Trumps Freundschaftsdienst an Netanjahu und an religiöse Eiferer in den USA

Jerusalem-Erklärung Trumps. Screenshot Video Weißes Haus

Jerusalem-Entscheidung: Der US-Präsident zeigt Mut, das Offensichtliche zu bestätigen, agiert aber stur einseitig. Aus dem Irak gibt es ernstzunehmende Alarmsignale für Verschärfungen in Konfliktzonen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Jerusalem habe es niemals nur eine einzige religiöse Wahrheit gegeben, sondern immer viele nebeneinander, schreibt Amos Elon in seinem Buch über die "Spiegelstadt", in der sich viele Bilder "gegenseitig reflektieren oder verzerren". Es ist wahrscheinlich nicht vermessen, den Satz auf Politik zu übertragen, auch hier gibt es mehrere Wahrheiten nebeneinander.

Nach der gestern tatsächlich erfolgten offiziellen Erklärung des US-Präsidenten, die Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennt, hat sich die Aufregung, die mit der Ankündigung der Erklärung Fahrt aufnahm, noch weiter gesteigert.

Die Drohung der Hamas und eine Kriegserklärung aus dem Irak

Der Hamas-Politbürochef Ismail Haniyeh (auch Hanniyya oder Hanijah geschrieben) reagierte mit dem Aufruf zu einer Intifada. Er bezeichnete Trumps Jerusalem-Statement als "Kriegserklärung". So etwas in der Art einer Kriegserklärung gab dann eine schiitische Miliz im Irak gegen US-Soldaten in der Folge der Trumpschen Erklärung ab.

Die dumme Entscheidung Trumps werde der große Funke sein, um Israel aus dem "Körper der islamischen Nation" zu entfernen und sei ein "legitimer Grund, um amerikanische Streitkräfte anzugreifen", wird Akram al-Kaabi, Chef der Miliz Harakat Hezbollah al-Nujaba zitiert. Die Miliz wird nach Informationen des Long War Journals von der iranischen Revolutionsgarde (IRGC) kontrolliert und operiert hauptsächlich im Irak, aber auch in Syrien.

Konfliktzone Irak

Die Miliz ist seit langem von der Feindschaft zu Israel "beseelt", was sich nicht nur in entsprechenden Äußerungen und Teilnahmen am iranischen al-Quds-Tag zeigt, sondern auch in der Formierung einer Golan Befreiungsbrigade.

Sie ist eng mit anderen schiitischen Milizen im Irak verbunden und Teil der PMU (Hashd al-Shaabi), weshalb sie formell der irakischen Armee unterstellt ist. Für den Sprecher der PMU, Ahmad al-Asadi, ist sie sogar "Teil des Irak". Nachzulesen ist dies in einem Bericht von Al-Monitor über Spannungen zwischen der irakischen Regierung, den PMU und den USA, die Harakat Hezbollah al-Nujaba und Asaib Ahl al-Haq als Terrororganisationen einstufen und sanktionieren wollen.

Der oben genannte Führer der Miliz, Akram al-Kaabi, wird von den USA seit 2008 offiziell als Terrorist eingestuft. Krieg mit US-Truppen führte al-Kaabi also bereits während der Zeit der irakischen Insurgenz gegen die USA und ihre Verbündeten. Dazu brauchte es gar nicht die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels.

Warum so viel Raum für die relativ kleine, aber laut L'Orient Le Jour "mächtige Miliz" mit etwa 1.500 Kämpfern? Weil sie etwas Größeres widerspiegelt.

Zersplitterungen und ein mögliches Umkippen

Warnungen vor gewalttätigen Konsequenzen auf den Schritt, den Trump mit der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt unternommen hat, gab es gestern viele und auch heute folgten noch einige. Im Fall der Hamas-Drohung mit einer Intifada gibt es Skepsis darüber, ob die Organisation eine neue Intifada überhaupt mobilisieren kann. Sie steckt mitten im schwierigen, langwierigen Annäherungsprozess mit der Fatah.

Dazu gibt es radikalere Splittergruppen und Flügel. Ob die Hamas vermag, diese Kräfte alle zu bündeln und über eine kurze Erregungszeit ("Tage des Zorns") hinaus, einen Widerstand mit längerem Atem aufzubauen, ist zumindest fraglich. Zumal sich bei den Tempelberg-Unruhen im Sommer gezeigt hatte, dass der "Funke" eben nicht auf große Teile der Palästinenser übersprang. Gut möglich also, dass die Zersplitterung der Palästinenser in verschiedene Lager die Gefahr einer größeren Eskalation bannt.

Aber vielleicht nicht auf lange Sicht. Kritische Nahost-Beobachter fürchten aber langfristige Effekte, die für die USA und Israel gefährlich werden könnten. Die eindeutige, unmissverständlich einseitige Parteinahme Trumps für Israel - in seiner Erklärung wurden die Palästinenser nur ein Mal und Israel 23 Mal erwähnt - könnte ein Kipp-Moment sein, das in den Ländern des Nahen Ostens eine Zunahme der Unterstützung des Lagers zur Folge hat, das sich eindeutig gegen die USA und Israel positioniert, wie dies zum Beispiel das Blog Moon of Alabama ausführt.

Das Narrativ der USA als "Feinde des Nahen Ostens"

Der Schritt von Trump bestätigte das verbreitete Narrativ, wonach die USA "Feinde des Nahen Ostens" seien, und könnte zu inneren Destabilisierungen führen, besonders in den Golfstaaten. Der Druck der Bevölkerung auf ihre politische Führung wird zunehmen. Als Indiz, dass es in den arabischen Bevölkerungen rumort, wird etwa vom Angry Arab darauf verwiesen, dass es in den sozialen Netzwerken in Saudi-Arabien, im Irak, in Algerien und in Syrien hoch hergeht - wahrscheinlich nicht gerade euphorisch über die US-Diplomatie.

Der Nahostjournalist Elijah Magnier deutet die größeren Möglichkeiten an, die sich nun für die Hizbollah ergeben, gegen die USA und Israel zu mobilisieren.

Dies ist Spekulation. Auch die sozialen Netze werden sich wieder beruhigen, sie sind nur ein Indiz. Keiner weiß im Augenblick mit Sicherheit, wie die Lage einzuschätzen ist:

Auch wenn arabische und muslimische Führer aus dem ganzen Nahen Osten Trumps Erklärung verurteilten, so gab es doch Zweifel daran, wie stark und ausdauernd der Zorn sein wird. Die palästinensische Sache, die lange für Verbundenheit in der Politik der arabischen Staaten sorgte, hat an Wichtigkeit in den letzten Jahren nachgelassen, überschattet von anderen Konflikten. Aber die Entscheidung der USA riskiert einen Rückschlag mit Konsequenzen, die nicht vorherzusehen sind.

New York Times

In diesem Zusammenhang ist die Reaktion aus dem Irak ernst zu nehmen.

Die Warnung der irakischen Regierung

Es geht hier nicht um rituelle diplomatische Floskeln. Die Regierung in Bagdad forderte die USA auf, die Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt zurückzunehmen:

Wir warnen vor den gefährlichen Rückwirkungen dieser Entscheidung auf die Stabilität der Region und der Welt. Die US-Regierung muss bei dieser Entscheidung einen Rückzieher machen, um eine gefährliche Eskalation zu stoppen, die Extremismus befeuert und Bedingungen schafft, die den Terrorismus begünstigt.

Irakische Regierung

Wie das oben genannte Beispiel der PMU-Miliz Harakat Hezbollah al-Nujaba zeigt, ist das nicht weit hergeholt. Außer dieser Miliz gibt es noch eine ganze Reihe unter den Hashd-al-Shaabi, die eng mit Iran verbunden sind. Zudem sind auch Dschihadisten für anti-israelische und anti-amerikanische Mobilisierungen empfänglich.

Die USA sind mit ihren Truppen besonders im Irak, aber auch in Syrien diesen Bedrohungen ausgesetzt. Israel ist Nachbarland Syriens. Man kann gespannt sein, wie Hizbollah-Chef Nasrallah auf die Erklärung Trumps reagiert. Die Reaktionen werden nicht nach dem Muster "Tit for Tat" ausfallen, prognostiziert Elija Magnier. Geduld sei eine Tugend.

Nun kann man Magnier eine Einseitigkeit unterstellen, er ist kein besonderer Freund der israelischen Politik, aber seine Analysen sind nicht von Parteigängertum geprägt, sondern sind wegen seiner Nüchternheit und seiner Verbindungen zu wichtigen Quellen interessant. Er dämonisiert nicht wie so viele andere Nahostberichterstatter.

Doch ist das Bedrohungsszenario - bei dem im Augenblick nicht genau zu sagen ist, wie viel Panik, Übertreibung oder wie viel Untertreibung hineinspielt, weil bestimmte Reaktionen nicht vorauszusehen sind - nicht das einzige Szenario, das sich in der Folge der Jerusalem-Erklärung Trumps ergibt.

Jerusalem als Hauptstadt: Gute Aussichten auch für Palästinenser

Man kann auch dem Bild oder der Reflexion folgen, dass Trump mit seiner Erklärung bestätigt, was ohnehin schon Realität war: Dass Jerusalem die Hauptstadt Israels ist. Und man kann auf Umfragen verweisen, die anzeigen, dass dies lebenspraktisch nicht unbedingt ein Nachteil der dort lebenden arabischen Bevölkerung sein muss.

Im Sommer dieses Jahres gab eine knappe Mehrheit (52%) von in Jerusalem lebenden Palästinensern an, dass sie lieber eine israelische Staatsbürgerschaft mit gleichen Rechten hätten als eine palästinensische. Die Zahlen unterscheiden sich deutlich von den Befragten aus dem Gazastreifen, dort waren nur 4 Prozent für eine israelische Staatsbürgerschaft, und dem Westjordanland: Dort waren 12 Prozent dafür.

Selbstverständlich ist bei Umfragen immer mit zu bedenken, woher sie kommen - hier war es Nabil Kukali vom Palestine Center for Public Opinion - und welche Methodik angewendet wird. Aber die Umfrage wird im Bericht der Times of Israel mit der Information ergänzt, dass die Anträge von Palästinensern auf eine israelische Staatsbürgerschaft deutlich zugenommen haben.

Dies zeigt, jenseits der ideologischen Spiegel, doch auch an, dass Palästinenser unter israelischer Verwaltung gut in Jerusalem leben können und ist vielleicht auch ein Indiz dafür, dass die israelische Verwaltung besser funktioniert. Auch das wäre eine von mehreren Jerusalemer Wahrheiten und, was die Lebenswirklichkeit von Individuen betrifft, nicht die unwichtigste.

Die gefährliche Einseitigkeit

Das ganz große Problem der Trumpschen Erklärung bleibt aber ihre Einseitigkeit. Er negiert die Rechte und die Lebenswirklichkeit der Palästinenser in seiner Erklärung vollkommen. Es gibt kein Wort von ihm dazu. Das ist gewollte Ignoranz. Er nimmt die Klagen der Palästinenser über Landnahmen und Vertreibungen vonseiten israelischer Behörden in Ostjerusalem und Umgebung offiziell nicht zur Kenntnis und ignoriert den Anspruch der Palästinenser, ihrerseits Jerusalem auch zur Hauptstadt ihres künftigen Staates zu machen, völlig.

Damit stellt er sich ohne Distanz, wie sie einem Staatsmann, der eine Großmacht präsentiert, angemessen wäre, bruchlos auf die Seite einer Partei in einem Konflikt, der viele Härten und Widersprüche hat, und nicht "eine ausschließlich gute Seite" kennt. Tatsächlich geht die Parteinahme Trumps soweit, dass er sich nahtlos den Rechten in Israel zuordnet und Netanjahu und noch weiter rechts agierenden Kräften politische Unterstützung gibt, ohne Gegenleistungen zu fordern. Er unterstützt damit eine politische Richtung in Israel. Es gibt auch andere.

"Jedes Element in Donald Trumps Proklamation bestätigt die Standard-Gesprächsthemen von Netanjahu", schreibt Anshel Pfeffer: Hätte der israelische Botschafter Ron Dermer in den USA, ein enger Berater Netanjahus mit bestem Zugang zum Weißen Haus, die Erklärung des US-Präsidenten verfasst, so wäre sie kaum näher dran an Netanjahus Vorstellung gewesen.

Ein Wahlversprechen ist nicht an sich schon gut

Als Argument für die Erklärung Trumps wird häufig erwähnt, dass er damit ein Wahlversprechen eingelöst hat und zeigt, dass er aus anderem Holz geschnitzt ist als viele andere Politiker. Dem ist einmal entgegenzuhalten, dass er damit das Risiko eingegangen ist, ein anderes, nicht weniger wichtiges, nämlich die Ankündigung eines "Friedenplans zwischen Israel und Palästinensern", scheitern zu lassen.

Und zum anderen, dass er damit, was US-Wähler angeht, ein Versprechen eingelöst hat, das besonders an ein Publikum mit teilweise bizarren religiösen Visionen gerichtet war, darunter einige "End of Times"-Eiferer.