Spiel mit dem Hunger?

"Old Europe", das gerade eine Kennzeichnungspflicht für genveränderte Lebensmittel einführen will, steht neuer Umfragen zufolge nicht allein da: auch 55 Prozent der US-Bürger lehnen sie ab

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Entgegen der aggressiven Politik des amerikanischen Präsidenten ("The American Way of Life" achtet den Konsumenten gering)ist die Zustimmung zu genveränderten Nahrungsmitteln auch im eigenen Land keineswegs so überwältigend, wie die Politik vorgibt. Die soeben veröffentlichte weltweite Umfrage des "Pew Global Attitudes Project" bestätigt, dass im vergangenen Jahr in anderen Ländern mehr als 2/3 der Bevölkerung genveränderte Lebensmittel ablehnten. Das EU-Parlament hat gestern in zweiter Lesung die Regelung über den Import genveränderter Lebens- und Futtermittel verabschiedet, die klar gekennzeichnet sein müssen. Aber das geht der US-Regierung nicht weit genug.

Es war nicht nur der Druck der USA (Bush attackiert "Old Europe"), sondern auch der der heimischen Bio-Industrie, der wohl dazu geführt hat, dass die Abgeordneten der EU gestern in zweiter Lesung das Gesetzgebungspaket der Europäischen Kommission über genetisch veränderte Organismen verabschiedet haben. Damit wird zwar der Import und Vertrieb von genveränderten Lebensmittel ermöglicht, aber nur, wenn eine klare Kennzeichnung gewährleistet wird. Auf dem Etikett muss, wenn im Produkt nicht mehr als 0,9 Prozent genverändertes Material enthalten sind, stehen: "Dieses Produkt enthält genetisch veränderte Organismen" oder "... hergestellt aus genetisch verändertem (veränderter) (Name des Organismus)". Mit der Kennzeichnung sollen nicht nur die Verbraucher die Informationen erhalten, die sie zum Kaufentscheid benötigen, sondern sollen alle Lebens- und Futtermittel auch durch die gesamte Produktions- und Vertriebskette rückverfolgbar sein. Bevor die Regelung in Kraft tritt, muss der Rat dieser noch zustimmen.

Der US-Regierung jedoch passt die Kennzeichnungspflicht nicht. Richard Mills, der Sprecher der US-Handelsbehörde, kritisierte prompt, dass dies Innovation verhindere und den Handel lähme. Die Kennzeichnung würde die Kunden abschrecken. Noch immer sei überdies das illegale Einfuhrverbot in Kraft. Einmal wieder sagte Mills, dass das Import-Moratorium der EU negative Folgen gehabt und beispielsweise afrikanische Länder mit hungernden Menschen davon abgehalten habe, aufgrund falscher Informationen Lebensmittelhilfe in Form genveränderter Produkte von den USA zu erhalten.

In den Vereinigten Staaten ist die Bevölkerung uneins. Obwohl 37 Prozent der US-Regierung glauben, dass "die bessere Ausbeute mehr Menschen ernähren kann und gut für die Umwelt ist," sehen 55 Prozent in genveränderten Nahrungsmitteln "a bad thing". Zu diesem Schluss kommen mehr Anhänger der Demokraten als der Republikaner. Ferner sind es die Frauen, die am stärksten (62 Prozent) opponieren, während die Männer zu gleichen Teilen für oder gegen genveränderte Nahrungsmittel eingestellt sind.

Die Befragung wurde zeitgleich in sechs weiteren Ländern durchgeführt. In Europa besteht der größte Widerstand gegen genveränderte Nahrungsmittel in Frankreich (89 Prozent). Für Deutschland dokumentiert die Telefonbefragung bei 81 Prozent die klare Ablehnung. In Italien sind es 74 Prozent, die sich gegen GM-Nahrungsmittel aussprechen. Verschieden indes ist der Trend in Großbritannien: hier begrüßen 27 Prozent der Bevölkerung die Einführung von GM Food, ablehnend sind nur 65 Prozent. Ähnliche Verhältnisse bestehen in Kanada. In Asien beschränkt sich die Ermittlung auf Japan: 76 Prozent der Bevölkerung sind gegen genveränderte Nahrungsmittel.

In Australien wurde die Einführung von genveränderten Nahrungsmitteln am 17. Juni zunächst für drei Jahre auf Eis gelegt. Im Vorjahr war die "Gene Technology Bill 2002" verabschiedet worden, um einheitliche landesweite Richtlinien durchzusetzen. Simon Corbell, der Gesundheitsminister, betont in Anspielung auf die Argumentation der amerikanischen Regierung gegen die Handelsbeschränkungen der EU:

Dieses (australische) Gesetz ist in Verbindung mit dem Commonwealth Act offen, transparent und kalkulierbar. Die Regierung glaubt, damit eine vorsichtige, umfassende und zugleich rigorose Maßnahme ergriffen zu haben, um Gentechnologie und GM-Nahrungsmittel auf wissenschaftlich begründete Entscheidungen zu stellen, damit die Bevölkerung den Entscheidungen vertrauen kann.

Entgegen der in Washington vertretenen Meinung hält es Simon Corbell für notwendig, "das Bewusstsein, das Wissen und das Verstehen der Gentechnologie zu fördern," bevor dauerhafte Entscheidungen gefällt werden.

In Kanada forderte vor wenigen Tagen das "Canadian Wheat Board" die Biotech-Firma Monsanto auf, die Zulassung für genverändertes Getreide bei der kanadischen Regierung zurückzuziehen.

"Wir werden alles tun, damit dieses Getreide nicht nach Kanada kommt bis es unsere Konsumenten und Bauern wirklich befürworten", erklärt Adrian Measner, der Präsident von CWB. CWB exportiert 17 Millionen Tonnen Getreide jährlich. Vier von fünf Kunden lehnen genverändertes Getreide ab. Japan und Südkorea haben zu erkennen gegeben, dass sie keine genveränderten Nahrungsmittel oder durch Gentechnik verunreinigtes Getreide einführen werden. "Für uns hat der Verbraucher immer recht", betont Adrian Measner die strikte Haltung der kanadischen Farmer:

Würden wir genverändertes Getreide zulassen, müssten Lagerung und Transport von organischem und genverändertem Getreide aufwändig und teuer voneinander separiert werden, um sicherzustellen, dass der akzeptable Anteil an genverändertem Getreide dem jeweiligen internationalen Standard entspricht.

Adrian Measner weiß nur zu gut, wovon er spricht. Mexiko, der südliche Nachbar der USA, ist bereits unfreiwillig in den Sog der US-Politik geraten. Ob absichtlich oder dank amerikanischer Nonchalance: Inzwischen besteht kein Zweifel mehr, dass sich genveränderter Mais wie ein Krebsgeschwür aus den USA über die Grenze nach Mexiko ausbreitet. Die Reaktion des Verursachers ist "westernlike". Weil die mexikanischen Bauern von der Übertragung des "besseren Mais" profitieren, will Monsanto den Anteil des genveränderten Mais ermitteln. Danach müssten die Farmer sozusagen ihren "Zehnten" dazu beitragen - als nachträgliche Abgabe für die Nutzung. Vor diesem Hintergrund überlegt die mexikanische Regierung, ob sie genveränderten Mais überhaupt freigeben soll. Ihr Dilemma: Wer wird jetzt noch glauben, dass Mais aus Mexiko kein genverändertes Produkt ist?

Ähnliche Befürchtungen plagen die indische Zuckerindustrie. S.L. Jain, Chef der Indian Sugar Mills Association (ISMA), erklärte am Wochenende:

Wir müssen die Anpflanzung von genveränderten Zuckerpflanzen in Indien vermeiden, nachdem viele Abnehmer genveränderte Produkte zurückweisen. Japanische Importeure haben uns ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie keinen Zucker mehr aus Indien nehmen, wenn wir nicht sicherstellen können, dass unser Produkt von nicht-genveränderten Pflanzen stammt.

S.L. Jain samt ISMA sehen sich am 9 Juli mit einer japanischen Untersuchergruppe von Kmikawa von Mitsui & Co und Katswa Fukuda vom Mitsubishi Research Institute konfrontiert. Fachkundige Experten wollen sich vor Ort davon überzeugen, dass 1,5 Millionen Tonnen Zucker, die Japan jährlich importiert, von GM-freien Pflanzen stammen. "Seitdem Indien BT-Baumwolle kultiviert und auch genverändertes Getreide zulassen will, nehmen die Befürchtungen der Gegner gegenüber indischen Produkten zu", erklärt S.L. Jain.

Dessen ungeachtet hält der Druck aus Washington an. Auf dem EU-US Treffen in Washington ließen sich die Europäer Romano Prodi (Italien) und Constantine Simitis (Griechenland) übertölpeln, indem sie Bush, der sie mit den Worten "let's go eat some genetically modified food for lunch" zum Essen einlud, kritiklos folgten.

Dabei hätten sie guten Grund gehabt, die amerikanische Wirklichkeit ernst zu nehmen. Hatte doch der US-Kongress bereits im Mai genveränderte Nahrungsmittel im Sinne von George W. Bush zum politischen Mandat erhoben. Der Kongress fordert die US-Regierung dazu auf und ermächtigt sie, die vom amerikanischen Präsidenten in Aussicht gestellte Aids-Hilfe mit den wirtschaftlichen Interessen der USA zu verknüpfen: Nur wenn das von HIV/Aids heimgesuchte afrikanische Land im Gegenzug genverändertes Getreide einführt und anbaut, fließt Geld aus Washington.

Der Leiter der Environmental Rights Action in Nigeria, Nnimmo Bassey, wies diese Forderung zurück:

Die USA sollen aufhören, mit dem Hunger zu spielen. Die afrikanischen Staaten müssen das Recht haben zu entscheiden, was ihre Bevölkerung isst. Es ist unmoralisch, wenn die USA die Aids-Krise mit dem Hunger koppelt.

Die Diskussion, ob genveränderte Pflanzen für den Menschen schädlich oder unschädlich sind, wird solange emotional bleiben, solange toxikologische Untersuchungen fehlen. Das Vorgehen kann bequem von der Arzneimittelforschung portiert werden. Die Forderung, analoge Tests bei gesunden Tieren und gesunden Probanden durchzuführen, wäre ein wirksames Argument gegen den politischen Druck aus den Vereinigten Staaten.

Vielleicht gibt es bereits einen Anhaltspunkt für den nachteiligen Effekt von genveränderten Nahrungsmitteln: die rapid ansteigende Fettsucht (jedes dritte Baby in den USA ist übergewichtig, jedes zweite Kleinkind schlichtweg fett). Nirgendwo auf der Welt außer in den USA sowie in China, seit dessen Öffnung, zählen genveränderte Getreide zum "täglichen Brot". Nur in diesen beiden Ländern hat die Fettsüchtigkeit in wenigen Jahren überproportional zugenommen, in China sogar schlagartig entgegen aller Tradition.