Statt Stresstest nur Beruhigungspille
Das Basisszenario wurde schon von der Realität überholt und im "adversen Szenario" wurde nicht einmal auf das bekannte Lehman-Szenario geprüft
Wieder einmal wohnen wir einem sogenannten Stresstest bei, der angeblich etwas über die Stabilität des Bankensystems aussagen soll. Solche Tests wurden in der Vergangenheit in den USA und Europa immer wieder als "Schmierentheater" bezeichnet. Am Sonntag wurde der Vorhang zu einem neuen Akt gehoben, als die Ergebnisse des Test über 130 Banken in der Eurozone veröffentlich wurden. Der Test wurde so durchgezogen, damit er "positive Ergebnisse" bringt. Denn nur dann kann die gemeinsame Bankenaufsicht starten, womit der Weg zur Bankenunion freigemacht wird. Am 4. November soll der "neutrale" Prüfer Europäische Zentralbank (EZB) nämlich Aufseher der Banken werden. Dann kann Geld aus dem Europäischen Rettungsfonds (ESM) direkt an Banken durchgereicht werden.
Überall ist Aufatmen angesichts der Tatsache zu spüren, dass den Banken weitgehend "gute Noten" beim Stresstest ausgestellt wurden. Für den Bundesverband Deutscher Banken erklärte deren Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer: "Die Welt der Banken ist viel sicherer geworden." Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zeigte sich zufrieden. "Die Ergebnisse bestätigen meinen Eindruck, dass die deutschen Banken gut vorgesorgt haben", sagte er am Sonntag nach Veröffentlichung der Testergebnisse. In anderen Ländern ist das nicht groß anders, auch die Spanier freuen sich, dass die Banken "mit Leichtigkeit" bestanden hätten, wie der Chef der nationalen Notenbank erklärte.
Von den geprüften 130 Banken haben 25 die Kriterien zum vergangenen Jahreswechsel verletzt. Darunter waren neun große italienische Banken, in Griechenland waren es drei (Samaras feiert das Scheitern der griechischen Banken!), drei gab es im ebenfalls abgestürzten Zypern und zwei im kriselnden Slowenien. Einzelne Institute fielen auch in Portugal, Irland, Belgien, Österreich, Deutschland, Frankreich und Spanien durch. Doch, und das wird dann die nachgeschobene positive Nachricht, haben 12 der schwächelnden Banken mit entsprechenden Maßnahmen schon jetzt die zum Jahreswechsel festgestellten Kapitallücken wieder geschlossen. Darunter auch die Münchener Hypothekenbank. Dort war eine Kapitallücke von 229 Millionen Euro festgestellt worden.
Insgesamt habe zum Jahreswechsel nach Ansicht der Prüfer eine Kapitallücke von insgesamt 25 Milliarden Euro bestanden. Diese Lücke wurde demnach zum Großteil schon geschlossen. Den 13 Kreditinstituten, die letztlich nur noch durchgefallen sind, fehlen insgesamt 10 Milliarden Euro, die sie sich in den nächsten Monaten beschaffen müssen. Innerhalb von zwei Wochen müssen sie einen Plan vorlegen, wie sie das schaffen wollen.
Größere Lücken klaffen noch immer bei der italienischen Banco Monte dei Paschi (2,1 Mrd.), bei der griechischen Eurobank (1,8 Mrd.), der portugiesischen Banco Comercial Portuguese (1,15 Mrd.), bei der griechischen National Bank of Greece (1 Mrd.), beim Österreichischen Volksbanken-Verbund (860 Mio.), der irischen permanent TSB (850 Mio.), der italienischen Banca Carige (810 Mio.), der belgische Dexia (340 Mio.) und der italienischen Banca Popolare di Vicenza (220 Mio.). Der Hellenic Bank in Zypern, der Banca Popolare di Milano in Italien, der Nova KBM und der Nova Lujubljanska Banka in Slowenien fehlen zwischen 180 und 30 Millionen Euro.
Es zeigt sich deutlich, dass die Sorgenbanken vor allem in Italien und Griechenland zu finden sind. Und Italien ist deshalb bezeichnend, weil es in der Liste mit den Ländern auftaucht, die wie Griechenland, Irland, Portugal und Zypern längst unter den Rettungsschirm gehen mussten. Es ist wohl die klarste Aussage dieses Tests, dass Italien weiter ein großer Sorgenkandidat ist. Klar ist seit langem, dass das Land unter enormen Staatschulden stöhnt. Es sind 2,2 Billionen Euro, die im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung schon 134% betragen. Weiter wird Italien nur von Griechenland übertroffen, obwohl es besonders davon profitiert, dass nun Prostitution, Drogenhandel und andere illegale Geschäfte in die Wirtschaftsleistung einbezogen werden. Darüber wurde die Schuldenquote gesenkt und die Wirtschaft scheint weniger stark zu schrumpfen.
Die Banken im Euroraum hängen immer stärker am Tropf der Notenbank
Es ist eigentlich erstaunlich, dass noch immer solche Kapitallücken bestehen, obwohl die EZB (der Bankenprüfer) nun seit Jahren alles tut, um die Banken mit Niedrigstzinsen zu subventionieren. Die EZB steigt nun sogar in den Ankauf von gefährlichen Asset Backed Securities (ABS) ein. Banken werden uch Kreditverbriefungen durch die Zentralbank abgekauft, die nicht einmal mehr die Mindestanforderungen der Rating-Agenturen erfüllen. Darüber können sie ihre Bilanzen weiter schönfärben können, da offene Forderungen daraus verschwinden (Europäische Zentralbank mutiert zur Bad Bank). Man darf gespannt sein, ob die durchgefallenen Institute im "Schlachtplan" zur Schließung von Kapitallücken als Punkt anführen, der EZB Ramsch anzudrehen wollen, der ihre Bilanzen belastet.
Und hiermit sind wir bei einem großen Problem diese angeblichen Stresstests angelangt. Die Banken im Euroraum hängen immer stärker am Tropf der Notenbank. So stellt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) seit langem im Gegenteil zu dem fest, was uns mit dem Stresstest verkauft werden soll, dass es weiter gravierende Risiken im Bankensystem gibt, "die vor allem in Europa fortbestehen". Die Zentralbank der Zentralbanken kritisiert immer wieder, dass mit der EZB-Geldpolitik Zombie-Banken künstlich am Leben erhalten werden. Die extrem niedrigen Zinsen führten dazu, dass über die Ausweitung von Kreditmargen Verluste in anderen Bereichen übertüncht werden können. Mit diesen Zinsen würden zudem "faktisch insolvente Schuldner über Wasser gehalten werden", womit die Banken Verlustabschreibungen hinausschieben könnten und scheinbar besser dastehen, als dies real der Fall ist. Es ist klar, was passieren würde, wenn die EZB den Junkies keine Geldspritzen mehr zur Verfügung stellen würde.
Doch das ist nicht das einzige Problem mit diesem Test mit zwei Szenarien. Das eine Problem ist, dass das Basisszenario schon längst von der Realität eingeholt wurde. Die positiven Prognosen in der EU und der EZB, unter denen getestet wurde, haben sich nicht bewahrheitet. Denn als die Szenarien angelegt wurden, haben die "Experten" nicht damit gerechnet, dass sich die Wirtschaft im Euroraum schon im zweiten Quartal wieder auf den Weg in die Rezession machen könnte. Hatte man auf eine deutsche Lokomotive gesetzt, die die Wirtschaft in der Eurozone weiter zieht, war es gerade Deutschland, dessen Wirtschaft im zweiten Quartal geschrumpft ist. In den letzten Wochen kommt zudem eine Hiobsbotschaft nach der anderen, die nicht viel Gutes erwarten lassen.
Auf wirkliche Krisen wollte man nicht testen
Noch dramatischer ist, und das macht deutlich, dass man auf eine wirkliche Stresssituation gar nicht testen wollte, dass das so genannte "adverse Szenario" eher von moderaten Problemen ausging, nicht von einem "Worst-Case-Szenario" wie beim Test vor zwei Jahren ausgegangen. Doch erneut wurde wie damals getrickst, gemogelt und hingebogen, um zu diesen scheinbar positiven Ergebnissen zu kommen.
Für das "Stress-Szenario" wurde nur davon ausgegangen, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 0,7% schrumpft und 2015 um weitere 1,4% schrumpft, während es 2016 dann stagnieren soll. Das ist aber noch immer weit entfernt von einem realen Stress-Szenario, wie es die Eurozone nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008 erlebt hat. Danach schrumpfte das BIP sogar um 4,5% und nicht um 2,1%, wie nun angenommen wurde. Nach diesen "Stress-Parametern" gilt für die Prüfer der EZB eine Bank als ausreichend kapitalisiert, wenn die harte Kernkapitalquote nach EU-Richtlinien mindestens 8% beim Basisszenario und 5,5% beim adversen Szenario ausmacht
Angenommen wurde aber auch nur, dass die Arbeitslosenquote von 10,4% auf 13% steigt und Immobilienpreise nur um etwa 20% einbrechen. In Ländern wie Spanien und Griechenland ist aber die Arbeitslosigkeit sogar auf über 25% nach der Lehman-Pleite gestiegen und die Immobilienpreise sind in Ländern mit Blasen wie Irland und Spanien deutlich stärker eingebrochen. Das passiert derzeit auch schon in nordeuropäischen Ländern wie den Niederlanden. Klar ist, dass die EZB-Prüfer sich nicht einmal getraut haben, ein seit 2008 bekanntes Szenario durchzuspielen, um von einer Zuspitzung im Ukraine-Konflikt, Gasstreit, Sanktionsspirale und den realen Rückkopplungseffekten und Wechselwirkungen nicht zu sprechen. Denn dann sähe trotz EZB-Bankensubventionspolitik das Ergebnis fatal für europäische Banken aus. Doch nun tut man so, als seien die Banken für eine Situation wie die Lehman-Pleite oder ähnlichem gerüstet und müssten nicht erneut mit Steuermilliarden gerettet werden.
Aber genau das kann nicht gesagt werden, eher ist das Gegenteil der Fall. Ohnehin wird das Theater wiederholt, das schon vor zwei Jahren gespielt wurde. Auch damals wurde versucht weiszumachen, dass die Banken stabiler geworden seien. Doch dieser Test schaffte es nicht einmal, die gravierenden Probleme bei der spanischen Großbank Bankia aufzudecken. Um die 22 Milliarden Euro zur Rettung zu bekommen, musste Spanien einen Rettungsantrag stellen. Auch die Bankenkrise in Zypern wurde nicht aufgedeckt, die das Land vor gut einem Jahr unter den Rettungsschirm getrieben hatte. Dort wurde erstmals eine allgemeine Teilenteignung der Sparer geplant, die Institutionen wie der IWF zukünftig fest einplanen (IWF drängt auf Enteignung der Sparer).
Ohnehin ist es an der Banken-Front nie ruhig geworden und gerade rutscht die bulgarische Corpbank in die Pleite ab. Zwar ist Bulgarien kein Euroland, doch der bulgarische Bankensektor ist in den europäischen Bankenverbund integriert (Neuer Bankenwirbel in Europa). Dass auch die Banken im Euroraum trotz EZB-Geldschwemme nicht zur Ruhe kommen, zeigte auch der Absturz der großen portugiesischen Espírito Santo Bank im Sommer. Auch die gravierenden Probleme von Portugals größter Bank hat der Stresstest 2012 nicht aufgezeigt. Und was die neue Novo Banco noch in den Bilanzen versteckt hat, nachdem sie mit fünf Milliarden aus Steuermitteln gerettet wurde, ist unklar. Denn die neue Bank, die aus der Espírito Santo hervorging, wurde nicht einmal getestet.
Dass die Banken in Europa nun sicherer sind, wie nun behauptet wird, kann eigentlich nur als Neusprech von Orwell gewertet werden. Eher ist das Gegenteil der Fall, denn seit dem letzten Stresstest hat sich die Lage sogar verschlimmert, weil die EZB seither die Geldhähne immer dramatischer aufdreht und die Banken immer abhängiger von ihr werden. Und es ist auch kaum anzunehmen, dass EZB-Chef Mario Draghi und andere das nicht wüssten.
Saat für die nächste Krise ist angelegt
Eigentlich ist allen klar, das hat auch schon der IWF vor mehr als drei Jahren erklärt, dass die "Saat für die nächste Krise" längst gesät ist, weil das Finanzsystem nun noch anfälliger sei als vor der Finanzkrise. Vor allem wird darauf verwiesen, dass sich am "Too big to fail"-Problem nichts verbessert, sondern sich die Lage sogar zugespitzt habe. Tatsächlich hat die Bankenkonzentration auch in den Ländern dramatisch zugenommen, die unter Kontrolle des IWF standen.
Und im Mai überraschte auch die IWF-Chefin Christine Lagarde mit den Worten, dass Großbanken heute "gefährlicher als früher" seien. Bei Reformen klaffe "eine Riesenlücke" zwischen Vorhaben und Umsetzung: "We simply cannot have pre-crisis banking in a post-crisis world." Tatsächlich haben wir die Krise nicht überwunden, dafür haben wir aber real ein Bankensystem, das noch gefährlicher ist. Und während in Europa Draghi und Co die Probleme nicht angehen, sondern sie über eine Geldschwemme zu ertränken versuchen, machen sich in den USA inzwischen sogar die Notenbanker Gedanken dazu.
William C. Dudley wirft den Banken vor, dass sie mit ihrem gefährlichen Gebaren fortfahren und durch Manipulationen, Tricksereien auch gegen geltende Gesetze verstoßen. Er droht mit Strafen bis hin zur der Zerschlagung von Banken. Der Chef der New Yorker FED erklärte, die "Sorgen um die finanzielle Gesamtstabilität" könnten dazu führen, dass Banken "dramatisch verkleinert und vereinfacht werden müssen, um effektiv geführt werden zu können". Und das ist sicher nur ein erster notwendiger Schritt, um die Gesellschaft aus dem Würgegriff der Banken zu befreien. Doch in Europa verschleiert man diese Probleme mit solch absurden Stresstests sogar weiter, um die Bevölkerung in eine trügerische Ruhe zu betten.
Der Test war real so angelegt, um die gemeinsame Bankenaufsicht durch die EZB ab dem 4. November nicht zu stören. Sie wurde nachgeschoben, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel im Juli 2012 komplett umgefallen war (Merkel fällt bei EU-Gipfel auf ganzer Linie um). Denn eigentlich sollten nie Gelder aus dem Rettungsfonds ESM direkt an Banken durchgereicht werden, sondern stets sollte der jeweilige Staat dafür haften. Nun, nachdem die Bankenaufsicht geschaffen wird, ist das dann aber doch möglich und dann können Steuergelder direkt in marode Banken gepumpt werden. Auch die kommende Bankenunion wird nicht verhindern, dass die Steuerzahler, entgegen aller Beteuerungen von Schäuble und Co, wieder für diese Bankenrettungen haften werden.
Gespannt sein kann man darauf, ob sich das Verfassungsgericht auch in dieser Frage aus der Verantwortung drückt und erneut die Entscheidung über die Verwendung deutscher Steuergelder an den Europäischen Gerichtshof wie in der Frage unbegrenzter Anleihekäufe abgibt. Das ist eigentlich eine Farce und kommt einer Selbstentmachtung gleich. Man wird sehen, ob die höchsten deutschen Richter in Richtung Selbstentmachtung und Abgabe von Souveränität einen Schritt weiter gehen und auch die Klage gegen die Bankenunion nach Luxemburg weiterreichen.