Top-Terrorist oder nur die falschen Freunde?

Im Hamburger Al-Qaida-Prozess sollte das Geheimnis von Said Bahaji gelüftet werden

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In den vergangenen zwei Wochen stand der vermeintliche Atta-Komplize Said Bahaji im Mittelpunkt des Hamburger Al-Qaida-Prozesses. Von Interesse war vor allem die Beziehung des 2001 untergetauchten und seitdem verschwundenen Bahaji zu dem Angeklagten Mounir El-Motassadeq. Die Kammer erhoffte, dadurch etwas mehr Klarheit über die Einbindung Motassadeqs in die so genannte "Hamburger Zelle" zu bekommen. Doch sehr aufschlussreich waren diese Bemühungen nicht.

Said Bahaji ist einer der meist gesuchtesten Männer der Welt: Er wird beschuldigt, an den Vorbereitungen der Terroranschläge vom 11. 9. beteiligt gewesen zu sein. Er hat einen marokkanischen Vater, eine deutsche Mutter und die deutsche Staatsbürgerschaft, seine Eltern leben abwechselnd in Marokko und Norddeutschland. Er war bei der Bundeswehr, ist bekanntermaßen Formel-1-Fan und Computerfreak und mit einer Türkin verheiratet. Er studierte an der Technischen Universität Harburg, wo er Mohammed Atta und dessen Freunde kennen lernte. Zeugen im Motassadeq-Prozess beschrieben ihn als offenen Menschen mit westlichem Lebensstil, der sich im Laufe der Bekanntschaft mit Atta zunehmend religiös radikalisiert habe.

Die Freundschaft zu Atta, Marwan Al-Shehhi, Ramzi Binalshibh, Ziad Jarrah und Motasssadeq machte ihn der Komplizenschaft verdächtig. Atta, Al-Shehhi und Jarrah kamen als vermutliche Todespiloten bei den Attentaten ums Leben und Binalshibh wurde 2002 als Drahtzieher der Anschläge von US-Geheimdiensten verhaftet. Motassadeq wird beschuldigt, Attas Gruppe bei den Vorbereitungen unterstützt zu haben und muss sich deswegen vor dem Hamburger Oberlandesgericht wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen sowie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verantworten.

Derselben terroristischen Vereinigung, der "Hamburger Zelle", soll auch Bahaji angehört haben. Unterstützt wird diese Annahme von der Tatsache, das er seit Anfang September 2001 verschwunden ist. Er reiste am 5. September in Pakistan ein und wurde wenig später in einem Al-Qaida-Camp in Afghanistan gesehen. Dazu liegen dem Bundeskriminalamt (BKA) glaubhafte Zeugenaussagen vor. Die vernommenen Personen gaben Einzelheiten an, die Bahaji auch in einer Mail an seine Frau erwähnte, z.B. eine Verletzung, die er im Camp auskurierte. Das sagte eine BKA-Beamtin vor dem Hamburger Oberlandesgericht (OLG).

Obwohl Bahaji weltweit gesucht wird, gelang es ihm in der Vergangenheit häufiger, Kontakt zu seinen Eltern, seiner Ehefrau und seinen Schwiegereltern aufzunehmen - telefonisch und per Mail. Trotzdem konnte sein Aufenthaltsort bis jetzt nicht ausfindig gemacht werden.

Sein Verschwinden gab Anlass zu allerlei Spekulationen. Beispielsweise schrieb der Spiegel, Bahajis Hochzeit in der Al-Kuds-Moschee im Hamburger Stadtteil St. Georg im Oktober 1999 wirke im Nachhinein wie ein "Gipfeltreffen der Islamisten". Das leitet das Hamburger Nachrichtenmagazin daraus ab, dass nahezu alle Verdächtigen bei der Feier anwesend waren: Atta, Al-Shehhi, Binalshibh und auch Motassadeq. Der Anfangsverdacht gegen Bahaji wurde in den Medien zur Gewissheit stilisiert und der unauffällige Student avancierte zum Top-Terroristen, der eiskalt den größten Massenmord der Menschheitsgeschichte mit vorbereitete.

Die BKA-Beamtin gab indes an, dass sich Bahaji Zeugenaussagen zufolge am 11. September 2001 in dem besagten Al-Qaida-Camp aufhielt, wo er über Radio von den Anschlägen erfuhr. Diesen Zeugen zufolge soll Bahaji gesagt haben, dass diese Tat für ihn keinen Sinn mache. Das lässt nicht eben auf aktive Mithilfe schließen. Allerdings sind die Aussagen der Zeugen fragwürdig, sie verwickelten sich laut BKA ständig in Widersprüche und einer der Befragten wurde im ersten Motassadeq-Prozess vom Hamburger OLG wegen uneidlicher Falschaussage zu drei Monaten Haft verurteilt.

Also ist das Gericht auch nach diesen zwei Wochen der Wahrheitsfindung nicht wirklich näher gekommen. Deshalb soll noch einmal versucht werden, Amtshilfe aus den USA zu bekommen. Der US-Sonderagent Matthew Walsh hatte vor zwei Wochen ausgesagt, dem FBI lägen Erkenntnisse über Motassadeq vor, er sei aber nicht berechtigt, darüber zu sprechen (Hamburg doch Keimzelle des Terrorismus). Der Vorsitzende Richter Ernst Rainer Schudt schrieb daraufhin die US-Behörden noch einmal an, erhielt bis jetzt allerdings keine Antwort.

Der Prozess war überschattet vom Tod des Motassadeq-Verteidigers Josef Gräßle-Münscher. Der Anwalt war am 28. August 2004 mit seinem Motorrad verunglückt und erlag am 29. Januar 2005 seinen schweren Verletzungen. Gräßle-Münscher hatte gemeinsam mit seinem Kollegen Gerhard Strate Motassadeq bei dessen Berufungsverfahren beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe vertreten. Die beiden erreichten, dass das Urteil - 15 Jahre Haft - aufgehoben und das Verfahren zurück nach Hamburg verwiesen wurde. Gräßle-Münscher galt als renommierter Strafverteidiger, vertrat u.a. kurdische und türkische Linke, war bekennender Kommunist und beschäftigte sich in mehreren Büchern mit dem Thema politische Strafverfolgung. Die Al-Qaida-Prozesse betrachtete er als ideologische Herausforderung, der die Linke sich stellen müsse - diese von ihm erhoffte Debatte wird er nun nicht mehr initiieren können. Nach seinem Unfall sprang der Strate für ihn als Motassadeq-Verteidiger ein (Staranwalt Strate).