Ukraine, Gaza, Taiwan: Das US-Imperium in der (letzten?) Krise

Bild: rudy liggett / CCO

Weltreiche siechen dahin. Das passiert gerade auch mit der amerikanischen Supermacht. Steuert Washington die Welt dabei ins Chaos? Gastbeitrag.

Imperien fallen nicht einfach um wie umgestürzte Bäume. Stattdessen werden sie langsam geschwächt, da eine Reihe von Krisen ihre Stärke und ihr Vertrauen schwinden lassen, bis sie sich plötzlich aufzulösen beginnen. So war es mit dem britischen, französischen und sowjetischen Imperium. So ist es jetzt mit dem imperial ausgerichteten Amerika.

Alfred W. McCoy ist Professor für Geschichte an der Universität von Wisconsin-Madison und Autor zahlreicher Bücher zur US-Außenpolitik.

Als die USA übernahmen und Krisen meisterten

Großbritannien sah sich mit schweren kolonialen Krisen in Indien, Iran und Palästina konfrontiert, bevor es 1956 kopfüber in den Suezkanal sprang und der imperiale Zusammenbruch folgte. In den darauffolgenden Jahren des Kalten Krieges sah sich die Sowjetunion mit ihren eigenen Herausforderungen in der Tschechoslowakei, in Ägypten und Äthiopien konfrontiert, bevor man im Krieg in Afghanistan gegen eine Mauer prallte.

Der Siegeszug der USA nach dem Kalten Krieg erlebte Anfang dieses Jahrhunderts mit den katastrophalen Invasionen in Afghanistan und im Irak seine eigene Krise. Nun zeichnen sich am Horizont der Geschichte drei weitere imperiale Krisen in Gaza, Taiwan und der Ukraine ab, die zusammengenommen eine langsame imperiale Rezession in einen überstürzten Niedergang, wenn nicht gar Zusammenbruch verwandeln könnten.

Lassen Sie uns zunächst einmal die Idee einer imperialen Krise in die richtige Perspektive rücken. Die Geschichte jedes Imperiums, ob alt oder modern, war immer mit einer Reihe von Krisen verbunden, die in der Regel in den ersten Jahren des Imperiums gemeistert wurden, um dann in der Zeit des Niedergangs immer katastrophaler auszufallen.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Vereinigten Staaten zum mächtigsten Imperium der Geschichte wurden, meisterten die politisch Verantwortlichen in Washington genau solche Krisen in Griechenland, Berlin, Italien und Frankreich sowie etwas weniger geschickt, aber nicht katastrophal, in einem Koreakrieg, der nie wirklich offiziell beendet wurde.

Ungleichgewicht zwischen Innenpolitik und Geopolitik

Selbst nach dem doppelten Desaster einer misslungenen verdeckten Invasion auf Kuba 1961 und einem konventionellen Krieg in Vietnam, der in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren nur allzu katastrophal daneben ging, erwies sich Washington als fähig, sich ausreichend effektiv neu einzustellen, um die Sowjetunion zu überleben, den Kalten Krieg zu "gewinnen" und die "einsame Supermacht" auf diesem Planeten zu werden.

Sowohl bei Erfolg als auch bei Misserfolg beinhaltet das Krisenmanagement in der Regel, ein störungsanfälliges Gleichgewicht zwischen Innenpolitik und globaler Geopolitik zu halten. Das Weiße Haus von Präsident John F. Kennedy, 1961 von der CIA mit manipulativen Mitteln zur fatalen Invasion in die Schweinebucht auf Kuba gebracht, konnte sein politisches Gleichgewicht wiederherstellen. Auf diese Weise erlangte man Kontrolle über das Pentagon und schaffte es, 1962 eine diplomatische Lösung mit der Sowjetunion in der gefährlichen Kubakrise um Mittelstreckenraketen zu erreichen.

Die derzeitige Misere Amerikas ist jedoch zumindest teilweise auf ein wachsendes Ungleichgewicht zwischen einer Innenpolitik, die aus den Fugen zu geraten scheint, und einer Reihe von herausfordernden globalen Umwälzungen zurückzuführen. Ob im Gaza-Streifen, in der Ukraine oder sogar in Taiwan – Washington unter Präsident Joe Biden gelingt es eindeutig nicht, die Wähler im eigenen Land mit den internationalen Interessen des Imperiums in Einklang zu bringen.

In all diesen Fällen wird das Krisen-Missmanagement durch Fehler, die sich in den Jahrzehnten seit dem Ende des Kalten Krieges aufgestaut haben, nur noch verschlimmert, sodass jede Krise zu einem unlösbaren Knäuel wurde, für das es keine einfache oder vielleicht überhaupt keine Lösung gibt.

Sowohl im Einzelfall als auch in der Gesamtheit dürfte sich die schlechte Bewältigung dieser Krisen als ein wichtiger Marker für Amerikas endgültigen Niedergang als Weltmacht erweisen, sowohl im Inland als auch im Ausland.

Schleichende Katastrophe in der Ukraine

Seit dem Ende des Kalten Krieges ist das Missmanagement in Bezug zur Ukraine ein eigenartig parteiübergreifendes Projekt gewesen. Als sich die Sowjetunion 1991 aufzulösen begann, konzentrierte sich Washington darauf, sicherzustellen, dass Moskaus Arsenal an schätzungsweise 45.000 Atomsprengköpfen keine Gefährdung darstellte, insbesondere die 5.000 Atomwaffen, die damals in der Ukraine lagerten, wo sich auch die größte sowjetische Atomwaffenfabrik in Dnipro (damals Dnipropetrowsk) befand.

Während eines Besuchs im August 1991 erklärte Präsident George H.W. Bush dem ukrainischen Premierminister Leonid Krawtschuk, dass er die künftige Unabhängigkeit der Ukraine nicht unterstützen könne, und hielt seine als "Chicken-Kiev"-Rede bekannt gewordene Ansprache:

Die Amerikaner werden diejenigen nicht unterstützen, die die Unabhängigkeit anstreben, um eine weit entfernte Tyrannei durch eine lokale Despotie zu ersetzen. Sie werden nicht diejenigen unterstützen, die einen selbstmörderischen, auf ethnischem Hass basierenden Nationalismus fördern.

Er würde jedoch bald Lettland, Litauen und Estland als unabhängige Staaten anerkennen, da sie keine Atomwaffen besaßen.

Als die Sowjetunion schließlich im Dezember 1991 zusammenbrach, wurde die Ukraine auf Anhieb zur drittgrößten Atommacht der Welt, obwohl sie keine Möglichkeit hatte, die meisten dieser Atomwaffen tatsächlich abzuliefern. Um die Ukraine davon zu überzeugen, ihre Atomsprengköpfe nach Moskau zu verlagern, nahm Washington drei Jahre lang multilaterale Verhandlungen auf und gab Kiew "Zusicherungen" (aber keine "Garantien") für seine künftige Sicherheit – das diplomatische Äquivalent eines persönlichen Schecks, der mit einem Bankkonto verbunden ist, das kein Guthaben hat.

Osterweiterung der Nato

Im Rahmen des Budapester Sicherheitsmemorandums vom Dezember 1994 unterzeichneten drei ehemalige Sowjetrepubliken – Belarus, Kasachstan und die Ukraine – den Atomwaffensperrvertrag und begannen mit der Übergabe ihrer Atomwaffen an Russland.

Gleichzeitig erklärten sich Russland, die USA und Großbritannien bereit, die Souveränität der drei Unterzeichner zu respektieren und diese Waffen nicht gegen sie einzusetzen. Jedem der Anwesenden schien jedoch klar zu sein, dass die Vereinbarung bestenfalls dürftig war. (Ein ukrainischer Diplomat sagte den Amerikanern, er mache sich "keine Illusionen darüber, dass die Russen sich an die von ihnen unterzeichneten Vereinbarungen halten würden").

In der Zwischenzeit – und das sollte uns heute bekannt vorkommen – wetterte der russische Präsident Boris Jelzin gegen die Pläne Washingtons, die Nato weiter auszubauen, und beschuldigte US-Präsident Bill Clinton, von einem Kalten Krieg zu einem "kalten Frieden" überzugehen. Unmittelbar nach dieser Konferenz warnte Verteidigungsminister William Perry Clinton eindringlich davor, dass "ein verwundetes Moskau als Reaktion auf die Nato-Erweiterung um sich schlagen würde".

Dennoch stimmte Clinton, nachdem die ehemaligen Sowjetrepubliken sicher von ihren Atomwaffen befreit worden waren, der Aufnahme neuer Mitglieder in die Nato zu und leitete damit einen unaufhaltsamen Marsch nach Osten in Richtung Russland ein, der unter seinem Nachfolger George W. Bush fortgesetzt wurde.

So wurden drei ehemalige Satellitenstaaten der Sowjetunion, nämlich die Tschechische Republik, Ungarn und Polen (1999), drei ehemalige Sowjetrepubliken, nämlich Estland, Lettland und Litauen (2004), und drei weitere ehemalige Satellitenstaaten, nämlich Rumänien, die Slowakei und Slowenien (2004), aufgenommen.

Überfall auf Ukraine wirklich überraschend?

Auf dem Bukarester Gipfel 2008 beschlossen die 26 Mitglieder des Bündnisses außerdem einstimmig, dass die Ukraine und Georgien zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt ebenfalls "Nato-Mitglieder" werden sollen. Mit anderen Worten: Nachdem die Nato bis an die ukrainische Grenze vorgedrungen war, schien Washington die Möglichkeit, dass Russland sich in irgendeiner Weise bedroht fühlen und mit der Annexion dieses Landes reagieren könnte, um seinen eigenen Sicherheitskorridor zu schaffen, nicht zu berücksichtigen.

In jenen Jahren kam Washington auch zu der Überzeugung, dass es Russland in eine funktionierende Demokratie verwandeln könnte, die vollständig in die sich noch entwickelnde US-amerikanische Weltordnung integriert werden könnte.

Doch mehr als 200 Jahre lang war Russland autokratisch regiert worden. Und jeder Herrscher von Katharina der Großen bis Leonid Breschnew hatte seine innere Stabilität durch ständige Expansion nach außen erreicht. Daher dürfte es kaum überraschen, dass die scheinbar endlose Expansion der Nato Russlands jüngsten Autokraten, Wladimir Putin, dazu veranlasste, im März 2014, nur wenige Wochen nach der Austragung der Olympischen Winterspiele, auf der Halbinsel Krim einzufallen.

In einem Interview kurz nach der Annexion dieses Teils der Ukraine durch Moskau erkannte Präsident Barack Obama die geopolitische Realität an, die das gesamte Land in den Orbit Russlands treiben könnte, und sagte:

Tatsache ist, dass die Ukraine, ein Nicht-Nato-Land, für eine militärische Beherrschung durch Russlands anfällig sein wird, egal, was wir tun.

Russland liegt nicht darnieder

Im Februar 2022, nach jahrelangen Kämpfen mit geringer Intensität in der ostukrainischen Donbass-Region, schickte Putin 200.000 Truppen los, um die Hauptstadt Kiew einzunehmen und genau diese "militärische Vorherrschaft" zu errichten.

Als die Ukrainer sich überraschend gegen die Russen wehrten, reagierten Washington und der Westen zunächst mit erstaunlicher Entschlossenheit: Sie drosselten die Energieimporte Europas aus Russland, verhängten schwere Sanktionen gegen Moskau, dehnten die Nato auf ganz Skandinavien aus und schickten ein beeindruckendes Arsenal an Waffen in die Ukraine.

Nach zwei Jahren eines nicht enden wollenden Krieges sind jedoch Risse in der antirussischen Koalition entstanden, die darauf hindeuten, dass Washingtons globaler Einfluss seit den glorreichen Tagen des Kalten Krieges deutlich abgenommen hat.

Nach 30 Jahren marktwirtschaftlichen Wachstums hat Russlands robuste Wirtschaft die Sanktionen überstanden, seine Ölexporte haben neue Märkte gefunden, und das Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr voraussichtlich um gesunde 2,6 Prozent wachsen. In der Kampfsaison des letzten Frühjahrs und Sommers scheiterte eine ukrainische "Gegenoffensive". Und der Krieg ist nach Ansicht sowohl der russischen als auch der ukrainischen Befehlshaber zumindest "festgefahren", wenn er nicht sogar beginnt, sich zu Russlands Gunsten zu wenden.

Besonders kritisch ist, dass die Unterstützung der USA für die Ukraine ins Stocken geraten ist. Nachdem es dem Weißen Haus unter Biden gelungen war, das Nato-Bündnis auf die Seite der Ukraine zu ziehen, öffnete man das US-Waffenarsenal, um Kiew mit einer beeindruckenden Palette von militärischer Ausrüstung im Gesamtwert von 46 Milliarden Dollar auszustatten, die der kleineren Armee einen technologischen Vorsprung auf dem Schlachtfeld verschaffte.