Syrien: Raus aus der Katastrophe, aber wie?

US-Truppen in al-Tanf im Süden Syriens. Archivbild (2017): US-Army/gemeinfrei.

Heute beginnt die Astana-Konferenz. US-Vertreter sind eingeladen, sagten aber ab

Kein Geld für eine Beerdigung und kein Geld für die medizinische Behandlung, also muss das Auto verkauft werden. Um auf das gleiche Einkommen, gemessen in US-Dollars, zu kommen wie vor dem Ausbruch des Krieges in Syrien vor zehn Jahren müssten Ingenieure und Bankangestellte nun 22 Jahre länger arbeiten als damals.

Die beiden Ausschnitte aus der syrischen Gegenwart stammen von Ehsani22. Die Beiträge für den Twitter-Account verfasst ein US-amerikanischer Ökonom mit syrischen Wurzeln, mit Familie, Freunden und Bekannten im Land und Zugang zu Syriens Elite.

Er hat schon weit vor dem Krieg die wirtschaftliche Situation in Syrien analysiert und beachtenswerte Ausblicke in Joshua Landis Blog "Syria comment" vorgelegt. Man muss seinen Ansatz nicht teilen, aber seine Argumente sind gut begründet. Sie fußen nicht auf einer Sichtweise, bei der Ideologisches und Parteinahme die Wahrnehmung dirigiert und prägt.

Syriens Bevölkerung hat schwere Probleme. Und diese haben sehr viel mit der Sanktionspolitik der USA zu tun. Darüber gibt es die bekannten von Konzepten und Ideologie dominierten Auffassungen. Wie es aussieht, geht das Kalkül der Sanktionen, wonach das Leiden der Bevölkerung den Druck auf die Regierung in Damaskus derart erhöht, dass sie sich zu Verhandlungen und Kompromissen bereit erklärt, wie sie von den USA gefordert werden, nicht auf.

Seit vielen Jahren gibt sich die Regierung Baschar al-Assad solchen Forderungen gegenüber "uneinsichtig", nicht entgegenkommend, um die Haltung aus einer westlichen Perspektive zu beschreiben.

Warten auf die neue US-Syrien-Politik

Heute beginnt die neue zweitägige Runde der Astana-Gespräche im russischen Sotschi. Allein daran, dass die Teilnehmer persönlich zusammenkommen und nicht via Internet-Konferenz miteinander reden, zeigt sich, dass Corona nicht das Hauptproblem bei dieser Veranstaltung ist. Eins der Hauptprobleme ist, dass Vertreter der USA fehlen. Sie wurden diesmal eingeladen, kommen aber nicht. Sie sagten ab. Das Warten geht weiter.

Erst wartete man die Präsidentschafts-Wahlen in den USA ab, ob Trump bleibt oder Biden kommt und wie sich das auf die US-Politik in Syrien auswirken wird und nun wartet man darauf, welches Konzept die neue Führung in Washington für Syrien ausarbeitet. Das ist nicht zuletzt wegen der verheerenden Wirkungen der US-Sanktionen wichtig. Dazu spielt noch eine Rolle, wie es mit den Ölquellen im Nordosten des Landes steht. Sie sind unter US-Kontrolle.

Davon abgesehen ist die Iran-Politik der US-Regierung auch entscheidend für die Lage in Syrien und dann gibt es noch die von der Trump-Regierung verfolgte Politik, die es mit ihrer scharfen Sanktionsgesetzgebung darauf angelegt hat, dass die Assad-Regierung am Wiederaufbau des Landes weitestmöglich gehindert wird. Man sagt von der neuen Regierung in Washington, insbesondere von ihren Außenpolitikern, dass sie weitaus kompetenter sei als die Vorgänger unter Präsident Trump. Der Nachweis dafür lässt noch auf sich warten.

Der politische Prozess

Die große Aufgabe der Astana-Konferenz besteht darin, den politischen Prozess in Syrien voranzutreiben. Die "militärischen Lösungen" sollen endlich, bald zehn Jahre nach Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen, der Vergangenheit angehören. Doch müssen dafür ganz unterschiedliche Interessen austariert werden. Wie sehr sich diese gegenseitig behindert haben, zeigt sich am Verlauf der Verhandlungen zum verfassungsgebenden Komitee in Syrien, um das es in Sotschi zentral gehen soll.

Sie stocken noch immer. Das letzte Gespräch dazu am 29. Januar 2021 in Genf endete wie gewöhnlich in großer Frustration (Stellvertreterkrieg verhindert politische Lösung in Syrien). Ein Blick auf die Vorgeschichte, wie sie vom Middle East Institute (MEI) übersichtlich dargeboten wird, führt vor Augen, wie verhakt die Angelegenheit ist. Auch wenn man den Informationen des MEI, wie bei allen, die sich zu Syrien äußern, eine Parteinahme nicht absprechen kann, so bleibt das Fazit objektiv ein Fakt:

"Der Prozess der Erstellung einer neuen Verfassung für Syrien ist extrem langsam verlaufen."

Ob sich daran etwas ändern wird? Die Regierung in Damaskus hat kein gesteigertes Interesse an einer neuen Verfassung. So kommt es ganz darauf an, welche Stimmen dafür von den Unterstützerländern Russland und Iran kommen, bzw. von der Türkei als Garantiemacht der Opposition mit welchem Einfluss eingebracht werden. Hier zeigen sich einige große Schwierigkeiten, zum Beispiel Idlib. Dort hat die Türkei beträchlichen, wenn auch prekären politischen Einfluss.

Nur läuft dieser gegen das Interesse der syrischen Regierung, da Ankara darauf bedacht ist, dass das "Modell" mit der al-Qaida-Truppe HTS (Hayat Tahrir asch-Scham) möglichst von Offensiven verschont bleibt, während die Regierung in Damaskus das langfristige Ziel hat, Kontrolle über ganz Syrien wiederzubekommen. Indessen versucht sich der Chef der HTS, al-Golani, gerade in der internationalen Öffentlichkeit als politischer Akteur zu etablieren, der als Verhandlungspartner ernst genommen werden will. Wie es aussieht, betreibt die von ihm lancierte und protegierte "Heils"-Regierung nicht nur harte Scharia-Repressionspolitik, sondern auch andere Ausbeutungsmethoden

Man darf gespannt sein, wie die Astana-Konferenz das Thema Idlib anspricht und ob es dazu Pläne geben wird, die die bisherigen Abkommen auf eine neue Realität einstellen.

Zu Beginn der Astana-Konferenzen im Jahr 2015 hieß es, dass sie die real für Syrien einflussreichen Länder umfasst: Russland, Iran und die Türkei - und damit im Gegensatz zu den real immer wieder erfolglosen Gesprächen in Genf Abmachungen treffen kann, die Syriens Situation zum Besseren wenden. Jetzt drängt sich der Eindruck auf, dass man die USA auch braucht, um wirklich für die Bevölkerung spürbare Verbesserungen auszuhandeln.

Erbärmliche Zustände

Zu tun gäbe es dafür genug. Durch die Regenfälle sind die Flüchtlingslager in Nordsyrien in einem erbärmlichen, unerträglichen Zustand. Das zu verbessern, geht nur in einer Kooperation, die nicht mit einem Regime Change spekuliert. Zudem wird berichtet, dass der IS sich die miserablen Zustände in Syrien zunutze macht, um seine Präsenz wieder auszubauen und Angriffe zu verstärken.

Lokale Nachrichten zeigen (hier und hier), dass es nicht gut steht mit den Nerven der Bevölkerung, auch und gerade nicht in den Gebieten, die vor zehn Jahren zu den Unruhen in Syrien geführt haben.