"UN-Tribunal ist eine Seifenoper"

Im Libanon sorgt das UN-Sondergerichts, das den Mord an Rafik Hariri aufklären will, erneut für politische Kapriolen, der Verdacht fällt nicht nur auf die Hisbollah, sondern auch auf Israel

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Untersuchungsunterlagen des UN-Sondergerichts (STL), die angeblich Hisbollah-Mitglieder in den Mord implizieren, sind jetzt bei der kanadischen Fernsehgesellschaft CBC gelandet. Führende libanesische Politiker rufen zum Boykott des STL auf. Als Urheber der ganzen Affäre wird Israel vermutet, deren Spione den libanesischen Telekommunikationssektor infiltrierten.

Nun forderte es selbst Walid Jumblatt, der Vorsitzender der Progressiven Sozialistischen Partei: "Das Tribunal zielt darauf ab, den Libanon zu destabilisieren. Es wäre für das Regierungskabinett angebracht, das Tribunal und sein Urteil abzulehnen." Es sei offensichtlich, dass hinter der Untersuchung politische Motive steckten, die Ermittler gäben Dokumente an die Öffentlichkeit weiter und arbeiteten für Länder, in deren Schuld sie stünden. "Das Tribunal ist eine Seifenoper."

Harte Worte, ausgerechnet von einem Mitglied der Regierungskoalition, die von Premierminister Saad Hariri, dem Sohn des am 14. Februar 2005 ermordeten Milliardärs Rafik Hariri, angeführt wird. Walid Jumblatt zählte stets zu den stärksten Kritikern der Hisbollah, von der das Tribunal einige Mitglieder in naher Zukunft als Verdächtige vernehmen will und die vor Tagen auch in einem Fernsehbericht des kanadischen Senders CBC dokumentiert wurden.

Die Ankündigung des STL einige Hisbollah-Mitglieder vor die Untersuchung zu zitieren, hatte bereits seit Monaten heftige Diskussionen ausgelöst. Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der schiitischen Partei Gottes, hatte dies als "israelisches Projekt" denunziert und in einer Pressekonferenz Indizien geliefert, um den Erzfeind südlich der libanesischen Grenze zum Mitverdächtigen zu machen (Hisbollah: Israel soll hinter dem Attentat an Premierminister Hariri stehen).

Laut der Dokumentation von CBC gibt es in den Gerichtsunterlagen des STL Telefonprotokolle, die beweisen, dass Hisbollah-Leute einige Tage vor und unmittelbar zur Tatzeit am Ort des Attentats in Beirut gewesen sein sollen. Herausgefunden habe das Capt. Wissam Eid von den libanesischen Internen Sicherheitskräften, bevor er im Januar 2008 bei einem Bombenattentat ums Leben kam. Mit einfachsten Mitteln habe er aus Hunderttausenden von Telefongesprächen insgesamt acht Nummern herauskristallisiert, die ausschließlich unter einander telefoniert hätten und das über Sendemasten in der Nähe des St. George Hotels, vor dem die 1.000-Kilogramm-Bombe am Valentinstag 2005 explodierte. Zudem soll Wissam Eid Verbindungen zum Festnetzsystem der Hisbollah erkundet haben, von dem im "Propheten-Hospital" im schiitischen Südbeirut die Zentrale liege.

Das STL wollte die Resultate dieser Untersuchung erst nicht glauben und ließ den Report links liegen. Wie konnte ein Einzelner ganz alleine eine derartig umfassende Untersuchung durchführen, für die man eigentlich aufwendige und spezielle Software braucht? In mehreren Sitzungen mit Wissam Eid ließen sich die Fachleute von STL überzeugen. Schließlich entdeckte er das Telefonnetzwerk hinter dem Achtmann starken "Hit-Team", das zu Hisbollah führte.

Mit zu den Verdächtigen des STL zählt auch Wissam al-Hassan, der Chef des libanesischen Polizei-Geheimdienstes. Er hätte eigentlich am 14. Februar bei Rafik Hariri im Auto sitzen und mit ihm sterben sollen. Angeblich musste al-Hassan aber ein Examen an der Universität machen. "Sonst wäre ich natürlich bei Herrn Hariri gewesen“, sagte der Polizeimann. Die STL-Ermittler zweifeln an seiner Glaubwürdigkeit und seinem Alibi. Allerdings nicht Saad Hariri. "Wir haben volles Vertrauen in Colonel Wissam al-Hassan, dem Leiter der Abteilung Information der Internen Sicherheitskräfte" (ISF), sagte der Premierminister nach der Ausstrahlung des Berichts im kanadischen Fernsehen. Al-Hassan, der auch zu den Kritikern Hisbollahs als bewaffnete Miliz gehört, ist seit langem einer der Vertrauten der Hariri-Familie. Dem Sohn Rafik Hariris wird man kaum unterstellen, dass er einen Mann schützt, der möglicherweise an der Ermordung seines Vaters beteiligt war.

Aber was ist nun die Wahrheit? Stimmen die Berichte über die Telefonprotokolle? Hisbollah soll sich angeblich bei Wissam Eid gemeldet und ihm gesagt haben, dass sie zur fraglichen Zeit gegen israelische Spione ermittelten. Er solle seine Untersuchungen gefälligst unterlassen. Wer weiß, ob das Gespräch jemals gegeben hat, den Wissam Eid kann keine Auskunft mehr darüber geben. Aber es wäre eine Erklärung. Hisbollah hatte bereits behauptet, dass ein israelischer Spion am Tag des Attentats am Tatort war.

Oder steckt doch Israel dahinter?

Die bisherigen Resultate des STL sind nur Indizien und reichen für eine Verurteilung vor Gericht nicht aus. Schon einmal wurden Telefongespräche als Anlass zur Verhaftung von vier Generälen benutzt. Nach vier Jahren Haft mussten sie mangels Beweisen wieder freigelassen werden. Damals hieß es sogar, ihr Telefonnetwerk habe bis zu Präsident Emil Lahoud gereicht. Alle hatten den Fehler gemacht, rund um Tatzeit miteinander gesprochen zu haben.

Im Falle der möglichen Tatbeteiligung von Hisbollah-Mitgliedern an der Ermordung Rafik Hariris soll es aber weder um konspirative noch zufällige Gespräche gehen. Das legte zumindest die Pressekonferenz am Dienstag des libanesischen Telekommunikationsministers nahe. Charbel Nahhas erklärte, es gäbe Beweise für eine israelische Unterwanderung der Telefonnetzwerke in großem Ausmaß. "Jeder weiß heute, dass die Telekommunikationstechnologie für vielerlei Arten von Infiltrationen anfällig ist, um spezifische Resultate zu erzielen."

Israel habe nicht nur entlang der Grenze Einrichtungen installiert, mit denen man in die Telfonnetzwerke eindringen kann, sondern auch Gerätschaften innerhalb der Telefongesellschaften selbst. Dies gelang mithilfe von Spionen, die auch Passwörter oder andere wichtige Insiderinfos weitergegeben hätten.

Die Erkenntnisse seien ein Resultat der Befragung von den Spionen, die die libanesischen Behörden in den letzten Monaten verhafteten. Seit April 2009 wurden im Libanon insgesamt weit über 100 der Spionage verdächtigte Personen festgenommen. Einer der Verhafteten, Adib Alam, habe beispielsweise die Zugangscodes für die Sim-Karten von drei Hisbollah-Mitgliedern an die Israelis weitergegeben. So konnten sie die drei ohne geringste Probleme abhören, selbst, wenn sie ihre Telefone abgeschaltet hatten. Aber gleichzeitig auch an sie und über ihre Telefone SMS verschicken.

Sollten diese Informationen stimmen, wovon man fast ausgehen kann, sind die Telefonprotokolle des STL kaum etwas wert. Schon gar nicht vor Gericht. Die Spione in den nationalen wie privaten Telefongesellschaften arbeiteten dort schon seit Jahren, hatten Zugang zu Gesprächsdaten und haben ihn den Israelis ermöglicht. Wie weit und umfassend die Infiltration tatsächlich ging, ist nicht bekannt. Wie man aber den Geheimdienst der Hisbollah kennt, der an den Ermittlungen der Spione maßgeblich beteiligt war, wird man weitere Infos erwarten dürfen. Je mehr Druck das STL auf die Partei Gottes ausübt, desto mehr wird sehr wahrscheinlich bekannt gemacht. Am kommenden Sonntag wird Generalsekretär Hassan Nasrallah in einer öffentlichen Rede zu den neuen Ereignissen Stellung nehmen.

Sicherlich wird er dabei erneut den Schuldigen für die Krise in Israel suchen, was in der arabischen Öffentlichkeit populär ist. Aber tatsächlich muss man zugeben, für die israelischen regionalen Interessen läuft es seit dem Attentat auf Rafik Hariri im Februar 2005 glänzend. Die feindlichen, syrischen Truppen mussten den Libanon verlassen und nun ist der Erzfeind Hisbollah, der dem israelischen Militär immer wieder bittere Niederlagen bereitete, auf dem besten Weg, diskreditiert zu werden. Aber das wird die schiitische Organisation mit allen Mittel zu verhindern suchen, was national wie international die Sorge über einen neuen bewaffneten Konflikt im Libanon wachsen lässt.