USA: Will Trump über Parteigrenzen hinweg regieren?

In Ländern mit Mehrheitswahlrecht gibt es Quasi-Parteien innerhalb einer Partei: Logo des Freedom Caucus im Repräsentantenhaus

Stabschef Reince Preibus kündigt an, dass die Republikaner künftig den eigenen Freedom Caucus außen vor lassen und sich stattdessen bei den Demokraten Mehrheiten suchen könnten - Repräsentantenhaussprecher Ryan wackelt

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Am Freitag sagte der republikanische Repräsentantenhaussprecher Paul Ryan eine bereits am Tag zuvor verschobene Abstimmung über den von ihm ausgehandelten American Health Care Act (AHCA) ab, der das Obamacare-Krankenversicherungssystem ersetzen sollte. Der Grund dafür war, dass deutlich mehr als 21 Republikaner vorher angekündigt hatten, gegen den Entwurf zu stimmen, weshalb er keine Chance auf eine Mehrheit hatte.

Die meisten dieser Abweichler zählen zum fiskalkonservativen "Freedom Caucus", der seine Zustimmung verweigerte, weil der AHCA weiterhin die staatliche Subvention von Versicherungsprämien und Vorschriften für den Leistungskatalog von Verträgen vorsah (vgl. US-Gesundheitspolitik: Streit zwischen Trump und Republikanern). Nach der Absage der Abstimmung warf US-Präsident Trump diesem Freedom Caucus via Twittervor, mit Hilfe der Koch-Brüder-nahen Anti-Regulierungs-NGOs Club for Growth und Heritage Foundation Obamacare und den Abtreibungsanbieter Planned Parenthood "gerettet" zu haben, worüber sich die Demokraten jetzt freuen würden.

Gespräche mit Demokraten statt mit Freedom-Caucus-Republikanern

Bereits am Donnerstag hatte er verlautbart, wenn der AHCA auch im zweiten Anlauf keine Mehrheit im Repräsentantenhaus bekomme, werde er sich anderen Vorhaben zuwenden (vgl. Trump warnt Republikaner: Entweder Ryancare - oder Obamacare bis 2018). Hinsichtlich dieser anderen Vorhaben - von denen als nächstes die Steuerreform dran sein soll - meinte Trumps Stabschef Reince Priebus am Sonntag auf Fox, wenn die Freedom-Caucus-Republikaner diese blockieren würden, müssten sie damit leben, dass man zukünftig nicht mehr mit ihnen, sondern stattdessen mit Abgeordneten der Demokratischen Partei spricht, um Kongressmehrheiten zu bekommen.

Trump: "Kabinett mit dem höchsten IQ" (20 Bilder)

Innenminister Ryan Zinke ist der einzige Minister aus Trumps Team, der sich für sein offizielles Foto ohne Krawatte, aber mit Waffe ablichten ließ. Der deutschstämmige Klempnerssohn aus Montana war vorher Football-Stipendiat und Navy-Seal-Elitesoldat. Seine Kinder nannte er Wolfgang, Konrad und Jennifer. Bild: U.S. federal government

Dann, so die unausgesprochene Konsequenz, könnten sie ihre Ziele noch weniger verwirklichen und bekämen Kompromisse, die ihnen noch weniger schmecken werden. Charles Schumer der Sprecher der Demokraten im Senat, signalisierte bereits Interesse an so einer Zusammenarbeit. In der Vergangenheit ähnelten die Positionen des etablierten Demokraten oft denen etablierter Republikaner - sei es in der Außenpolitik, bei Hedge Fonds oder bei den "Rettungspaketen" für Banken (vgl. Dumm, dümmer, Demokraten?).

Niederlage oder Strategie?

In deutschen Medien wird das Absetzen des AHCA als schwere Niederlage Trumps gewertet. Ob sie sich tatsächlich langfristig negativ auf sein Image als "Dealmaker" auswirken wird, bleibt abzuwarten. Es könnte gut sein, dass der neue Präsident gerade einen Ratschlag aus seinem Bestseller The Art of the Deal anwendete und ganz bewusst den Eindruck vermied, "auf jeden Fall zu einem Abschluss kommen zu müssen": Anders als für viele andere Republikaner ist die möglichst schnelle Abschaffung von Obamacare für ihn möglicherweise keine Herzensangelegenheit - immerhin sprach er sich in den Nuller Jahren für eine Einheitskrankenversichterung nach kanadischem Vorbild aus und lobte noch im letzten Jahr den schottischen NHS.

Außerdem trug der AHCA in US-Medien zuletzt überwiegend nicht mehr den anfänglich gebrauchten Namen "Trumpcare", sondern "Ryancare" - nach dem Repräsentantenhaussprecher Paul Ryan, der sich als sehr geeigneter Schuldiger für das Scheitern anbietet: Die Fox-News-Kommentatorin Jeanine Pirro forderte deshalb am Samstag in ihrer Show Judge Jeanine sechs Minuten lang Ryans Rücktritt, weil er den Gesetzestext ausgearbeitet und es nicht geschafft habe, die nötigen Stimmen dafür zu organisieren.

Ein zufälliger Fernsehtipp?

Trump hatte am Wochenende erst verlautbart, er gebe Ryan keine Schuld am Fortbestehen von Obamacare - und später getwittert, man solle sich unbedingt Judge Jeanine ansehen. Pirro bestritt nach ihrem Kommentar zwar, dass es Absprachen zwischen ihr und dem Weißen Haus gab - ein "Leck", aus dem ihre Meinung über Ryan den Präsidenten vorab erreicht haben könnte, schließt das jedoch nicht aus. Präsidentensprecher Sean Spicer bestritt allerdings auch das und meinte, Trump habe den Fernsehtipp nur abgegeben, weil er die Show möge und sie unterstützen wollte.

Jeanine Pirro fordert auf Fox News Paul Ryans Rücktritt. Screenshot: TP

Dass Trump sich mit einem von Ryan entworfenen Gesundheitsreformgesetz eine Situation schuf, in der er so oder so gewinnt, ist nicht ausgeschlossen: Hätte der Entwurf das Repräsentantenhaus und den Senat passiert, hätte er sich als "Dealmaker" und zupackender Reformer feiern lassen können. Jetzt, nach einem Scheitern, besteht der Gewinn möglicherweise darin, dass er einen Vertreter des republikanischen Establishments, der sich im Wahlkampf mehrfach von ihm abgrenzte, durch einen ergebeneren Repräsententantenhaussprecher ersetzen kann.

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