Taiwan mit Waffengewalt stürmen?

Taipeh bei Sonnenaufgang

Taipeh bei Sonnenaufgang. Foto: Chensiyuan, CC BY-SA 4.0

China erwägt militärische Optionen gegen Taiwan. Die USA warnen vor Konsequenzen. Doch Pekings Armee wächst stetig. Könnte eine Invasion wirklich gelingen?

Der Nervenkrieg um Taiwan geht mit unverminderter Härte weiter. Washington und Peking drohen und die Falken in Taipeh setzen ‒ zumindest verbal ‒ auf Stärke. Das wirft drei grundlegende Fragen auf:

Wie stehen Taipehs Chancen, eine chinesische Invasion zu verhindern?
Welche Anstrengungen müsste Peking unternehmen, um eine Invasion mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg durchzuführen?
Was könnte China im Falle eines militärischen Sieges gewinnen und was würde es verlieren?

Taiwan

Die Armee Taiwans ist auf dem Papier rund 200.000 Mann stark, tatsächlich dürften es jedoch nur 150.000 Soldaten sein. Experten von Foreign Policy schätzen, dass die Fronteinheiten derzeit allerdings nur eine effektive Personalstärke von 60 bis 80 Prozent aufweisen.

Zum Vergleich: Die Bundesrepublik verfügt momentan über rund 180.000 Soldaten und 34.000 Reservisten. Doch leben in Deutschland etwa 83,3 Millionen Menschen, in Taiwan sind es dagegen nur knapp 24 Millionen, etwas weniger als in Nordrhein-Westfalen und Hessen zusammengenommen.

Während in Deutschland allein die Grundausbildung von Rekruten drei Monate dauert, wurde die Wehrpflicht in Taiwan 2017 auf insgesamt nur vier Monate verkürzt. Die allgemeine Wehrpflicht ist zwar in der taiwanesischen Verfassung verankert, doch nehmen die Rekruten weder an Feld- noch an Mobilmachungsübungen teil.

Taiwans Militär nur bedingt abwehrbereit

Die meisten Wehrpflichtigen dienen nicht einmal vier Monate, da ihnen Dienstzeiten angerechnet werden, wenn sie in der Highschool oder im College eine militärische Ausbildung absolviert haben. Da kann es nicht verwundern, dass solche Soldaten in einem militärischen Konflikt mit einem vielfach überlegenen Gegner eher als Problem denn als Lösung betrachtet werden.

Darüber hinaus berufen sich die Falken in Taipeh auf eine Zahl von zwei Millionen Reservisten. Doch Foreign Policy zitiert hochrangige taiwanesische Militärs, denen zufolge solche Zahlenspiel "reine Fantasie" sind. Und darüber hinaus mangelt es Taipeh offensichtlich auch an Ausrüstung und Aufmarschplänen.

Auch wenn das Militär mit auffälligen US-Waffenkäufen wie M1-Abrams-Panzern und F-16V-Kampfjets aufrüstet, ist seine Mannschaftsstärke unzureichend und das gesamte Reservesystem ist dysfunktional. "Diese Probleme sind gut dokumentiert, werden aber von Taiwans politischer Führung nach wie vor heruntergespielt, wenn nicht sogar völlig ignoriert - und es gibt keinen klaren Plan zur Lösung der Krise" resümiert Foreign Policy.

Fazit: Ohne extensive Unterstützung der USA und gegebenenfalls von weiteren Nato-Ländern würde Taiwan im Falle einer Invasion mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an China angeschlossen.

China

Doch trotz des schlechten Zustands der taiwanesischen Streitkräfte bleibt die Aufgabe für Peking, die Insel zu erobern, gewaltig. Taiwan ist 36.197 km² groß und damit rund sechs Prozent größer als Nordrhein-Westfalen. Die Straße von Taiwan ist 180 Kilometer breit. Zum Vergleich: Der Ärmelkanal misst an seiner schmalsten Stelle 34 km.

180 km sind keine Entfernung für Flugzeuge; aber mit einem modernen chinesischen Zerstörer dauert es selbst bei dessen Höchstgeschwindigkeit von 30 Knoten noch über drei Stunden, bevor die Insel erreicht ist. Truppentransporter und Versorgungseinheiten brauchen etwa dreimal länger.

Doch Zeit ist nicht nur für China ein Problem. Die USA benötigen nach Aussage von Admiral Samuel Paparo, dem Befehlshaber des Indopazifischen Kommandos, einen Monat, um im Westpazifik gegen China Stellung zu beziehen. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass die Vorbereitungen der USA für den Irak-Krieg 2003 ein halbes Jahr in Anspruch nahmen.

Taiwan in den ersten drei Monaten am verwundbarsten?

Eine Analyse der rechtslastigen Rand-Corporation kommt zu dem Schluss, dass Taiwan in den ersten drei Monaten am verwundbarsten für eine militärische Übernahme durch China ist.

Noch fehlen China Transportkapazitäten, um eine massive Invasion rasch Wirklichkeit werden zu lassen. Laut Asia Times könnten die amphibischen Angriffsschiffe der chinesischen Marine bei einer ersten Invasionslandung auf Taiwan lediglich das Ausrüstungsäquivalent einer schweren, mit Panzerfahrzeugen ausgestatteten Brigade (1.500 – 5.000 Soldaten) und 21.000 Soldaten transportieren.

Um die 150.000 Soldaten auf Taiwan zu besiegen, benötigen etwaige Invasionstruppen nach der 1:3-Formel möglicherweise eine Stärke von bis zu 450.000 Mann. Das kann die zwei Millionen Soldaten zählende Volksbefreiungsarmee (PLA) Pekings zwar durchaus bewältigen – doch es wäre eine auch nach historischen Maßstäben ziemlich einzigartige Aktion.

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