Terror in Solingen und Folgen: Was deutsche Behörden dürfen und was nicht

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Abschiebeflug wird als Wahlkampfmanöver kritisiert. Doch wie lassen sich islamistische Attentate tatsächlich verhindern – droht die totale Überwachung?

In einem Punkt waren sich kritische Stimmen von links und rechts einig, als Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am heutigen Freitagmorgen bekannt gab: "Deutschland schiebt heute 28 Straftäter nach Afghanistan ab. Unsere Sicherheit zählt, unser Rechtsstaat handelt. Ich danke der Bundespolizei und den Ländern für die enge Zusammenarbeit."

Zwei Tage vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, wo AfD und CDU in Umfragen vorne liegen, wurde die Aktion vielfach als durchsichtiges Wahlkampfmanöver der Ampel-Parteien wahrgenommen, die nach dem islamistischen Messerattentat mit drei Toten in Solingen zeigen wollten: Wir tun was. Doch auch in deren Nachwuchsorganisationen regt sich Widerstand.

Grüne Jugend kritisiert Abschiebeflug scharf

"Deutschland schiebt jetzt also in ein von Islamisten beherrschtes Land ab, das Frauen das Sprechen in der Öffentlichkeit verboten hat, in dem ein Viertel der Menschen hungert und in dem Abgeschobenen Folter und Tod drohen", kritisierte etwa die Bundessprecherin der Grünen Jugend, Svenja Appuhn.

Während der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) die Aktion begrüßt und von einem funktionierenden Rechtsstaat spricht, gibt die Linke-Politikerin Katharina König-Preuss zu bedenken, dass dafür direkt oder indirekt mit der radikalislamischen Taliban-Regierung in Kabul verhandelt worden sein muss. "Euer Ernst? Verhandlungen mit Islamisten?"

Weitere Verschärfungen für Asylsuchende im Gespräch

Parallel zur Vorbereitung der Abschiebeaktion diskutierte die Ampel diese Woche drastische Leistungskürzungen für Asylsuchende, die in einem anderen EU-Land registriert sind. Um die "Dublin-Flüchtlinge" zur Ausreise zu bewegen, sollten sie statt Bargeld oder Bezahlkarte nur noch die allernötigsten Sachleistungen bekommen – das "Bett-Brot-Seife-Minimum", berichtete am Mittwoch die Bild.

Weil das alles im Zweifel keine Attentate verhindert – manche Islamisten sind deutsche Staatsbürger, darunter auch Konvertiten, die nie eine andere Staatsbürgerschaft hatten, ganz zu schweigen von militanten Neonazis – wird aktuell auch über Verschärfungen des Waffenrechts und eine Ausweitung von Überwachungsbefugnissen diskutiert.

Überwachung: Kippt Karlsruhe das neue BKA-Gesetz?

Den Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums für ein neues BKA-Gesetz hat Mitte August vom Portal netzpolitik.org veröffentlicht. In dessen Zentrum stehen drei neue Instrumente, die dem BKA sowie teilweise auch der Bundespolizei und den Landespolizeien zur Verfügung gestellt werden sollen: das Recht, heimlich Wohnungen zu betreten und zu durchsuchen; die Zusammenführung polizeilicher Datenbestände samt deren automatisierter Analyse und Auswertung sowie eine Art biometrische Rasterfahndung im öffentlichen Internet.

Beschlossene Sache ist dies noch nicht. Mitglieder des Deutschen Anwaltsvereins sehen darin Anlass für eine Verfassungsbeschwerde und erwarten, dass das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe den Entwurf kassieren wird.

Ist schon die herkömmliche, stets offen erfolgende Hausdurchsuchung ein schwerer Eingriff, den Betroffene oft nur schwer verwinden können, suspendiert die heimliche Durchsuchung nicht nur bis zu ihrer nachträglichen Bekanntgabe den Rechtsweg, sie stellt auch ganz grundlegend die Vertrauensfrage im Verhältnis von Bürger und Staat.

Die Rechtsanwälte Niko Härting, Lea Voigt, David Albrecht in einem Gastbeitrag auf netzpolitik.org

Schöpfen Sicherheitsbehörden die Gesetzeslage aus?

Wenn es um die Verhältnismäßigkeit der Mittel geht, stellt sich auch die Frage, ob die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten von den Sicherheitsbehörden ausgeschöpft wurden. Um zu evaluieren, welche Wirkung und welchen Nutzen bisherige Überwachungsbefugnisse haben, wurde in diesem Jahr eine "Überwachungsgesamtrechnung" gestartet. Den Zuschlag dafür hatte das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht erhalten.

"Die genaue Messbarkeit des Erfolgs, der zudem zunächst definiert werden müsste, dürfte sich jedoch als schwierig erweisen", erklärte dazu an diesem Freitag Prof. Dr. Hannah Ruschemeier, Juniorprofessorin für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Datenschutzrecht/Recht der Digitalisierung der FernUniversität in Hagen.

Zahlreiche Befugnisse gibt es bereits

In Deutschland bestehen zahlreiche Überwachungsbefugnisse unterschiedlicher staatlicher Behörden, die aufgrund des föderalistischen Staatsaufbaus zwischen Bund und Ländern aufgeteilt sind.

Auf Bundes- und Landesebene wird zudem zwischen den Kompetenzbereichen von Polizei und Strafverfolgungsbehörden zur operativen Gefahrenabwehr beziehungsweise Strafverfolgung und den Nachrichtendiensten (BND, MAD, Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbehörden der Länder) zur informationellen Vorfeldaufklärung differenziert.

'Klassische' Überwachungsbefugnisse – wie die Observation von Personen, die Überwachung von Telekommunikation oder die 'Online-Durchsuchung' – sind im Gesamtkontext der zahlreichen Befugnisse der Sicherheitsbehörden zur umfangreichen Verarbeitung von Daten, aus denen sich neue Erkenntnisse ableiten lassen sollen und der Ausweitung von Vorfeldbefugnissen ('drohende Gefahr', Präventivgewahrsam im bayerischen Polizeiaufgabengesetz) zu sehen.

Prof. Dr. Hannah Ruschemeier

Effizienz der Überwachungsmaßnahmen zweifelhaft

Es fehle an empirischen Erkenntnissen zur Effizienz von behördlichen Befugnissen im Detail und in der Breite, so die Rechtsexpertin. Hoch gepriesene Vorhaben "vermeintlich technisch innovativer Instrumente wie Modellprojekte zu 'Predictive Policing'" seien teilweise aufgrund fehlenden Erfolgs oder schlicht wegen mangelnder Datengrundlage eingestellt worden.

Ihr Fazit: "Anstatt neue Eingriffsgrundlagen zu schaffen, sollte zudem regelmäßig geprüft werden, welche Befugnisse bestehen, bei denen es aber im Vollzug hakt."

Wen Präventivhaft treffen sollte und wen sie dann traf

Befugnisse wie der Präventivgewahrsam waren politisch mit Verweis auf islamistische "Gefährder" wie den Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri durchgesetzt worden, zum Einsatz kamen sie dann aber zum Beispiel gegen Klimabewegte der "Letzten Generation", die Gewalt gegen Menschen kategorisch ablehnen. Während der Proteste gegen die Automesse IAA Mobility 2023 in München saßen mehr als zwei Dutzend Personen aus dieser Gruppierung in Präventivhaft.

Das Landgericht Hamburg hat im Juli dieses Jahres eine solche Maßnahme gegen einen Klima-Aktivisten für rechtswidrig, weil unverhältnismäßig erklärt. In Bayern hatte UN-Sonderberichterstatter UN-Sonderberichterstatters Michael Forst den Präventivgewahrsam während der IAA-Proteste gerügt. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte die Rüge jedoch zurückgewiesen.