Stasi-West, Verfassungsschutz-Ost

Seite 5: Von Gerhard Boeden bis Peter Frisch

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Gerhard Boeden

Pfahls Nachfolger Gerhard Boeden unterschied sich von den bisherigen Amtsinhabern durch seine Herkunft. Der vormalige Streifenpolizist hatte sich über die Leitung der SG Bonn bis hin zum BKA-Vize hochgearbeitet. In seiner bis 1991 währenden Amtszeit widmete er sich insbesondere der RAF. Im Zuge der Vereinigung hoffte er auf ostdeutsches Personal, das jedoch überwiegend nichts mit dem Verfassungsschutz zu schaffen haben wollte. Wer ans Überlaufen dachte, bot sich lieber gleich der CIA an. Auch zwischen dem BND und den einstigen Hauptgegnern kam es in den Vereinigungsjahren zu erstaunlichen Harmonien, die noch immer nicht aufgearbeitet sind.

Immerhin kooperierte der legendäre Chefabhörer des MfS, Generalmajor Horst Männchen, der das BfV über die noch immer laufende Lauschpraxis der Russen sowie über das hochgeheime RYAN-Programm informierte. Männchens Wissen war wegen seiner in Jahrzehnten gewonnenen Kenntnisse über die Telefonate etlicher westdeutscher Politiker unschätzbar. Sein wertvollstes Gut war jedoch die Lieferung von Horrorszenarien über russische Agenten, die wie die Horden Dschingis Khans einzufallen drohten. Wer wollte da auf einen Abwehrgeheimdienst verzichten?

Eckart Werthebach

Der erste nennenswerte Coup des Verfassungsschutzes gegen das MfS gelang BfV-Präsident Eckart Werthebach, der einen Fischzug in Ostberlin unternahm, um an MfS-Dossiers zu kommen. Es handelte sich allerdings um Leichenfledderei, denn dieses Abenteuer fand erst 1991 statt, als das MfS den Schlapphut längst an den Nagel gehängt hatte. Jedoch pfuschte Werthebach dem BND ins Handwerk, der sich in den Vereinigungsjahren bestens mit gewissen MfS-Kollegen verstand. Zufällig gerieten Informationen in Umlauf, die Werthebach in Misskredit und 1995 um seinen Schreibtisch brachten. Seine folgende Karriere als Berliner Innensenator endete ebenfalls vorzeitig. Kulturell bleibt er als Freund der deutschen Sprache in Erinnerung, die der Ex-Verfassungsschützer unter gesetzlichen Schutz stellen wollte. Die Durchsetzung eines sprachlichen Reinheitsgebots hätte im Beamtenapparat gewiss spannende Arbeitsstellen geschaffen.

Peter Frisch

Nach einem unspektakulären Gastspiel von Hansjörg Geiger nahm 1995 Peter Frisch auf dem Präsidentenstuhl Platz. Frisch war früher im niedersächsischen Innenministerium tätig und will nichts davon mitbekommen haben, als es das Landesamt für Verfassungsschutz 1978 krachen ließ. Bei der "Operation Feuerzauber" sprengten die niedersächsischen Verfassungsschützer ein Loch in die Mauer der JVA Celle, das man als versuchte Gefangenenbefreiung der RAF inszenierte. Frischs Dementi jeglicher Kenntnis des Staatstheaters im Stile der "Operation Nordpol" vermochte manche Geheimdienstkenner nicht zu überzeugen. (Die Tochter des wohl hiervon informierten niedersächsischen Ministerpräsidenten machte drei Jahrzehnte später als Bundesfamilienministerin mit eigenartigen Begründungen für Internetsperren von sich reden.)

Als Präsident des BfV musste Frisch einen mysteriöser Whistleblower jagen, der etliche Faxe an Bundestagsabgeordnete sandte, in denen er Frischs Amtsführung kritisierte und ihm Bereicherung vorwarf. Als die Fahnder den Faxenmacher in einem Telefonladen stellten, ging ihnen der Schlapphut hoch: Es handelte sich um den eigenen Sicherheitschef, den höchsten Geheimnisträger im Hause, wie in Peter-Ferdinand Kochs "Enttarnt" nachzulesen ist. In die Ära Frisch fielen die Kurdenkrawalle von 1998, bei denen das BfV nicht einsatzfähig war - wegen des rheinischen Karnevals, der die 2.500 Mitarbeiter offenbar vollständig beanspruchte.

Zehn Jahre nach Wegfall des Mitbewerbers im Osten fiel auch der Presse auf, dass man die Gegenspionage eigentlich nicht mehr so recht brauchte. Frischs Leistung wurde von vielen darin gesehen, der Presse die Notwendigkeit seiner Arbeitsstätte durch heiße Luft zu vermitteln. Eine Existenzberechtigung verdankte das BfV insbesondere der Entwicklung von rechtsextremen Strukturen im Osten, welche von etlichen Landesämtern für Verfassungsschutz in der Weise beobachtet wurden, als dass man V-Leute honorierte, die hierüber ihre Organisationen finanzierten. Die Verfassungsschützer züchteten und protegierten den Gegner, der sie selbst in Lohn und Brot halten sollte. Frisch ging 2000 in den Ruhestand und übergab an Heinz Fromm, der das Amt noch heute führt.

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