Teure Ruh'

Arme Kinder sind sogar im Schlaf benachteiligt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Sie wohnen besser, essen besser, sind besser ausgebildet und ihre Eltern kennen die „besseren“ Leute: Dass der Nachwuchs von Bessergestellten im täglichen Leben mehr Möglichkeiten hat als jener vom geld-, bildungs-und karrierefernen Milieu ist offenkundig. Nach einer aktuellen Studie könnten die Privilegien jener aus der besseren „sozio-ökonomischen Umgebung“ aber noch weiter reichen - bis in die Nacht: Kinder aus besseren Verhältnissen schlafen womöglich auch besser.

Das nämlich wäre der Umkehrschluss aus der Studie, die unter der Leitung von Sanjeev V. Kothare am St. Christopher’s Kinder-Hospital in Philadelphia durchgeführt wurde: Kothare et al. stellten nämlich fest, dass „Kinder aus einer niedrigeren sozio-ökonomischen Umgebung schlechtere Schlafgewohnheiten haben als Kinder, die aus der Mittelschicht stammen.“

Mögliche Folge, so die Verfasser der Studie: Jene Kinder schneiden in der Schule schlechter ab und sind anfälliger für Krankheiten. Vorgestellt wird die Studie, welche bei Eurekalert veröffentlicht wurde, bei dem zur Zeit laufenden Kongress Sleep 2007.

Die Grundgesamtheit der untersuchten Kinder ist nicht groß: nur 64. Befragt wurden die Eltern der Kinder, die im Krankenhaus zu Besuch waren und einen Fragebogen ausfüllten, der nach den Schlafgewohnheiten ihrer Sprößlinge fragte: Wann sie ins Bett gehen, ob und wie lange sie sich weigern würden; wie lange es dauert, bis sie einschlafen; wie lange sie schlafen, wie ruhig der Schlaf ist; wie oft sie in der Nacht aufwachen; Atemschwierigkeiten in der Nacht; Schläfrigkeit tagsüber, usw.

Im Vergleich zu ihren Altersgenossen aus Mittelklasse-Verhältnissen hatten die Kinder aus schlechteren sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen fast in allen Punkten signifikant höhere (= schlechtere) Werte. Eine Erklärung dafür liefert Studienleiter Dr. Kothare nicht. Für ihn ist die Studie vor allem deswegen wichtig, weil sie auf diese Probleme erst aufmerksam macht:

This study highlights the importance of screening for sleeping problems in children from an inner city population. Many of these problems are under-recognized, and may impact the health and performance of these children at school.

Dossier zur Situation der Kinder in Großbritannien

Generell seien Kinder heutzutage körperlich gesünder denn je, dies legt ein wesentlich umfangreicheres Dossier zur Situation der Kinder in England nahe. Für diese Aussage wurden elementare Indikatoren herangezogen: etwa die Kindstod-Rate. Sie ist in Großbritannien von 17 aus 1000 geborenen Kindern im Jahre 1971 auf gegenwärtig 5 gefallen, so der Bericht, welcher der englischen Sonntagszeitung Independent zugespielt wurde.

380 verschiedene Organisationen sollen sich nach Informationen des Independent mit ihren Kenntnissen an dem Dossier beteiligt haben. Die Schirmorganisation Children's Rights Alliance for England (CRAE) wird den Bericht, der die Rechte der Kinder der Regierungspolitik unter Tony Blair sehr kritisch gegenüber stellt, in Kürze der UN überreichen.

Zwar hebt der Bericht, wie oben erwähnt, hervor, dass sich Gesundheit und Erziehung der Kinder insgesamt verbessert hätten, er warnt aber gleichzeitig vor einer sich ausweitenden Kluft zwischen Kindern aus wohlhabenden Familien und ihren Altersgenossen aus schlechter gestellten Milieus - „those on the breadline“. Immerhin zählt man im fünftreichsten Land der Welt 3,4 Millionen Kinder, die in Armut leben; 400.000 davon in äußerst beengten Verhältnissen.

Dass die gleiche Anzahl von Kindern auch in der nationalen DNA-Datenbank (vgl. Entfremdung und Diskriminierung?) aufgelistet ist und dass in Großbritannien mehr Kinder (9.000) in „Verwahranstalten“ eingeschlossen sind als in jedem anderen Land in Europa („3000 in young offender institutions and 500 are in prison on remand, breaching international child-protection conventions“), ist für die Verfasser des Berichts ein erheblicher Grund zur Sorge. Die Regierung würde die Rechte der Kinder nicht ausreichend schützen, so die Hauptstoßrichtung des Dossiers. Ein Vorwurf nicht ohne Ironie, betreibt die Labour-Regierung doch seit Jahren ein Programm, dass sich bessere Erziehung dick auf die Fahnen geschrieben hat.

Erwartungsgemäß ist die Kluft zwischen den Ärmeren und den Reicheren vor allem in der Ausbildung am größten: Kinder aus den oberen 20 Prozent („richest 20 per cent of families“) schaffen 5 mal wahrscheinlicher einen besseren Schulabschluss, wenn sie 23 sind, als Kinder aus den unteren 20 Prozent der Familien. In den frühen 80ern lag der Wert noch bei 3 mal.