Spuk im Chessman-Haus

Seite 4: Geräumiges Spukhaus, billig zu vermieten

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Nachdem der Ball verpackt ist kann Russell seinen Koffer nehmen und nach Seattle fliegen, 4000 Kilometer entfernt von New York und seinem alten Leben. Dort hat er einst Musik studiert, jetzt wird er an der Uni unterrichten und komponieren, um wieder auf die Beine zu kommen. Die patente Claire Norman vom Verein für Denkmalpflege hat auch eine Unterkunft für ihn. Das Chessman-Haus stand lange leer. John kann es günstig mieten, weil Claire will, dass es bewohnt wird. Das ist ein beliebtes Element im Geisterfilm. Spukhäuser sind schwer zu verkaufen oder zu vermieten und deshalb günstig abzugeben.

Mich stört daran, dass man einige Verrenkungen im Drehbuch braucht, damit die Geschichte funktioniert. Das ist nicht immer gut gelöst. Claire und John sind sich sympathisch und sollen sich näherkommen. Das wird kaum klappen, wenn Claire den Mieter in die Falle lockt. Also muss man sich damit behelfen, dass Claire erst seit kurzem für den Verein arbeitet und sich selbst nicht erklären kann, warum das Haus seit Jahren leer steht. Eine alte Jungfer macht kryptische Andeutungen, sonst hat offenbar keiner in Seattle je vom schlechten Ruf des Hauses gehört, ganz so, als habe es sich bisher zwischen den Bäumen versteckt und darauf gewartet, dass John Russell kommt.

Geräumiges Spukhaus, billig zu vermieten (15 Bilder)

The Changeling

Kritik aber hat vor allem das Haus selbst auf sich gezogen. Wie kann sich der Mann das leisten, und warum will er ganz allein in diesem riesigen alten Kasten mit mehreren Etagen wohnen? Die Antwort ist recht simpel: Weil Leute im Geisterfilm meistens in großen alten Kästen wohnen und weil Peter Medak darauf bestand, dass es in The Changeling so sein müsse wie in den drei Filmen, die er als seine Inspirationsquellen nennt - in The Uninvited von Lewis Allen, in The Innocents von Jack Clayton und in The Haunting von Robert Wise. Immerhin sind das drei der besten Geisterfilme, die je gedreht wurden. Da kann man eigentlich nicht meckern.

Der 1937 in Budapest geborene Peter Medak war 1956 nach der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands nach England geflohen und hatte sich vom dritten Regieassistenten hochgearbeitet, bis er 1968 mit Negatives seinen ersten Film inszenieren konnte. Im Laufe seiner Lehrzeit hatte er miterlebt, wie Terence Fisher The Curse of the Werewolf und The Phantom of the Opera drehte, doch sein eigener Name war eher mit gesellschaftskritischen, von der Kritik gelobten und kommerziell wenig erfolgreichen Theaterverfilmungen verbunden, nicht mit dem Horrorgenre.

Michaels mag es aber sowieso nicht, wenn man The Changeling als Horrorfilm bezeichnet. Er wollte eine "klassische Geistergeschichte" mit psychologischem Tiefgang produzieren. Auf Medak wurde er durch einen Freund aufmerksam, der ihm The Ruling Class (1972) empfahl, eine bissige Komödie über die britische Oberschicht (mit Peter O’Toole in einer seiner besten Rollen). Ebenso sehenswert ist A Day in the Death of Joe Egg (1972), eine Tragikomödie, die ein Tabuthema mit Phantasie und schwarzem Humor angeht: Was passiert mit der Ehe von Eltern, die eine Tochter mit einem irreparablen Hirnschaden haben und sich nicht entscheiden können, das Kind in ein Heim zu geben?

Aus der Kombination beider Filme ergibt sich die Frage, auf die John Russell eine Antwort finden muss: Was tun die Reichen, wenn sie ein krankes, ihren Lebens- und Dynastieentwurf durchkreuzendes Kind haben und ähnlich skrupellos sind wie die Aristokraten in The Ruling Class? Ursprünglich sollte Donald Cammell The Changeling inszenieren, der Regisseur (mit Nicholas Roeg) von Performance. Wegen "künstlerischer Differenzen" wurde er gefeuert. Bei Cammell hätte Russell in einem Cottage auf das dunkle Geheimnis stoßen sollen, oder zumindest hatte man eines gebaut, als Medak nach Vancouver kam.

Medak hielt das für grundfalsch und rang den Produzenten die Investition in ein geräumiges Spukhaus ab. Der für seine Akribie bekannte Trevor Williams hatte schon bei The Silent Partner das Produktionsdesign übernommen und den Reaganomics-Weihnachtsmann in eine Bank mit einer ebenso protzigen wie scheußlichen Innenausstattung geschickt, die von dreckigen Goldbuchstaben dominiert wird (FB für First Bank of Toronto). Jetzt baute er Medak sein viktorianisches Spukhaus, ohne das dieser den Film nicht drehen wollte.

Zu Medaks Gunsten dürfte sich ausgewirkt haben, dass es feste Verträge gab und bis Drehbeginn nur noch ein Monat Zeit blieb, als ihm die Produzenten den Film anboten. Das Geld für ein größeres Spukhaus locker zu machen war besser als ohne Regisseur dazustehen. Die Eingangstür ist antik, der Rest Fassade. Wenn Russell durch die Tür ins Haus geht kommt er auf der anderen Seite in einer Studiokulisse an. Eine der Stärken des Films sind die Kamerafahrten von John Coquillon, der schon mit Michael Reeves (Witchfinder General) und Sam Peckinpah (Straw Dogs, Pat Garrett and Billy the Kid) zusammengearbeitet hatte. Ohne bewegliche Wände wären sie in dieser Virtuosität kaum möglich gewesen.

Geist und Psyche

Erstaunt über die Größe des Objekts blickt John Russell bei der Besichtigung nach oben, zum Kronleuchter und zu den Treppen, die vom Parterre in die erste und von dort weiter in die zweite Etage führen. Ein Schnitt bringt uns nach oben, in das dunkle Rechteck am Ende der Treppe. Über das Geländer schauen wir hinunter. Ganz klein stehen da Claire und John. Der Blick aus Obersicht ist der des Gespensts, das durch diese subjektiven Einstellungen präsent wird, ohne dass man Spezialeffekte braucht oder den Komparsen unter dem Betttuch. Der Geist eines Toten mustert einen Lebenden, der bei ihm einzieht.

Wie um das aufzugreifen erläutert Claire, dass es Pläne gegeben habe, das Gebäude in ein Museum umzuwandeln. Doch das Haus, meint sie, sei wohl dafür bestimmt, dass jemand in ihm lebt. An John habe sie gedacht, weil es ein Musikzimmer hat, in dem sogar noch ein Klavier steht. Lästige Arbeiten erledigt (in der günstigen Miete mit inbegriffen) Mr. Tuttle, der Hausmeister des Vereins, und natürlich ist das alles eher unglaubwürdig, doch über diese Hürde muss man weg, damit uns Medak zeigen kann, dass sich (Vorbilder waren Hitchcock und Kubrick) eine Geschichte durch die Wahl der Perspektive und des Objektivs genauso gut erzählen lässt wie durch Dialoge.

Geist und Psyche (10 Bilder)

The Changeling

Unter realistischen Gesichtspunkten mag das Haus problematisch sein. Ansonsten ist es durchaus stimmig. Die Größe betont die Einsamkeit eines Mannes, der sich nach dem Tod von Frau und Kind ganz allein fühlt und sich selber fremd geworden ist. Im Inneren des weitläufigen Gebäudes spiegelt sich eine Psyche, in der es zugig ist und unerforschte Räume gibt, in der man sich Bereiche sucht, in denen man sich einrichten kann, ohne wirklich geborgen zu sein, wo man Seite an Seite mit den Geistern der Vergangenheit wohnt. The Changeling ist auch das Psychogramm eines Menschen in einer Lebenskrise.

Durch die Weitwinkelaufnahmen werden die Räume noch größer, wirkt ihr Bewohner noch verlorener, allein mit sich und seiner Trauer, und mit dem Gespenst. Nach der Ankunft in Seattle erzählt Russell einem befreundeten Ehepaar, dass er sich schon gefragt habe, ob er verrückt geworden sei in seiner Verzweiflung. The Changeling hätte auch ein Film über einen Mann werden können, der in den Wahnsinn abgleitet. Erzählt wird aber eine psychologische Geistergeschichte, die versucht, beide Aspekte miteinander auszutarieren, die Psyche des Protagonisten und das Okkulte.

Geerdet und beglaubigt wird die Handlung durch den intensiven, keine Mätzchen duldenden George C. Scott, der immer eine latente Aggressivität mit sich herumtrug. Seinen Ruf als schwieriger Charakter festigte er, als er den Oscar für Patton ablehnte, weil er das wertende Vergleichen schauspielerischer Leistungen für Unsinn hielt. Wenn das Spukhaus einem wie ihm Angst einjagt muss etwas dran sein an dem Geist. Scott ist die Idealbesetzung für diese Rolle. Wenige konnten so machomäßig auftrumpfen und die körperbetonte Männlichkeit zugleich so virtuos dekonstruieren wie er.

Scott war auf einem schmalen Grad unterwegs, und er hatte ein Alkoholproblem. Paul Schrader berichtet (im Audiokommentar der bei Twilight Time erschienenen Blu-ray), dass seine Agentin bei Hardcore einen Vertrag aushandelte, der ihm fünf Tage zur freien Verfügung einräumte, als Puffer für eventuelle Besäufnisse (auch eine Form von Professionalität). Man möchte nicht unbedingt mit George C. Scott verheiratet gewesen sein (Medak erinnert sich an eine turbulente, aber nie die Dreharbeiten störende Beziehung mit Trish Van Devere). Als Schauspieler auf der Leinwand ist er wie immer grandios.

Scotts John Russell ist kein verzärtelter Klavierspieler, der vor dem eigenen Schatten erschrickt, wohl aber einer, der in Gefahr ist, in diesen Schatten hineinzufallen wie in ein tiefes Loch. Er hat die Skepsis gegenüber übernatürlichen Phänomenen und auch das Bravado, ohne das man dem Mann nicht abkaufen würde, dass er in einem Haus wohnen bleibt, in dem es spukt; und er hat die Sensibilität und die Verletzlichkeit, die ihn offen für das Wahrnehmen solcher Phänomene machen.

Umgekehrt kann man sich fragen, ob da vorher Leute gewohnt haben, die gar nichts mitgekriegt haben, so wie es auch im echten Leben Menschen geben soll, die fremden Leid gegenüber so unempfindlich sind, dass sie es gar nicht erst ignorieren müssen. Das ist ein Leitthema von Dickens’ weihnachtlichen Geistergeschichten. Oder man macht es wie die Fachpresse aus Hollywood, wo man Schauspielkunst oft mit dem darstellerischen Exhibitionismus verwechselt, für den es traditionell die Oscars gibt. Amerikanische Kritiker rügten Scott dafür, dass er - ihrer Ansicht nach - nur mürrisch durch die Kulissen lief.

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