Toxische Ferienerlebnisse an der Adria

Bild: Ausschnitt Buchcover, Blond Verlag, Umschlaggestaltung: blackscale.design

Die unmoralischen Erlebnisse der Münchner Kajal-Clique. Stefan Wimmers Roman: "Lost in Translatione". Tauchgang in die Achtziger und die Italo-Disco-Ära.

Ich möchte vorausschicken, dass diese Rezension – genau wie zuvor die Lektüre des Buches – mit der Absicht größtmöglichen Wohlwollens vollzogen wird.

Da es sich hier um die Beschreibung von Erlebnissen kleinbürgerlicher bis proletarischer Jugendlicher im Jahr 1985 handelt, gab es sozusagen einen durchaus sozialistisch gemeinten Vorschuss, denn nichts wirkt momentan schnöseliger, als wenn man sich über den ganz normalen Bürger und seine Sitten und Gebräuche erhebt. Da ich selbst kleinbürgerlicher Herkunft bin, wäre auch nichts unangebrachter.

Der Münchner Autor Stefan Wimmer – Jahrgang 1969 – legt hier den zweiten Band einer sogenannten München-Trilogie vor. Insgesamt ist dies sein fünfter Roman. "Lost in Translatione" folgt auf "Die 12 Leidensstationen nach Pasing", in dem die vier Protagonisten eingeführt wurden, die auch hier die tragenden Rollen spielen.

Die Kajal-Clique

Das sind neben der Hauptfigur, dem arschcoolen Ich-Erzähler Stefan Wimmer, der dickliche und eher wohlhabenden Roderick (selten einen schöneren Vornamen gelesen), der gutaussehende, aber schüchterne Michi Meindorf (der "Sting" von Pasing) und der arme Schlucker Deibel, der hier als Loser der Truppe beschrieben wird und dessen O-Töne wohl auch deshalb immer in Dialekt-Form abgedruckt sind ("Die hat scho' g'merkt, dass i was B'sonders bin"). Deibel ist zwar immer dabei, aber eindeutig ein minderwertiges Mitglied der "Kajal-Clique", wie sich die Jungs als Team bezeichnen.

Beschrieben werden hier mehrere Wochen in einem italienischen Urlaubsort am Meer. Und in diesem Urlaub und damit auch in diesem Roman geht es ausschließlich darum, wie vier Teenager-Jungs aus München-Pasing versuchen, sexuelle Erfahrungen mit jungen Mädchen klarzumachen (um mich an Mick Jaggers "Satisfaction" anzulehnen: "They’re trying to make some girls").

Interessant dabei ist, dass die mehrheitlich italienischen Mädchen dabei genauso als willig (einmal sogar als "rollig") beschrieben werden wie ihr Besuch aus Pasing. Trotzdem scheitern die meisten Annäherungsversuche der Jungs an irgendwelchen widrigen Umständen (die manchmal ein bisschen konstruiert wirken).

Gute Laune und toxische Männlichkeit

Der Einzige, der "zum Stich kommt" (um im Jargon des Romans zu bleiben), ist der Ich-Erzähler Stefan. In einer Szene wird es dann sogar drastisch-pornografisch im Stile von Michel Houellebecq, was eigentlich gar nicht so recht zu diesem Festival der guten Laune passen mag. Jedenfalls geht es irgendwann von anal zu fäkal über, so dass sich der Leser mit dem Protagonisten freut, wenn er diesen Verkehr endlich hinter sich hat.

Die Persönlichkeiten des weiblichen Personals dieses Romans bleiben jedenfalls eher undeutlich, verglichen mit den vier Musketieren aus München. Stefan Wimmer hat das irgendwann auch selbst bemerkt und schreibt in einer Art Nachwort, dass "toxische Männlichkeit schon damals auf dem Vormarsch gewesen sei".

Da kriegt er aus lauter Schuldgefühlen 'was durcheinander, denn damals war toxische Männlichkeit halt noch immer in voller Blüte, während sie heute gottseidank eher auf dem Rückmarsch ist, aber das nur nebenbei.

Die große Stärke von Stefan Wimmer ist auch hier sein Erzähltalent. Obwohl die hier aufgereihten Aufreiß- und Abschleppversuche keiner großartigen Dramaturgie folgen, bleibt man als Leser einfach interessiert am Ball.

"Münchner G'schichten": Erzähltalent mit popkulturellen Anspielungen

Tatsächlich ist da eine gewisse Nähe zu den verschiedenen "Münchner G'schichten" eines Helmut Dietl, der allerdings auch seinen Frauenfiguren immer mehr Tiefe verliehen hatte. Jedenfalls gibt es für Männer südlich der Donau jede Menge leicht peinlicher Identifikationsangebote.

Neben der Anspielung auf Sofia Coppolas Film "Lost in Translation" im Titel (mit dem das Buch aber wirklich überhaupt nichts zu tun hat) hagelt es – bei Stefan Wimmer üblich – wieder popkulturelle Anspielungen.

Wie schon beim Vorgänger-Roman erinnert die Titelseite optisch an das Human-League-Sellout-Album "Dare", die Jungs können auf Zuruf den Text von Roland Kaiser Schlager "Santa Maria" auswendig, und als Zugabe gibt’s eine Playlist mit eigentlich zurecht vergessenen Songs der mittleren Achtziger, von Nick Kershaw bis Don Henley.

Auch damit gibt Stefan Wimmer zu verstehen, dass er und seine Buddies eben keine abgehobenen Alternativos waren, sondern glücklich im Mainstream der Adria badeten.

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