Studie: Europa wird zukünftig die meisten Astronauten und Satelliten stellen

Militär verliert Einfluss, Rohstoffe und Kolonialisierungspläne sind nicht mehr maßgebend

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Die Zukunft der bemannten Raumfahrt soll zukünftig in erster Linie von Europa und nicht wie bislang von den USA dominiert werden, ebenso wie das Satellitengeschäft allgemein und die Satellitennavigation im Speziellen, so der "Eurospace-Report 2006 zur Zukunft der europäischen Luft- und Raumfahrt". Außerdem wird die Besiedlung des Mondes und einer Raumstation bis 2500 erwartet.

Für die Studie wurden 150 ausgewählte Fach- und Führungskräfte aus der Luft- und Raumfahrtbranche von der unabhängigen Beratungsgesellschaft Eurospace nach ihrer Einschätzung zum Status quo und zur Zukunft der Branche befragt. Demzufolge sehen die Mehrheit von 41 Prozent der Experten Europa vor den USA (39 Prozent) bei der bemannten Raumfahrt. Eine Führungsrolle für Deutschland sagen allerdings nur 10 Prozent der Fachleute voraus.

Schön wäre es ja: Wissenschaft zukünftig wichtiger als Militär

Der Report sieht auch eine Veränderung bei den Motiven für den Weg ins All. So wird künftig die wissenschaftliche Forschung der wichtigste Motor für den "Griff nach den Sternen" sein, meinen 42 Prozent der Fach- und Führungskräfte aus der Branche. Die bisherige Dominanz durch militärische Pläne wird auf den zweiten Rang abrutschen, sagen 39 Prozent der Fachleute voraus. Weniger wichtig als Antrieb für die Eroberung des Weltraums sind die Aspekte Energiegewinnung (7 Prozent) und Rohstoffgewinnung (5 Prozent) sowie die Kolonialisierung anderer Planeten (3 Prozent).

Als bevorzugte Triebwerkstechnik in der Raumfahrt wird sich in der Zukunft das Ionentriebwerk durchsetzen, prognostizieren 39 Prozent. 29 Prozent sind überzeugt, dass auch das Sonnensegel an Bedeutung gewinnen wird. An die Zukunft des Lichtbogentriebwerks glauben dagegen lediglich 3 Prozent der Fachleute.

Um die Startkosten zu senken, werden künftig verstärkt kombinierte Luft- und Raumfahrzeuge zum Einsatz gelangen, sind ein Drittel der Befragten überzeugt. Fast ein Viertel (24 Prozent) gehen von einer Kostenreduzierung um mindestens 10 Prozent aus. Ein knappes Zehntel (9 Prozent) erwarten dadurch sogar Einsparungen von mehr als 50 Prozent.

Die unbehaarten Affen schaffen es doch ins All

Die Besiedelung des Weltalls – Traum der Menschheit seit den ersten Anfängen der bemannten Raumfahrt – wird in rund 500 Jahren deutliche Fortschritte gemacht haben. Im Jahr 2500 soll eine mit Zivilbevölkerung besiedelte Raumstation im All schweben, prognostizieren beinahe ein Drittel (31 Prozent) der befragten Fachleute.16 Prozent erwarten die zivile Raumstation sogar schon in weniger als 100 Jahren. Ein knappes Viertel (24 Prozent) gehen davon aus, dass die Besiedelung des Weltalls noch länger als 500 Jahre in der Zukunft liegt. Lediglich 17 Prozent der von Eurospace befragten Luft- und Raumfahrtspezialisten glauben überhaupt nicht an eine zivile Raumstation.

Auch die Besiedelung des Mondes im größeren Stil ist für die Fachwelt anscheinend eine ausgemachte Sache. Die Hälfte der Experten gehen davon aus, dass es zu einem Mond-Massentourismus kommen wird. 17 Prozent erwarten diese Entwicklung schon ab dem Jahr 2100. Ein Drittel sind überzeugt, dass Touri-Flüge zum Mond erst später zum guten Reisestil gehören werden – aber sicherlich, bevor im Jahr 2500 die zivile Raumstation zu neuen Reiseabenteuern lockt.

Am Himmel wird es immer unübersichtlicher

In Zukunft werden bis zu zehnmal mehr Satelliten um die Erde schwirren als heute. Derzeit umkreisen schon rund 10.000 künstliche Trabanten den blauen Planeten. Hier vertreten fast drei Viertel (72 Prozent) der befragten Fachleute die Auffassung, dass sich künftig mehr als 50.000 Satelliten im Weltall tummeln werden. Ein knappes Drittel (32 Prozent) gehen sogar von über 100.000 Trabanten aus.

Motor des Satelliten-Booms ist nach den Erkenntnissen von Eurospace keineswegs nur das Militär, sondern auch die immer stärkere zivile Nutzung. Zwar gehen 65 Prozent der Experten davon aus, dass militärische Satelliten-Anwendungen künftig noch an Bedeutung gewinnen werden. Aber fast ebenso viele Fachleute (64 Prozent; Mehrfachnennungen waren erwünscht) sagen ebenfalls eine steigende Nachfrage bei der zivilen Erdbeobachtung voraus. Dieses zivile Anwendungsspektrum reicht von der traditionellen Wetterprognose über neuartige Internet-Dienste wie "Google Earth", mit denen jedermann am Computer den Globus aus der Vogelperspektive betrachten kann, bis hin zum künftigen europäischen Navigationssystem Galileo, das ab 2010 in Betrieb gehen soll.

Satelliten: Navigation und Kartierung werden wichtiger, TV unwichtiger

Auch für wissenschaftliche Zwecke etwa auf dem Forschungsgebiet Mikrogravitation (Löten im Weltall ...) werden Satelliten in Zukunft weiter an Gewicht gewinnen, meinen 55 Prozent der befragten Experten. 41 Prozent erwarten einen zunehmenden Satellitenbedarf für die Nachrichtenübertragung. An eine steigende Bedeutung des Satelliten-Fernsehens glauben dagegen nur noch 14 Prozent der Branchenkenner.

Mit dem erwarteten Boom wird laut Report eine Verschiebung der Satelliten-Industrie in Richtung Europa einhergehen. 45 Prozent der kontaktierten Fachleute gehen davon aus, dass Europa zur führenden Satelliten-Nation der Zukunft aufsteigen wird. 16 Prozent trauen Deutschland im europäischen Verbund eine Führungsrolle bei der Eroberung des Weltraums zu. 26 Prozent sehen diese Rolle weiterhin bei den USA. An die "aufstrebende Satelliten-Macht" China glauben dagegen nur 1 Prozent der Branchenexperten.

Galileo soll GPS verdrängen

Konsequenterweise wird das geplante europäische Satellitensystem Galileo (Galileo: Neue Anwendungen "verzweifelt" gesucht) dem heutigen US-amerikanischen Global Positioning System (GPS) (Die US-Regierung will die Überlegenheit in der Satellitennavigation sichern, US-Regierung sichert sich angeblich Kontrolle über das geplante EU-Satellitennavigationssystem) als Navigationshilfe in Autos, Taschencomputern und Handys in den nächsten zehn Jahren ebenfalls den Rang ablaufen, so der Eurospace-Report 2006. Zunächst sind zwar für eine Übergangszeit Systeme geplant, die sowohl GPS als auch Galileo unterstützen sollen. Allerdings werden sich nach Überzeugung von Eurospace binnen kurzer Zeit reine Galileo-Geräte zügig am Markt durchsetzen, weil diese präziser navigieren, kleiner sind, weniger Strom verbrauchen und mit einer Reihe von Zusatzdiensten aufwarten können.

Beinahe zwei Drittel (64 Prozent) der Fach- und Führungskräfte aus der Luft- und Raumfahrtbranche sind fest davon überzeugt, dass das Galileo-Satellitennetz Ende 2010 planmäßig betriebsbereit sein wird. Über die Hälfte (56 Prozent) gehen dementsprechend davon aus, dass sich Galileo schon in weniger als fünf Jahren auf die Überholspur begeben wird, um GPS als führende Navigationsbasis abzulösen. Beinahe drei Viertel (73 Prozent) der Experten erwarten die Ablösung von GPS durch Galileo bei der zivilen Nutzung innerhalb von zehn Jahren nach dem Galileo-Start.

Die heutigen GPS-Geräte sollen unabhängig vom Galileo-Siegeszug auch in ferner Zukunft noch einwandfrei funktionieren. Allerdings werden künftige Handys und Taschencomputer mit Navigationsfunktion neben der Satellitentechnik vor allem die Funksignale der Mobilfunknetze zur eigenen Positionsbestimmung auswerten, prognostizieren 57 Prozent der Befragten. Und hierfür sind dann doch neue Geräte erforderlich.