Testlauf in Niedersachsen

Seite 2: Rot-Grün in der Warteschleife

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Das Schattenkabinett der SPD ist - von ein, zwei Ausnahmen abgesehen - blass geraten und passt deshalb zum Spitzenkandidaten, Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil. Der 54-jährige Jurist reist tapfer durch die Lande, spricht "mit den Menschen" und ringt sich sogar eine tägliche Videobotschaft ab, um beispielsweise über das Ende der Welt, Otto von Bismarck und Martin Luther zu philosophieren.

Auch seine Gattin Rosemarie Kerkow-Weil sorgt für Schlagzeilen. Die Präsidentin der Hochschule Hannover, der eine Amtsführung "nach Gutsherrenart" vorgeworfen wird, muss sich im Januar einem Abwahl-Verfahren stellen.

Trotzdem wissen Weils potenzielle Wähler nur ansatzweise, mit wem sie es da zu tun haben und freuen sich deshalb über die Besuche eines alten Bekannten und seiner neu ambitionierten Ehefrau, die im Landtagswahlkreis 24 - Hannover-Döhren antritt. Der alte Bekannte hat seinem eventuellen Nachfolger (und allen anderen Spitzenpolitikern der SPD) mit der Agenda 2010 allerdings einen veritablen Bremsklotz angehängt, der im niedersächsischen Landtagswahlkampf seine Schleifspuren hinterlässt.

Inhaltlich könnte Weil, der am 20. Januar im Umkreis der 30,3 Prozent des Jahres 2008 landen dürfte, eigentlich mehr bieten als den Slogan "Anpacken. Besser machen". Doch den zahllosen Wahlversprechen, mit denen die Genossen Wirtschaftswachstum ermöglichen, soziale Ungerechtigkeit abschaffen und Bildung für alle realisieren wollen, fehlt ein überzeugender Finanzierungsplan. Erst nach der Regierungsübernahme soll "eine präzise Analyse der Rahmendaten des Landeshaushalts" vorgenommen werden.

Dieser schwierige Umstand fiel mitunter sogar den Protagonisten auf, etwa als Stephan Weil auf den genauen Zeitpunkt angesprochen wurde, an dem die Studiengebühren in Niedersachsen abgeschafft werden sollen. Die Jusos mochten die Beschwichtigungstaktik des Spitzenkandidaten nicht besonders, und so wurde für das "Regierungsprogramm" eine ungefähre Zielmarke nachgereicht. "Spätestens 2014/2015" soll es soweit sein. Kein gutes Argument für Nachwuchs-Akademiker, die jetzt gerade an niedersächsischen Hochschulen studieren.

Opulentes Programm der Grünen

Von einer grün-roten Regierungsbildung ist man in Hannover trotzdem weit entfernt, auch wenn die Spitzenkandidaten Anja Piel und Stefan Wenzel schon jetzt als die großen Gewinner des bevorstehenden Urnengangs gehandelt werden. Das opulente Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen umfasst 185 Seiten und wird vermutlich ähnlich selten gelesen wie die Ansagen der Konkurrenz.

Es signalisiert allerdings schon beim Durchblättern: Hier hat sich jemand mit den Details der Landespolitik beschäftigt und zu fast allen Fragen Stellung genommen. So setzen die Bündnisgrünen, um nur ein Beispiel zu nennen, der kontrovers diskutierten Y-Trasse einen kleinteiligen Bestandsausbau "durch zusätzliche Gleise zwischen Rotenburg und Verden, Lüneburg und Uelzen sowie auf der sogenannten 'Amerikalinie' zwischen Langwedel und Stendal" entgegen.

Den Eindruck der inhaltlichen Vielfalt bestätigen die Plakataufsteller, die gleich mehrere Themen bedienen und einfallsreicher gestaltet sind als die Wahlkampfmaterialien mancher Mitbewerber.

Die Grünen steuern aber vor allem zielgenau die Schwachstellen der schwarz-gelben Regierung an und fordern neben mehr Mitbestimmungsrechten größere Anstrengungen bei der Energiewende, die Intensivierung der ökologischen Landwirtschaft, längeres gemeinsames Lernen oder den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel. Damit kann man nicht viel falsch machen. Ein gutes zweistelliges Ergebnis bis hin zur Verdoppelung der 8 Prozent von 2008 liegt im Bereich des Möglichen. Im Fall eines Regierungswechsels würde von Weils Schattenkabinett dann nicht allzu viel übrig bleiben.