Thüringer Landtag: CDU-Kandidat Thadäus König gewinnt erste Machtprobe mit AfD

Fahnen von Thüringen und Deutschland

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Wahl zum Landtagspräsidenten gerät zum Eklat. Etablierte Parteien ringen um Umgang mit Rechtsaußen. Verfassungsgericht als Schiedsrichter.

Die erste konstituierende Sitzung des Landtags in Thüringen hat sich zu einem großen Aufregerthema in der Republik entwickelt. Heute wurde der CDU-Kandidat Thadäus König zum Landtagspräsidenten gewählt. Dem ging eine Auseinandersetzung voraus, die ein Licht darauf wirft, wie schwer sich das etablierte politische System mit der neuen Macht der AfD tut.

Diese Auseinandersetzung ist mit der Wahl des Konsenskandidaten von CDU, SPD, Linke und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) – auch diese Zusammenarbeit ist ungewöhnlich, in der bisher gewohnten politischen Landschaft war eine solche Kooperation kaum vorstellbar –, noch nicht beendet.

Der Umgang mit der AfD

Denn dem Streit über die Wahl eines Landtagspräsidenten in einem kleinen Bundesland unterliegen die großen Fragen, die sich mit dem Erstarken der völkisch-national ausgerichteten Rechtspartei AfD an die politische Kultur der Republik stellen.

Wie geht die Demokratie mit einer Partei um, die im Verdacht steht, die demokratischen Grundlagen zu unterwandern, die aber zugleich durch ihr Wahlergebnis auf eine demokratische Legitimität bauen kann?

Wie gefährlich ist die AfD für das demokratische System und seine tragenden Institutionen? Wie mit ihr umgehen auf dem Boden der rechtsstaatlichen Ordnung?

In Thüringen kommt dazu die Besonderheit, dass die AfD seit Mai 2021 vom dortigen Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft wird.

Pars pro toto: Bizarrer Streit um einen symbolischen Posten

Es geht um eine Machtprobe, wie die Lage in Berichten zur lärmenden ersten konstituierenden Sitzung des Landtages am vergangenen Donnerstag bezeichnet wurde. Sie geriet zu einem "bizarren Streit um Verfahrensfragen" (SZ). Die Sitzung wurde schließlich abgebrochen und sogar der Thüringer Verfassungsgerichtshof eingeschaltet, was dem Eklat sogleich eine grundlegende Bedeutung zumaß.

Das war keine Sternstunde für die Thüringer Demokratie und auch keine Sternstunde für die Demokratie in Deutschland insgesamt.

Jörg Hopfe, Direktor des thüringischen Landtags

Der Streit, pars pro toto für die oben genannte große Auseinandersetzung, entzündete sich an der Wahl des Landtagspräsidenten und die den Posten begleitenden Usancen und Legitimität.

Gepflogenheiten zufolge, im Thüringer Parlament verankert in der Geschäftsordnung, hätte die AfD als stärkste Fraktion in der demokratischen Kammer ein Anrecht auf diesen Posten, da sie das alleinige Vorschlagsrecht für den Landtagspräsidenten beanspruchen kann.

Daher wollten die Abgeordneten der CDU, des BSW, der Linken und der SPD die Geschäftsordnung bei der ersten konstituierenden Sitzung ändern. Darüber entscheiden sollte eine Mehrheitsabstimmung der Parlamentarier.

Die Beteiligten von den Fraktionen der CDU und BSW, Linke und SPD haben das eingefordert, was sie als Parlamentarier mit einem freien Mandat ausgestattet auch verlangen konnten. Das ist ihnen von anderer Seite erkennbar verweigert worden.

Jörg Hopfe

Der Verfassungsgerichtshof wird gerufen

Dies nun wollte der Alterspräsident, Jürgen Treutler von der AfD, der die konstituierende Sitzung am Donnerstag leitete, verhindern – und er schaffte es. Die Sitzung wurde unter großem Lärm abgebrochen. Es folgte ein Eilverfahren des Thüringer Verfassungsgerichtshof.

Dort arbeiteten die Richter in kürzester Zeit eine Entscheidung aus, deren Begründung nicht weniger als 36 Seiten hat, was für einen erheblichen Aufwand an Sorgfalt in der Argumentation spricht und nicht zuletzt dafür, wie wichtig die Richter die Angelegenheit nahmen.

In den Seiten steckt auch einiges, das den anderen Parteien zu denken gibt. In der Hauptsache aber führte der Beschluss, wie ihn Legal Tribune Online (LTO) zusammenfasst, zur Wahl des CDU-Abgeordneten Thadäus König, der 54 Stimmen von 88 erhielt.

Die Geschäftsordnung des Landtages darf geändert werden, bevor ein Landtagspräsident gewählt worden ist. Damit gab der Verfassungsgerichtshof dem Antrag der CDU-Fraktion statt.

LTO

Die AfD-Kandidatin Wiebke Muhsal bekam nur 32 Stimmen. Ihre Fraktion kündigte an, Muhsal "bei nächster Gelegenheit" wieder für das Amt der Vizepräsidentin vorzuschlagen. Sie verlor die erste Runde. Die AfD gab diesen Kampf vorerst auf.

Ein neues Brennglas

Mit der AfD als stärkster Fraktion wird ein neues Brennglas angelegt. Sie hat nun eine andere Macht als zuvor, nicht nur im Thüringer Parlament, in Sachsen unterlag sie der CDU nur knapp und in Brandenburg nur knapp der SPD. In bundesweiten Umfragen zur Sonntagsfrage liegt sie vor der SPD und den Grünen.

Sie ist zu einer Volkspartei geworden, die parlamentarisch eine neue Macht gewonnen hat. Umso genauer schaut man hin, wenn ihre Abgeordneten, wie im Fall Thüringer Landtag parlamentarische Regeln (hier konkret: Mehrheitsabstimmungen, Veränderung der Geschäftsordnung) aussetzen und neue Spielregeln (konkret: Überdehnung der Kompetenz und Rolle des Alterspräsidenten) aufstellen will. Zumal es fundierte Warnungen davor gab, dass ihr solche Möglichkeiten zuwachsen würden.

So kommt dem Anfang im Thüringer Landtag, wo sie die stärkste Fraktion stellt, eine lupenhaft vergrößerte Bedeutung bei – und das wissen und wussten die AfD-Abgeordneten unter Leitung von Björn Höcke sehr wohl. Auch sie waren vorbereitet auf die Sitzung am Donnerstag.

Signal der AfD an die Öffentlichkeit

Mit dem Auftritt von Jürgen Treutler, der als Alterspräsident entgegen den Gepflogenheiten des Hauses eben keine neutrale Rede hielt, sondern eine parteipolitisch gefärbte, und der die Abstimmung strategisch verhindern wollte, ohne dass er dafür die Kompetenz hatte – "Treutler verweigerte sowohl die Durchführung dieser als auch die Feststellung der Beschlussfähigkeit des Landtags, was zu zahlreichen Unterbrechungen führte" (LTO) – schickte man ein Signal an die Öffentlichkeit, dass sich mit der AfD einiges an "Spielregeln" ändern wird. Dass solche Vorstöße zum Programm der AfD gehören.

Der Eklat war vorprogrammiert.

Es werden weitere Machtproben folgen, die nicht nur die demokratische Einstellung der AfD in der parlamentarischen Praxis testen, sondern auch den Zusammenhalt der Koalition aus CDU, BSW, Linke und SPD.