ist jetzt Guaidó die Person, mit der wir darüber reden und von der wir erwarten, dass sie einen Wahlprozess möglichst schnell initiiert", sagte Angela Merkel.
Da man ständig zum Beispiel in Bezug auf die Vorgänge in Katalonien auch in Berlin davon spricht, es handele sich dort um "interne Angelegenheiten" Spaniens, gab die Regierungssprecherin Fietz auch einen "ungewöhnlichen" Vorgang zu. Es handele sich um einen ungewöhnlichen Schritt in der deutschen Außenpolitik, sich so klar für eine Seite zu bekennen. Dabei ist das gar nicht ungewöhnlich, denn das macht Berlin auch im Fall Spaniens seit langem. Ungewöhnlich ist nur, dass man das so offen tut und einen faktischen Putschversuch und einen Präsidenten anerkennt, der von niemandem gewählt wurde.
Europa stellt sich hinter die USA und lehnt Vermittlungsversuch ab
So ist das Vorgehen einiger europäischer Staaten mehr als zweifelhaft. Zudem wäre Guaidó, hätte er das in Spanien gemacht, längst wegen Rebellion inhaftiert worden. Die dafür nötige Gewalt findet man leicht beim Vorgehen der Opposition Venezuelas. Es ist erstaunlich, dass Europa, anders als Russland, den Versuch von Mexiko und Uruguay faktisch abgelehnt hat, die auf einen Dialog im Land zu einer Lösung der verfahrenen Situation setzen, zu der massiv auch die Regierung Maduros beigetragen hat. Stattdessen unterstützen Deutschland, Frankreich, Spanien, Schweden, Österreich … faktisch den gefährlichen Weg der USA, die Venezuela schon offen eine militärische Intervention androht.
Damit wird natürlich Russland weiter verärgert und die ohnehin angespannte Situation in den Beziehungen verschärft sich. Man stelle fest, dass eine "gesetzeswidrige Machtergreifung legitimiert" werden solle und damit eine "direkte und indirekte Einmischung in innere Angelegenheiten Venezuelas", erklärte der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Er kritisierte, dass das "in keiner Art und Weise die Suche nach einer friedlichen, effizienten und durchführbaren Lösung in der Krise Venezuelas begünstige".
Maduro hatte sich seinerseits schon vergangene Woche per Twitter für eine Vermittlung ausgesprochen: "Wir unterstützen den Vorschlag der Regierungen von Mexiko und Uruguay, eine neue internationale Initiative für einen Dialog zwischen den politischen Kräften in Venezuela zu starten, um im Rahmen der Verfassung nach einer Einigung zu suchen, die Stabilität und Frieden für alle Venezolaner garantiert", schrieb Maduro. Die Initiative, die inzwischen auch von anderen Ländern wie Bolivien unterstützt wird, um eine "friedliche Lösung" zu finden, hat eine Konferenz am 7. Februar in Montevideo auf die Tagesordnung gesetzt.
"Die USA interessieren die Demokratie in Venezuela einen Teufel"
José Mujica, ehemaliger Präsident Uruguays, hatte sich als Vermittler ins Spiel gebracht. Er hat Wahlen angeregt, bei denen weder Maduro noch Guaidó antreten sollte. Mujica ist als angesehener Linker und aufrechter Demokrat wie kaum eine andere Person dafür geeignet. Er genießt Anerkennung auf dem Kontinent und ist glaubwürdig. Und der ehemalige Guerillero würde sicher nicht einseitig für Maduro und seine Clique einsetzen, schließlich gehörte Mujica auch zu denen, die zu den Vorgängen in Venezuela nie ein Blatt vor den Mund genommen haben. Maduro, so sagte er unter anderem, "ist so verrückt wie eine Ziege", weil er sich nach der grandiosen Wahlniederlage an die Macht geklammert hat.
Mujica kritisiert auch massiv das Vorgehen der USA: "Die USA interessieren die Demokratie in Venezuela einen Teufel." Er zweifelt allerdings auch an, ob Maduro daran wirklich interessiert ist. Dass aber im Norden die Demokratie wieder einmal im Mund geführt wird, um einen Regime-Change durchzudrücken, sei wahrlich nicht neu. "Sie kommen uns immer mit der Ausrede der 'Demokratie' vor einer Invasion", erklärte. Mujica erinnert daran, dass auch dieser "Konflikt nach Öl riecht" und die "Kriegstrommeln" wieder einmal laut dröhnten.
Maduro: "Wir bereiten uns darauf vor, unser Land zu verteidigen"
Mit einer Vermittlung hat sich Maduro auch in einem ausführlichen Exklusivinterview mit dem spanischen Fernsehen erneut einverstanden erklärt. Gegenüber "La Sexta" erklärte er dem Journalisten Jordi Evole, der ihn schon einmal interviewt hatte, dass die USA ein zweites "Vietnam" zu erwarten habe, wenn nach dem Irak und Libyen auch in Venezuela interveniert werde. "Alles hängt vom Grad der Verrücktheit und der Aggressivität des Imperiums des Nordens und von dessen westlichen Verbündeten ab". Einen Krieg schloss er nicht aus. "Wenn du Frieden willst, musst du dich darauf vorbereiten, ihn zu verteidigen", meinte Maduro.
"Wir leben in unserem Land und verlangen, dass sich niemand in unsere internen Angelegenheiten einmischt. Und wir bereiten uns darauf vor, unser Land zu verteidigen." In Fabriken, Universitäten und in verschiedenen anderen Bereichen sei "das Volk dabei, sich zu bewaffnen". In Bezug auf die Drohungen von Trump erklärte er: "Wir werden Venezuela nicht hergeben." Der US-Präsident habe die militärische Option auf den Tisch gelegt. "Was soll ein Land da machen? Sich ergeben?" Maduro sprach von einer Kampagne, um Venezuela "als Monster, als Diktatur darzustellen".
Das Ultimatum europäischer Länder hatte er entschieden als "Frechheit" zurückgewiesen. "Wir akzeptieren keine Ultimaten, von niemandem" sagte er, denn die Zeiten der Kolonien seien vorbei. Er zeigte sich gespannt, wer am heutigen Montag den Fehler begehen würde, Guaidó anzuerkennen. "Ich weigere mich, Wahlen auszurufen." Die nächste Präsidentenwahl werde 2024 stattfinden, schließlich habe er die Wahlen 2018 gewonnen. "Uns interessiert nicht, was Europa sagt." Allerdings hatte er immer wieder ins Spiel gebracht, dass man die Parlamentswahlen vorziehen könne.