Totaler Terrorkrieg

Seite 2: Der schmutzige geopolitische Deal

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Die SDF galten noch bis vor Kurzem als zuverlässigste militärische Kraft im Kampf gegen die Genozidmiliz des "Islamischen Staates", doch wurden die kurdisch dominierten Verbände in einem widerlichen imperialistischen Geschacher dem türkischen Regime zum Abschuss freigegeben. Der Westen habe die Kurden "verraten" und erlaube nun, dass sie von dem Regime in Ankara "massakriert" werden, titelte etwa die britische Zeitung The Telegraph online.

Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn inzwischen lassen russische Medienberichte die geopolitischen Konstellationsverschiebungen nachzeichnen, die der türkischen Invasion vorangingen. Entgegen der deutschlandweit landläufigen antiamerikanischen Ideologie ist Moskau an diesem schmutzigen geopolitischen Deal, bei dem Rojava der türkischen Soldateska zum Fraß vorgeworfen wurde, genauso beteiligt wie Washington.

Am 26. August publizierte die russische Zeitung Kommersant einen Artikel, der über drohende abermalige Spannungen zwischen Ankara und Moskau berichtete. Die Türkei sei bei ihrer Intervention in Syrien "weiter gegangen als versprochen", titelte das Blatt unter Verweis auf Kremlinsider.

Offensichtlich hat Moskau der Invasion Rojavas zugestimmt, doch seien die türkischen Truppen weit über das verabredete Ausmaß hinausgegangen. Der Kommersant wörtlich:

Dieses Format war nicht koordiniert mit Moskau und droht, die sich erwärmenden russisch-türkischen Beziehungen zu untergraben.

Das Ausmaß der abgesprochenen Invasion sei "unerwartet", erklärte eine militärische Quelle gegenüber dem Kommersant. Die türkische Armee hätte die Stadt Jarabulus "mit einer viel kleineren Armee besetzen können: Sie werden in dieser Region nicht stoppen und weitermachen." Es sei US-Vizepräsident Joe Biden gewesen, der während seiner Visite in Ankara diese militärische Eskalation der Türkei als einen "wichtigen Schritt im Kampf gegen ISIS" begrüßte, erläuterte der Kommersant.

Russland: Im kleinen Rahmen zugestimmt

Das Zwischenfazit: Russland hat somit der Intervention der Türkei in Syrien in kleinen Rahmen zugestimmt, wobei die USA dann die vereinbarungswidrige Eskalation der militärischen Operationen öffentlich begrüßten. Auch die kremlnahe Nachrichtenseite Sputniknews berichtete unter Verweis auf "Expertenmeinungen", dass Erdogan sich vor seinem blutigen Syrienabenteuer geopolitisch absichern musste.

Die türkische "Operation" in Syrien wurde "mit allen größeren regionalen Spielern" abgestimmt, inklusive "Russland, Iran und Syrien". Ohne die Zustimmung dieser reaktionären "Unheilligen Allianz" (Teheran-Ankara-Damaskus: Unheilige Allianz) hätte Erdogan die Invasion nicht wagen können.

Ähnlich argumentiert al-Monitor, wo man sich auf Einschätzungen von US-Diplomaten beruft. Demnach hätte Erdogan "die Operation nicht ohne die taktische Zustimmung Russlands, des syrischen Staatschefs Bashar als Assad und seines Alliierten Iran gestartet." Die türkische Invasion Rojavas wird mit der geopolitischen Annäherung zwischen Ankara und Moskau in Zusammenhang gebracht: Die Türkei machte damit auch der NATO deutlich, dass sie "Kontakte außerhalb der Koalition" habe.

Ankara zeige damit, dass die Türkei geopolitische Optionen jenseits des Westens habe, erklärte eine Analystin gegenüber Al Monitor, was aber keineswegs auf einen sofortigen Bruch hindeute: "Ich glaube nicht, dass die Türkei bereit ist, die Vereinigten Staaten und der NATO-Partnerschaft zu verlassen," erklärte Merve Tahiroglu von der Foundation for the Defense of Democracies (FDD) gegenüber Al Monitor.

Erdogan: Erfolgreich zwischen Moskau und Washington laviert

Dafür sorgte eben Joe Binden während seiner Ankara-Visite bei Beginn der türkischen Invasion, als er die Selbstverwaltung Rojavas der türkischen Soldateska zum Abschuss freigab (Türkischer Operettenkrieg). Die türkischen Massaker, von denen der Telegraph warnte, sind der Preis, den der "Westen" zu zahlen bereit ist, um das geopolitische Schwergewicht Türkei in der westlichen Einflusssphäre zu halten. Und wieso sollte Erdogan auch aus der NATO austreten, wenn er von Washington freie Hand erhält bei seinen Vernichtungskrieg gegen Rojava? Hätte er es 2015 gewagt, ein russisches Flugzeug abzuschließen, wenn die Türkei nicht in der NATO wäre?

Damit hat Erdogan tatsächlich erfolgreich zwischen Moskau und Washington laviert, um freie Hand bei seinem Krieg gegen Rojava zu erhalten. Russland Versuche, mittels des geopolitischen Tauwetters und der Zustimmung zu einer begrenzten Intervention in Syrien die Herauslösung der Türkei aus der NATO zu befördern, sind durch weitergehende Zugeständnisse Washingtons konterkariert worden. Biden stellte Erdogan einen Blankoscheck aus, der zugleich den Vorteil hat, die sich anbahnende Annäherung zwischen Moskau und Ankara zu unterminieren. Und dieser blutige imperialistische Machtpoker wird auf dem Rücken Rojavas ausgetragen.

USA: Türkische Offensive gegen Manbij wird nicht unterstützt

Das Fazit: Putin reichte Erdogan in der Interventionsfrage den kleinen Finger, doch dieser nahm - dank amerikanischer Rückendeckung - den ganzen Arm. Moskau wurde hier eindeutig ausmanövriert, was auch an den hilflosen Reaktionen des Kremls ersichtlich wird, der angesichts des eskalierenden türkischen Luftkrieges gegen die SDF nicht etwa um dessen Ende, sondern nur um eine Vertiefung der militärischen Kooperation bittet, um etwaige "Zwischenfälle" zu verhindern.

Während die erste Reihe der US-Politik schweigt, distanzierte sich ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums vorsichtig und unverbindlich von den Angriffen der türkischen Invasionstruppen gegen die SDF. Demnach werde die türkische Offensive nicht mit US-Kräften koordiniert, die USA seinen daran auch nicht beteiligt. Washington unterstütze auch generell die türkische Offensive gegen Manbij nicht. Die "Zusammenstöße" in Gebieten, in denen keine Präsenz des IS mehr gegeben sei, seien "unakzeptabel".