Stasi-West, Verfassungsschutz-Ost

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Die für Geheimdienste konstituierende Nachfrage nach Sicherheit stieg schlagartig an, als den Diensten der 11.09. und damit ein neues Feindbild in den Schoß fiel. Die auf den Osten eingetakteten Dienste verfügten allerdings nicht nennenswert über Personal mit Sprachkenntnissen aus der arabischen Welt. Berühmt ist der Fall eines angeheuerten Übersetzers, dem die Stimme eines Abhörmitschnitts bekannt vorkam: seine eigene.

Mit die wertvollsten Informationen über die arabische Extremistenszene schöpften die Verfassungsschützer aus einer Quelle, die sie zuvor gar nicht genug hatten verteufeln können: aus den Akten des MfS. Also lag es nahe, einen MfS-Veteran in dessen Wohnung aufzusuchen und um Kooperation zu bitten. Die in "Enttarnt" geschilderte Szene stimmt nachdenklich: Der MfS-Mann erinnerte den Anwerber daran, dass man ihn und seine Kollegen mit einer 800,- Mark-Rente auf die Straße gesetzt, ihnen berufliches Fortkommen verwehrt und sie wie Aussätzige stigmatisiert habe. Die in Not geratenen Kollegen im BfV sollten nun zusehen, wie sie alleine zurecht kämen.

Tatsächlich misst die Öffentlichkeit die Spione in Ost und West mit zweierlei Maß: So wird Besuchern im Museum Story of Berlin sowie im Film "Das Leben der anderen" die Sammlung von Geruchsproben Verdächtiger als etwas Widerwärtiges präsentiert. Umgekehrt stören sich wenige daran, dass Schäubles BKA ebenfalls Geruchsproben sammelte und dieses Wissen bei politischen Ereignissen wie den Demonstrationen in Heiligendamm einsetzte. Das MfS befand sich mit dem Abhören zwar technisch auf der Höhe seiner Zeit, verfügte jedoch nur über begrenzte Kapazitäten zur Erfassung, Speicherung und Auswertung etwa von Telefonaten. Verglichen mit den heutigen automatisierten Systemen, die sämtliche Anrufe verdachtsunabhängig auf Buzzwords beschnüffeln, Verkehrsdaten speichern und mithilfe der mobilen Ortungswanze ("Handy") Bewegungsprofile rekonstruieren und insbesondere E-Mails mitlesen, befand sich das MfS in der Steinzeit.

2003 machten sich die Verfassungsschützer vollends lächerlich, weil im Rahmen des NPD-Verbotsverfahrens herauskam, dass die NPD auf der Führungsebene von den Diensten flächendeckend unterwandert worden war. Ein Rechtsstaat kann jedoch keine Organisation als verfassungsfeindlich verbieten, die er selber geheimdienstlich nahezu steuert. Statt ein Verbotsverfahren vorzubereiten, sabotierten also die Schlapphüte mit traditionellem Rechtsdrall das Verfahren. Wozu eine so massive Aufklärung durch honorierte V-Leute erforderlich ist, um die NPD einschätzen zu können, war nicht zu vermitteln. Dennoch berichten noch heute ca. 130 V-Leute dem Verfassungsschutz über ihre Verfassung. Die Abteilung zum Rechtsextremismus ist übrigens die kleinste im BfV (Stand 2011).

Umstürzlerische Kommunisten

Demgegenüber standen für die traditionelle Beobachtung des linken Spektrums stets erkleckliche Mittel zur Verfügung, die insbesondere zur Buchführung über politisch als nicht zuverlässig erkannte Mitbürger eingesetzt wurden und werden. Denn wo wären wir hingekommen, hätten Lehrer mit kommunistischer Weltanschauung unsere Kinder in Kunst oder Sport unterrichtet? Wie würde wohl die Republik aussehen, wäre die Leitung der städtischen Müllentsorgung Marxisten überlassen worden? Wie sollten wir uns ohne Vorfeldaufklärung gegen die seit 50 Jahren unmittelbar bevorstehende kubanische Revolution verteidigen? Die Absurdität des Überwachens politischer Köpfe kristallisiert sich in der Person des Rechtsanwalts Dr. Rolf Gößner, dessen vier Jahrzehnte währende Überwachung nunmehr vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig für rechtswidrig erklärt wurde.

20 Jahre nach Ende des Warschauer Pakts steigt der Verfassungsschutz selbst demokratisch gewählten Bundestagsabgeordneten hinterher. Selbst zur Beschnüffelung der Bundestags-Vizepräsidentin hat das Bundesinnenministerium offensichtlich Spionageauftrag erteilt - was ein Geschmäckle hat, denn dessen politische Leitung ist der parlamentarische Mitbewerber. Sogar ein Mitglied des Geheimdienstekontrollgremiums wurde vom Geheimdienst kontrolliert, was man schwerlich parodieren kann.

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