Treppenwitz der Geschichte

Die Wurzeln der Krise zwischen Deutschland und Polen reichen bis in die Ostpolitik des Kalten Krieges zurück

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Die Angriffe des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski und seiner Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) gegen Deutschland fallen auch hierzulande auf fruchtbaren Boden. Die polnische Regierung müsse begreifen, dass ihr Weg in die EU keine Einbahnstraße sei, erklärte unlängst der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestags, Matthias Wissmann. Kaczynskis Lager dürfe nicht vergessen, dass es „ohne Deutschland einen Beitritt Polens zur EU nicht gegeben“ hätte, sagte der CDU-Politiker. Was Wissmann nicht beachtet: Die europäische Integration ist für das regierende polnische Rechtsbündnis keineswegs mehr eine erstrebenswerte Perspektive.

Schon im Wahlkampf hatten Lech Kaczynski und sein unlängst zum Premierminister ernannter Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski (Zwei Ämter, ein Gesicht) mit nationalistischen und anti-europäischen Tönen für Aufsehen gesorgt (Rechtsruck in Polen). Die Kaczynskis kündigten an, Polen in die „Vierte Republik“ zu führen. Innenpolitisch wetterten sie gegen Korruption, versprachen eine repressive Innenpolitik bis hin zur Einführung der Todesstrafe und hetzten gegen Homosexuelle. Außenpolitisch wollen sie eine „Politik der Stärke“ gegenüber Deutschland, aber auch gegenüber der Europäischen Union demonstrieren. Das Bündnis mit Washington ist hingegen nach wie vor stabil.

Die PiS – ein Abfallprodukt des Kalten Krieges

Dass solchen Worten nun Taten folgen, ist also kaum erstaunlich. Zumal die PiS 2001 aus dem antikommunistischen Lager der „Wahlaktion Solidarnosc“ (AWS) hervorging. In der gleichnamigen Gewerkschaftsbewegung hatten sich die Zwillingsbrüder Kaczynski bereits in den achtziger Jahren gegen die sozialistische Regierung engagiert. Sie gehörten damals zeitweise sogar zum engeren Kreis um den Solidarnosc-Anführer Lech Walesa, dessen politisches Projekt von Washington und westeuropäischen Staaten gleichsam als „Demokratiebewegung“ nicht nur gefeiert, sondern auch finanziell und logistisch unterstützt wurde.

Dass die straff organisierte Kaczynski-Partei damit auch ein Produkt jahrzehntelanger Ostpolitik ist, wird derzeit verschämt verschwiegen. Dabei wurde in den achtziger Jahren der katholische Nationalismus der in der Solidarno??-Bewegung organisierten Rechten nach Kräften unterstützt. Lief die Alimentierung der Oppositionsbewegung durch westliche Regierungen meist verdeckt, so gab es durchaus auch offene Unterstützung. Der 1978 zum Papst gewählte Krakauer Bischof Karol Wojtyla signalisierte mit seinem Besuch in Polen ein Jahr später dem rechtskonservativen Flügel der Bewegung Rückendeckung. Es ist also kein Zufall, wenn extremistische religiöse Tendenzen sich im aktuellen Regierungsprojekt mit einem aggressiven Nationalismus paaren. Dieses Bündnis ist vielmehr ein Produkt lang währender Unterstützung aus dem Ausland.

Das Afghanistan-Syndrom in Polen

Die Parallelen zu anderen Staaten sind offensichtlich: Auch der Zerfall des afghanischen Staates etwa ist eine Folge der Unterstützung der Mudschaheddin durch die USA während deren Kampfes gegen die sowjetischen Truppen. Ohne diese Hilfe hätte es die Taliban am Hindukusch Anfang der neunziger Jahre ebenso wenig an die Macht geschafft wie die in Teilen rechtsextreme Regierung in Polen. Der Unterschied indes liegt in der partiellen Abkehr von den ehemaligen Bündnispartnern. Trotz der anti-europäischen und speziell anti-deutschen Haltung der amtierenden Regierung steht Warschau als Kern des Rumsfeldschen „alten Europa“ nach wie vor eng an der Seite Washingtons. Neben der militärischen Unterstützung des Besatzungsregimes in Irak durch Polen ist das Land auch im Vorgehen gegen unliebsame Regime ein verlässlicher Partner der Bush-Regierung in internationalen Gremien.

Es genügt angesichts dieser historischen Grundlagen nicht, den Nationalismus der Kaczynskis und ihrer Verbündeten allein auf die „Katastrophe des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges“ zurückgeführt, wie es der Spiegel jüngst tat. Es gebe für Deutsche keine Veranlassung, sich „aus Jux und Dollerei über den Wertekanon der Kaczynskis lustig zu machen“, schrieb Autor Claus Christian Malzahn. Er fällt damit auf einen Propagandatrick der Kaczynskis herein: Es ist den PiS-Gründern in der Tat gelungen, die tragische Geschichte Polens im 20. Jahrhundert zu benutzen, um das eigene aggressive, nationalistische Projekt in der Opferrolle zu präsentieren und damit zu verharmlosen. Diese Taktik gehört zum Standardrepertoire rechtsextremer Gruppierungen auch in Deutschland, wenn diese zum Beispiel auf die „zivilen Opfer“ des „Bombenkrieges“ und der „alliierten Aggressoren“ verweisen, oder wenn die neofaschistische NPD behauptet, die Bombenangriffe auf Dresden 1945 stünden nicht ursächlich im Zusammenhang mit dem 1. September 1939. In beiden Fällen – in Polen wie in Deutschland – kreieren sich die Rechtskräfte eine Opferrolle, um ihren Geschichtsrevisionismus zu rechtfertigen.

Ideologischer Kern des Antikommunismus

Dass der Verweis auf die Unterdrückung unter den Nazis zu kurz gefasst ist, zeigt auch der Blick auf die Bündnispartner der Kaczynski-Brüder. Seit einigen Wochen paktiert die PiS (Die Koalition der Transformationsverlierer) mit der Bauernpartei „Selbstverteidigung“ und mit der „Liga Polnischer Familien“ (LPR). Beide Parteien gehören dem rechtsextremen Lager an. Der Vorsitzende der Partei „Selbstverteidigung“, Andrzej Lepper, ist nicht nur ein erklärter Bewunderer der Innenpolitik von Adolf Hitler, er wettert gleichsam gegen Deutsche wie gegen Juden.

Die LPR wiederum steht in der Tradition des für Polen typischen klerikalen Antikommunismus. Der Vater des heutigen LPR-Vorsitzenden und amtierenden Erziehungsministers Roman Giertych baute 1989 die Nationaldemokratische Partei neu auf. Der Minister selbst rief im gleichen Jahr, damals 18-jährig, die rechtsradikale „Allpolnische Jugend“ wieder ins Leben. Diese Organisation war erstmals 1919 von Roman Dmowski gegründet worden, der Anfang des vergangenen Jahrhunderts – nach der ersten russischen Revolution 1905 – auf der Seite der Zaristen gegen die sozialistische Opposition gekämpft und immer wieder auch offen antijüdische Positionen eingenommen hatte.

Die Kaczynski-Brüder haben es geschafft, all diese antisemitischen und rechtsradikalen Kräfte auf der Basis eines katholischen Nationalismus zu vereinen. Das Spektrum der Feindbilder reicht dabei weit über die antideutschen Ressentiments hinaus: Gleichsam zieht man gegen Homosexuelle, Nicht-Katholiken, besonders Juden, gegen westliche Unternehmen, die EU und die NATO zu Felde. Das letzte Mal bestand eine solche Einheit in den achtziger Jahren in der Solidarno??-Bewegung. Langsam sollte sich daher auch im Westen Europas die Einsicht einstellen, dass man an der Entwicklung östlich der Oder nicht ganz unschuldig ist.

Proteste in Polen

Die Folgen müssen nun die Polen tragen. Dabei hat sich in den vergangenen Wochen gezeigt, dass auch der Widerstand gegen die rechte Regierung wächst. Viel zitiert wurde im Ausland ein offener Brief, in dem alle acht bisherigen Außenminister seit Ende des sozialistischen Polen die aktuelle Regierung kritisierten. Auslöser war Lech Kaczynskis Absage eines Treffens mit Angela Merkel und Jacques Chirac Anfang des Monats in Weimar. Dabei sollten ursprünglich die Positionen vor dem nahen G-8-Treffen in St. Petersburg abgesprochen werden. Kaczynski sagte „wegen Krankheit“ ab. Als wahrer Grund aber wird seine Verärgerung über einen satirischen Text vermutet, der in der taz erschien ist (Warum Polen die TAZ braucht). Den Brief der Exminister tat Kaczynski als „Ausdruck des Mangels an elementarer nationaler Solidarität“ ab. Der PiS-Fraktionsvorsitzende Przemyslaw Gosiewski warf den Unterzeichnern „unterwürfige Politik“ vor „großen Ländern“ vor.

Aber nicht nur unter Politikern, auch in der Bevölkerung wächst die Ablehnung der Regierungspolitik. Mindestens für Unverständnis sorgte der rechtsextreme Bildungsminister Giertych mit seinem Plan, ein Schulfach „Patriotismus“ einzuführen. Nach einer Umfrage der liberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza erwarten derweil nur 21 Prozent der Polen, dass Jaroslaw Kaczynski seine Arbeit als Premierminister gut machen wird. Dieses Ergebnis steht durchaus im Einklang mit dem Wahlergebnis im vergangenen Jahr. Damals wurden die PiS und Lech Kaczynski zwar mit gut 50 Prozent der Stimmen gewählt, aber die Wahlbeteiligung lag gerade einmal bei 40 Prozent.

Trotz der mangelnden demokratischen Legitimation und des Widerstandes aus dem In- und Ausland könnte sich das Bündnis klerikal-konservativer und rechtsextremer Kräfte lange halten. Die PiS stützt sich maßgeblich auf ländliche und unterdurchschnittlich gebildete Bevölkerungsschichten, die von liberalen Medien kaum erreicht werden. Die Regierungsparteien haben in den vergangenen Jahren hingegen ein effizientes Mediennetz aufbauen können, zu dem neben den katholischen Radiosender Maryja landesweit mindestens zehn weitere kirchliche Sender gehören. Auch der Fernsehsender „Trwam“ („Ich beharre“) und die Zeitung „Nasz Dziennik“ („Unser Tagblatt“) verbreiten die Regierungsideologie. Die PiS und ihre Bündnisparteien verfügen damit über beste Mittel, ihren Einfluss auszubauen: Radio „Maryja“ zum Beispiel wird von 80 Prozent der Bevölkerung empfangen.