Tiefseelobbyismus 2020

Erz der Finsternis: Manganknollen liegen auf dem Boden der Tiefsee. Bild: Wikipedia

Wird der "Mining Code" dieses Jahr ratifiziert, werden die Ozeane auf den Kopf gestellt. Das soll dem Planeten und der Menschheit dienen. Welche Rolle spielt die International Seabed Authority? - Teil 2

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Man muss sie einfach nur einsammeln: Dort, wo noch nie das Licht der Sonne hingekommen ist, liegen begehrte Metalle auf dem Meeresboden herum. Die Schätze in der Tiefsee könnten als Rohstoffquelle der Zukunft dienen. Die ökologischen Kosten der Plünderung sind kaum zu ermitteln. Trotz aller bekannten und unbekannten Folgen scheint es jedoch unvermeidlich (vgl. Teil eins: Tiefseeraubbau 2020?). Doch wäre es das kleinere Übel, um den künftigen Hunger nach Rohstoffen zu stillen?

Jahrhunderte des Erzabbaus an Land haben schließlich einen verheerenden Preis gefordert: Berge, Täler, Wälder zerstört, Flüsse trockengelegt, Grundwasser kontaminiert, unzählige Arten ausgerottet und den Klimawandel befeuert. Ein Preis, der immer noch gefordert wird: Millionen Kinder arbeiten immer noch im Bergbau.

Das Mining-Unternehmen DeepGreen verspricht das zu ändern. Der Abbau der Metalle aus der Tiefe soll den Planeten "grüner" machen. Es will der erste "Zero-Waste"-Rohstoffproduzent werden. CEO Gerard Barron sagte kürzlich:

"Die Gewinnung von Metallen für Batterien wie Nickel und Kobalt aus Onshore-Minen steht vor vielen Herausforderungen, und die Umwelt-, CO2- und Sozialkosten sind einfach zu hoch. Polymetallische Knöllchen auf dem Meeresboden enthalten mehr als genug Metalle, als die Welt benötigt. Um sie zu fördern, muss weder gestrahlt noch gebohrt oder ausgegraben werden. Es wird viel weniger CO2 ausgestoßen als beim Abbau dieser Metalle an Land." CEO, Gerard Barron

Mit dem Versprechen einer sauberen Rohstoffförderung hat DeepGreen viele namhafte Investoren gewinnen können. Etwa den Schweizer Rohstoffriesen Glencore, die weltgrößte Containerreederei Maersk und letztes Jahr auch die Schweizer Allseas Group, führend in der Verlegung von Offshore-Pipelines. Kaum ein anderes Unternehmen dürfte so sehr auf den Mining Code warten wie DeepGreen.

Die Meeresbodenbehörde der Vereinten Nation, International Seabed Authority (ISA), ist für den Schutz des Meeresbodens zuständig. Ihr obliegt es den Bergbaukodex der Tiefsee, den Mining Code, festzulegen. Dabei sollen nicht nur Umweltstandards eine Rolle spielen, sondern auch finanzielle Aspekte: Sämtliche Länder der Erde sollen am Gewinn der Ausbeute beteiligt werden. Die Hohe See sei gemeinsames Erbe der Menschheit, heißt es schließlich im Seerechtsübereinkommen der UN.

Die ISA plant derzeit mit Lizenzgebühren von etwa 4% bis 6% für die Abbaurechte, abhängig von dem Wert des Erzes in den Claims. Diese Einnahmen sollen dann unter den 168 Mitgliedsstaaten verteilt werden mit besonderer Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse von Entwicklungsländern als auch Staaten, die keinen Zugang zum Meer haben. Ein Vorhaben, beispiellos in der Geschichte der Menschheit.

Kritiker beobachten jedoch, dass die ISA ihrem Mandat nicht ganz gerecht wird. Die ISA scheine eher daran interessiert zu sein, den Abbau der Rohstoffe zu ermöglichen, als die Arten und Lebensräume vor jeglicher Aktivität zu schützen. Die Tiefsee ist dunkel und tief. Bekanntlich ist sie schlechter erforscht als die Oberfläche des Mars.

Undurchsichtige Behörde

Umweltschützer und NGOs, die sich für die Erhaltung der Ozeane einsetzen, kritisieren seit längerem die Arbeit der ISA. Sie gilt als intransparent, ihre internen Strukturen erlauben keinen Einblick von außen.

Zum Beispiel bleibe für die Öffentlichkeit geheim, nach welchen Kriterien die Lizenzen bisher vergeben wurden. "Es gibt keine Aufzeichnungen über die Lizenzvergabe, wir wissen nicht, auf welcher Grundlage das geschieht", sagt Matthew Gianni von der Deep Sea Conservation Coalition, die 70 NGOs zum Schutz der Meere vertritt. "Jedes Land, das eine Explorationslizenz beantragt, erhält auch eine Lizenz. Bisher hat die ISA nicht einen einzigen Antrag abgelehnt."

Hauptverantwortlich für solche Verwaltungsaufgaben ist ein 30-köpfiges Gremium der ISA, die juristische und technische Kommission (Legal and Technical Commission). Sie spielt eine entscheidende Rolle in der Behörde. Ihr komme es zu Explorationslizenzen zu erteilen, als auch die Daten und Berichte der seit fast zwanzig Jahren prospektierenden Unternehmen zu überprüfen. Diese blieben stets vertraulich.

"Die Zivilgesellschaft ist von der internen Kommission ausgeschlossen", sagt Helen Rosenbaum von der NGO "Deep Sea Mining Campaign". Nur diesem Gremium sei vorbehalten, was die Mining-Firmen am Meeresboden tun, was sie finden und ob Vertragsbedingungen und Umweltschutzmaßnahmen einhalten werden. Für Umweltgruppen gebe es keine Möglichkeit, die Verträge und Berichte zu prüfen oder mögliche Auswirkungen auf die Umwelt zu bewerten.

Ein weiteres Problem, das die Deep Sea Conservation Coalition bemängelt: Verstöße gegen Umweltauflagen können nicht überwacht werden. "Niemand kann überprüfen, ob die Berichte der Abbauunternehmen überhaupt stimmen", sagt Gianni. "Die Einzigen, die Auskunft über Umweltrisiken in den Explorationsfeldern geben, seien nun mal die Abbauunternehmen." Wer soll dafür sorgen, dass die Schäden, die in der Tiefe verursacht werden, auch ans Licht kommen?

Auch die etwaige Haftung für Umweltschäden gilt im Mining Code als noch unklar. "Wenn nun doch Umweltschäden festgestellt werden, muss nicht etwa das Abbauunternehmen dafür geradestehen, sondern das jeweilige Sponsorland", sagt Umweltanwalt Duncan Currie. "Und was passiert, wenn ein Land wie Nauru oder Tonga Hunderte Millionen Dollar für Umweltschäden aufbringen muss, aber nicht aufbringen kann?"

Letztes Jahr sagte ISA-Generalsekretär Michael Lodge: "Es gibt immer noch Diskussionsbedarf über bestimmte Details des Mining Codes - technische Anforderungen, Aufsichtsverfahren, das Gewinnbeteiligungsmodell -, so dass die Abstimmung zur Ratifizierung ein weiteres Jahr warten muss."

So könnten Manganknollen aufgesammelt werden. Bild: Promo-Video DeepGreen

Ist die ISA eine Lobby-Organisation für den Tiefseebergbau?

Dass die ISA dazu tendiert, einen für die Bergbauindustrie freundlichen Mining Code herauszugeben, nährt die Tatsache, dass zu den jährlichen Treffen die meisten Mitgliedsländer nicht erscheinen. Und die, die kommen, sind ohnehin diejenigen, die vom Meeresbodenabbau profitieren können.

Darunter sind Entwicklungsländer und Ozeanstaaten wie Nauru, Tonga und Kiribati. Flächenmäßig kleine Länder, die jedoch genauso einen Anspruch auf die 75.000 km2 großen Claims haben wie Industrienationen. Da sie weder über die nötigen finanziellen Mittel als auch das Knowhow verfügen, gehen sie Joint Ventures mit ausländischen Unternehmen ein.

Global Sea Mineral Resources, eine Tochtergesellschaft der belgischen DEME Gruppe, exploriert im Claim der Cook Islands. Die Tonga Offshore Mining Company ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der kanadischen Nautilus Minerals. DeepGreen, dessen CEO Barron früher auch Geschäftsführer von Nautilus war, exploriert auf den Flächen von Nauru und Kiribati. Die Claims, die Entwicklungsländern vorbehalten sind, gelten als rohstoffreicher.

Eine Art Worst-Case-Szenario für derartige Partnerschaften erlebte zuletzt Papua-Neuguinea. Vor dessen Küste, in der Bismarcksee, liegen große Kupfer-, Kobalt- oder Zinkvorkommen, Nautilus Minerals bot an, sie abzubauen. Das Land beteiligte sich mit 30 Prozent an dem Projekt. Doch bevor der Abbau beginnen konnte, meldete Nautilus Insolvenz an, denn das Unternehmen hatte eins seiner Spezialschiff verloren. Papua-Neuguinea blieb schließlich auf Kosten von 100 Mio. US-Dollar sitzen.

Für die Regierungen von Pazifikstaaten wie Fidschi oder Vanuatu Grund genug, um sich gegen den Tiefseeabbau zu stellen. Doch für die Regierungen von Nauru, Tonga oder Kiribati scheint mehr dafür zu sprechen die Rechte an ihren Claims ausländischen Firmen zu übertragen, um durch Steuereinnahmen und eventuellen Gewinnbeteiligungen am Abbau zu verdienen, als auf eine fern in der Zukunft liegende Ausschüttung von der ISA zu warten.

Nauru, das seit langem in tiefen Geldsorgen stecken, tritt sogar offizielle Ämter an Unternehmen ab. Das führt dazu, dass bei der ISA Bergbauunternehmer auf beiden Seiten des Verhandlungstisches sitzen. So durfte letztes Jahr DeepGreens CEO Gerard Barron als offizieller Vertreter von Nauru bei der jährlichen Versammlung der ISA anderen Ländern die eindeutigen Vorzüge des Tiefseebergbaus erklären.

Doch DeepGreens Verbindungen gehen weiter, bis in die Spitze der Meeresbodenbehörde ISA. Dass die kanadische Firma Größen wie Glencore und Maersk als Investoren gewinnen konnte, liegt vermutlich an ISA-Generalsekretär Michael Lodge, der enger mit Bergbauunternehmen zusammenzuarbeiten scheint, als es sein Amt als Verantwortlicher der Vereinten Nationen gutheißen dürfte. Mit den Vereinten Nationen im Rücken macht Lodge offen Werbung für DeepGreen, unter anderem in einem Video für potentielle Investoren.

Arbeitet ISA-Generalsekretär Michael Lodge für DeepGreen? Bild: Deep Sea Mining Campaign

Lodge scheint das hehre Ziel der Vereinten Nationen zu untergraben, die Hohe See als Erbe der Menschheit zu schützen. Für Helen Rosenbaum von der NGO "Deep Sea Mining Campaign" lässt das tief blicken. Sie hat letztes Jahr den Bericht "Why the Rush?" veröffentlicht, in dem Lodges Verbindungen aufgedeckt wurden. "Es ist schwer zu glauben, dass die Organisation, deren Generalsekretär er ist, bei der Entwicklung von Vorschriften unparteiisch sein wird. Wir haben deswegen kein Vertrauen in die Vorschriften der ISA", sagt Rosenbaum. "Es wirft die gesamte Frage der Rechenschaftspflicht auf der Ebene der Vereinten Nationen auf."

Trübe Aussichten

"Wir stehen vor einer der größten Transformationen, die Menschen jemals an der Oberfläche des Planeten vorgenommen haben. Wir werden einen riesigen Lebensraum abbauen, und wenn er einmal weg ist, kommt er nicht mehr zurück", sagt Jeff Drazen von der Deep Ocean Stewardship Initiative, die sich für Ressourcenschonung und Erhaltung der Tiefsee einsetzen.

Letztes Jahr wurden Rufe nach einem Moratorium lauter. Eine Initiative von NGOs und Organisationen der Zivilgesellschaft wie der Deep Sea Mining Campaign, der Deep Sea Conservation Coalition und Greenpeace tritt für ein Verbot des Tiefseebergbaues ein. Auch die Regierungen von Fidschi, Vanuatu und Papua-Neuguinea stellen sich gegen den Tiefseeabbau.

Beinahe einstimmig entschied auch das EU-Parlament. In einer Resolution richtet sich das Europäische Parlament an die Europäische Kommission: Diese sollen die Mitgliedstaaten auffordern, "Schürf- und Förderlizenzen für den Abbau von Bodenschätzen in der Tiefsee in Gebieten jenseits der Grenzen der nationalen Hoheitsbefugnisse nicht länger unterstützen."

In Deutschland sieht die Lage anders aus. Auf eine Kleine Anfrage der Grünen antwortete die Bundesregierung letztes Jahr: "Angesichts des Umstands, dass kommerzieller Tiefseebergbau bislang nicht existiert, stellt sich die Frage nach einem Tiefseebergbau-Moratorium aus Sicht der Bundesregierung derzeit nicht." Im Koalitionsvertrag heißt es: "Vor dem Hintergrund des wachsenden Bedarfs an Hochtechnologie-Rohstoffen wollen wir Projekte im Tiefseebergbau vorantreiben und unterstützen die Durchführung von Pilot-Mining-Tests."

Offiziell will die UN abwarten. Nächstes Jahr soll die "Dekade der Ozeanforschung für eine nachhaltige Entwicklung" beginnen, eine Kampagne der Vereinten Nationen. Zehn Jahre lang sollen Mittel bereitgestellt werden, um das Wissen über die Tiefsee zu erweitern. Dadurch soll auch herausgefunden werden, ob der Abbau des Tiefseebodens der richtige Weg in die Zukunft ist. Umweltschutzgruppen rufen daher auf, erst nach Ende dieser Dekade den Abbau des Meeresbodens zu verhandeln.

Doch die ISA scheint nicht länger warten zu wollen. Die diesjährige Sitzung, die diese Woche stattfindet, eröffnete ISA-Generalsekretär Michael Lodge am Montag mit den Worten: "Der wichtigste Punkt auf unserer Agenda ist der Mining Code. Er hat erfreulicherweise mit dem konsolidierten Entwurf nun einen wichtigen Reifegrad erreicht hat. Im Geiste der Transparenz und Offenheit, der die Arbeit der Behörde seit jeher kennzeichnet, war jeder einzelne Schritt des Prozesses für alle Beteiligten offen."