Speed matters V

Jetzt streiten Celera und das Human Genome Project darüber, wer genauer und besser ist, während die übrige kommerzielle Konkurrenz in der Sequenzierung des menschlichen Genoms sowieso nur eine Geldverschwendung sieht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Kaum hatte Francis Collins, der Leiter des Human Genome Project nach der Erfolgsmeldung von Celera, nahezu das Genom eines Menschen entschlüsselt zu haben, diese Leistung am Wochenende bestritten, sackte schon der Aktienwert des umstrittenen Unternehmens ab. Kurz zuvor noch waren die Wertpapiere der "Speed-matters"-Firma gestiegen, weil offenbar die Investoren der Annahme waren, sie habe den Wettlauf gewonnen. Weder in dem einen Fall noch in dem anderen können die Spekulanten wirklich wissen, wie die Sache steht. Die Entscheidung über Kauf und Verkauf fällt offenbar gemäß der Aufmerksamkeitsverdichtung durch die Medien und Hörigkeit gegenüber Experten.

"Man sollte nicht gleich jede Behauptung jeder Gruppe, die behauptet, sie habe ein menschliches Genom vollständig sequenziert, in den nächsten zwei Jahren für bare Münze nehmen", sagte Francis Collins zur Eröffnung der in Vancouver stattfindenden Konferenz Human Genome Meeting 2000. "Das wird nicht stimmen." Natürlich ist der Rechtfertigungsdruck auf das mit öffentlichen Geldern finanzierte internationale Human Genome Project groß, wenn es ein Unternehmen in derart kurzer Zeit schaffen sollte, das menschliche Genom zu entschlüsseln. Craig Venter, Direktor von Celera, deren Mutterfirma PE Biosystems übrigens schon das nächste Projekt Proteomics starten will, um die eigentlich kommerziell und medizinisch wesentlich interessanteren Proteine zu erfassen, hat den Wettlauf denn auch zwischen der Privatwirtschaft und staatlich betriebenen Forschungsinstitutionen angesiedelt. Collins allerdings meint inzwischen, es gebe überhaupt keinen Wettlauf, da Celera nur deswegen scheinbar vorne liege, weil das Unternehmen im Grunde schlampiger verfahre und die Ergebnisse der Sequenzierung weniger genau überprüfe. Venter hingegen hatte dem Human Genome Project vor kurzem vorgeworfen, bislang lediglich ein ungeordnetes Chaos von sequenzierten Fragmenten produziert zu haben.

"Wir alle müssen in unserer Sprache sehr vorsichtig sein", mahnte Collins. "Wenn jemand 'fertiggestellt', 'abgeschlossen' oder 'vollständig durchgeführt' sagt, dann muss man fragen, was seine Definition ist, weil die Antworten sehr interessant sein können." Collins selbst hatte vor kurzem angekündigt, dass man bis zum Juni 90 Prozent des menschlichen Genoms sequenziert haben werde, aber auch nicht näher ausgeführt, was diese 90 Prozent bedeuten. Sowohl im Fall von Celera und als auch beim Human Genome Project geht es um Geld udn ums Prestige. Da wird schon gerne vernachlässigt, dass in den unterschiedlichen Verfahren der Konkurrenten wahrscheinlich ein gutes Drittel der menschlichen Gene unter den Tisch fällt, weil große Teile des Genoms noch gar nicht sequenziert werden können. Daher kommt eine Veröffentlichung von Wissenschaftlern der University of Chicago und der John Hopkins University in den Proceedings of the National Academy of Sciences gerade zur richtigen Zeit daher. Dort sagen die Wissenschaftler, sie hätten eine neue Technik entwickelt, um die Gene zu erfassen, die bislang nicht erkannt werden konnten.

Wie auch immer, Celera jedenfalls findet die despektierlichen Bemerkungen von Collins jedenfalls seltsam. Man sei weiterhin enttäuscht von den Kommentaren des öffentlichen Projekts, meinte Celera-Sprecher Heather Kowalski. Zwar habe man, wie Colins richtig sagte, die Sequenzierungsdaten nur drei Mal überprüft und nicht zehn Mal, wie man zu Beginn gesagt hatte, aber man habe beim Genom der Fruchtfliege gesehen, dass dies ausreichend sei.

Wie genau die Daten sind, bleibt allerdings noch ein Geheimnis. Während das Human Genome Project die sequenzierten Daten möglichst schnell veröffentlicht, will Celera, wie Kowalski sagte, noch solange mit der Veröffentlichung warten, bis man einen "guten, veröffentlichbaren Standard" erreicht habe. Das werde vermutlich Ende des Jahres sein.

Und natürlich stieß die Erfolgsmeldung von Celera auch auf Kritik der konkurrierenden Unternehmen. So sagte William Haseltine von Humane Genome Sciences, dass die Sequenzierung alleine sowieso praktisch nichts bedeute: "Das ist wie eine Kartierung der Marsoberfläche. Das ist von fundamentalem wissenschaftlichen und philosophischen Interesse, aber hat nur wenig praktische Bedeutung." Letztlich sei das nur eine Geldverschwendung: "Das ist wie ein Weltraumprojekt. Warum wollen wir den Mars kartieren? Das spricht die Imagination an."

Und aus diesem Grund konzentriert sich Human Genome Sciences auch gleich auf die Patentierung der Gene. Nachdem es einige Aufregung über die Frage der Patentierung von menschlichen Genen gegeben hatte, versuchte Haseltine in einem Artikel "21st Century Genes" in der Washington Post Ende März die Wogen zu glätten. Rohdaten des sequenzierten Genoms seien, da ist er ganz mit Blair, Clinton und den Kollegen der Branche einig, als solche natürlich nicht patentierbar, wenn man nicht sagen könne, welchem Zweck sie dienen und wie man sie nutzen könne. Ansonsten aber seien Gene nichts Mysteriöses, sondern lediglich komplexe biochemikalische Substanzen, die mit anderen Genen und ihren Produkten, den Proteinen, in Wechselwirkung stehen: "Es gibt keine Grundlage für die Angst, dass ein Mensch patentiert wird oder werden kann. Wir betreiben nicht das Geschäft, die Menschheit zu patentieren, sondern wir wollen genetische Medikamente patentieren, damit die Menschen länger und besser leben können." Dann sind wir ja beruhigt und lassen die beiden Konkurrenten weiter ihren Wettlauf ausführen, wer schneller und besser den genetischen Mars kartiert.

Ein "new powerhouse for British bio-science", das vom Wolfson Institute ins Leben gerufen wurde, könnte uns das Vergnügen verschaffen, den Wettlauf auch noch länger als bis zum anvisierten Ende im Jahr 2003 zu verfolgen. Dort hat man nämlich bei Mäusen ein Gen entdeckt, das mit der Lernfähigkeit zu tun hat und möglicherweise einen Beitrag zum kognitiven Abbau durch Alzheimer beiträgt. Bei jungen Menschen regt das Gen KVB1 angeblich das Lernen an, bei älteren Menschen bewirkt es das genaue Gegenteil. Zumindest bei Mäusen konnte man durch Abschalten des Gens die Lern- und Gedächtniskapazität der Alten derjenigen der Jungen angleichen. Man will eine "Gedächtnispille" aus den Erkenntnissen entwickeln, die den immer älteren Menschen zumindest geistige Wachheit garantieren und den Patentinhabern goldene Zeiten bescheren soll, indem sie bei den Menschen fortgeschrittenen Alters die Aktivität des Gens unterdrückt.