Thüringen: Machtkampf im NSU-Ausschuss

Seite 4: Verquickung von krimineller und rechtsextremer Szene

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Verquickung von krimineller und rechtsextremer Szene - dafür lieferte der ebenfalls längst pensionierte Kriminalbeamte Elmar M. dann unerwartet noch ein verblüffendes Beispiel. Jahrelang, etwa von 2002 bis 2009, habe er mit Kollegen eine Bande gejagt, die in Thüringen, aber auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt Geldautomaten sprengte oder mit Autos aus ihrer Verankerung riss. Mehr als 20 solcher Raube wurden verübt, unter anderem in Arnstadt, Rudolstadt, Nordhausen, Eisenach, aber auch in Chemnitz und Zwickau.

Zu der Bande zählten seiner Erkenntnis nach Enrico T. und Jürgen L. Beide tauchen in der NSU-Mordserie im Zusammenhang mit der Beschaffung der Tatwaffe auf. Die Ceska-Pistole, mit der zwischen September 2000 und April 2006 neun Migranten erschossen wurden, soll unter anderem über L. und T. nach Jena und in die Hände der Angeklagten Carsten Schultze und Ralf Wohlleben gelangt sein.

Die Automatenraube konnten Jürgen L. und Enrico T. allerdings nie nachgewiesen werden, das Verfahren wurde ergebnislos eingestellt. Trotz Observationen und nächtelanger Verfolgungen bis an die Tatorte gelang kein Zugriff. Besonders rätselhaft: Als die Fahndung zusätzlich mit GPS-Ortung unterstützt wurde und die Polizei wusste, wo sich die Verdächtigen aufhielten, wurde keine einzige Tat verübt, etwa ein Jahr lang.

Und noch eine Sache blieb ungeklärt: Ein ausgestiegenes Bandenmitglied berichtete der Polizei dann davon, dass Jürgen L. mehrere Waffen besitze und Waffen besorgen könne. Diese Information will Kripomann Elmar M. umgehend sowohl ans Innenministerium als auch an die Abteilung OK (Organisierte Kriminalität) weitergeleitet haben. Doch die dafür zuständige Staatsanwaltschaft in Gera habe ein Verfahren abgelehnt, Begründung: einen OK-Bezug gebe es nicht. Die Folge: Keine Ermittlungen - und die Frage, ob Jürgen L. Waffen besaß, wurde nie geklärt.

Und was ist mit Thomas Dienel, dem Kronzeugen? Ihn will der Ausschuss merkwürdigerweise nicht als Zeugen vorladen und anhören. Er sei nicht glaubwürdig, heißt es, so jemandem wolle man keine Bühne bieten. Eine schwer verständliche und vor allem unpolitische Konsequenz. Die Kriminalbeamten G. und M. bescheinigten Dienel zwar ein großes Geltungsbedürfnis, was er aussagt habe, seien aber keine Spinnereien, sondern Tatsachen gewesen. Seine Angaben hätten sich als wahr erwiesen.

Erfahrungen aus anderen Untersuchungsausschüssen

Inzwischen gibt es aus anderen Untersuchungsausschüssen Erfahrungen mit verschiedenen Neonazi-Zeugen. Egal, wie konstruktiv oder destruktiv sie waren, irgendeine Hintergrundinformation fiel immer ab, oft unfreiwillig. Und ob ein Neonazi im Parlament Propaganda machen kann oder nicht, hängt allein von der Befragungsführung durch die Abgeordneten selber ab. Abgesehen davon, dass Nazi-Propaganda auch einen Beweiswert haben kann.

Dienel war obendrein V-Mann und eng mit dem Verfassungsschutz (VS) verbunden. Er gehörte zu einem inneren Kreis des Thüringer Heimatschutzes, der zum Großteil aus inoffiziellen VS-Agenten bestand. Ihn persönlich zu hören, ist in gewisser Weise alternativlos. Wie will man beispielsweise erfahren, von wem er wusste, dass der Vizepräsident des Verfassungsschutzes entlassen werden sollte, wie es kurz darauf tatsächlich geschah? Vor dem Parlament unterliegt er als Zeuge einem Aussagezwang und einer Wahrheitspflicht. Ihn gar nicht zu laden, nützt nur ihm selber - und dem Verfassungsschutz.