Ukraine: Geschichtsunterricht mit Beigeschmack

Seite 3: Ukrainische Beteiligung am Massenmord der Nazis

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Die Shoah wird aber aus einem weiteren Grund nur randständig behandelt. Es gab eben nicht nur ukrainische Retter21, Unbeteiligte und zwangsverpflichtete Zivilisten, sondern auch zahlreiche ukrainische Täter. Gerade das passt aber schlecht in einen Geschichtsunterricht, der eine positive Nationalidentität stärken soll.

"Die Deutschen hätten die Massenmorde ohne ukrainische Hilfskräfte kaum organisieren können", unterstreicht Frank Golczewski. Die Deutschen haben die brutalen Rahmenbedingungen gesetzt und sie haben auch meist geschossen. Aber ohne die unterstützenden Dienste ukrainischer Milizen, ukrainischer Schutzmannschaften (Hilfspolizei) und der einheimischen Verwaltung wären die Massenmorde so nicht möglich gewesen. In manchen Landkreisen habe es nur zwei oder drei Deutsche, dafür aber 300 ukrainische Hilfspolizisten gegeben.

In einigen Orten wie etwa dem westukrainischen Busk haben einheimische Schutzmannschaften auch selbst Erschießungen vorgenommen. Rund 1800 jüdische Opfer liegen hier in 17 Massengräbern.22

Es gab auch zahlreiche ukrainische "Trawniki-Männer" - Wachmannschaften die im ostpolnischen Lager Trawniki von der SS ausgebildet wurden. Auch diese "Hilfswilligen" waren an mörderischen Ghettoräumungen und Massenerschießungen in ukrainischen Wäldern beteiligt. Ebenso waren sie als Geleit von Transporten in Vernichtungslager und als Wachen der Lager eingesetzt.23 Der 2011 in München wegen Beihilfe zum Mord in tausenden Fällen verurteilte John (eigentlich Ivan) Demjanjuk ist wohl der bekannteste ukrainische Trawniki-Mann.

Nicht zu vergessen sind die nationalistischen Partisanen der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), die in den westukrainischen Wäldern tausende geflüchtete Juden aufspürten und umbrachten.24 Zur Judenfeindlichkeit der UPA gibt es jedoch Kontroversen unter Historikern, da in Reihen dieser Partisanen zumindest zwangsrekrutierte und für die UPA "nützliche" Juden wie Ärzte, Apotheker oder Schneider überlebten.

Antijüdische Pogrome

Zu Beginn der deutschen Besatzungszeit gab es in der Westukraine bis zu 140 Pogrome ukrainischer Zivilisten gegen Juden. Zum Teil hatten Aktivisten der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) die mörderischen Ausschreitungen angeheizt oder organisiert. Mitgemacht hatten Ukrainer aller Schichten, berichteten Überlebende.25 Die Deutschen duldeten die Lynchmorde auf offener Straße, einige fotografierten und filmten sie sogar. Die Bilder finden sich heute auch in Online-Archiven. Sie zeigen entsetzliche Hetzjagden und geschundene Menschen in Todesangst.

Lwiw 1941: Dieses Foto eines Wehrmachtssoldaten vom Innenhof des Brygidki-Gefängnisses zeigt höchstwahrscheinlich jüdische Opfer des Pogroms vom 30. Juni und 1. Juli 1941. Bild: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes

Bis zu 30.000 Juden fielen den Pogromen der einheimischen Antisemiten in den Städten und Dörfern zum Opfer.26 Die größten Ausschreitungen gab es in Lwiw.27 Aus Sicht ukrainischer Nationalistenführer wie Stepan Bandera sollten die Morde der erste Schritt hin zu einer ethnisch homogenen Ukraine sein. Juden wurden in der Westukraine häufig als Bolschewiki oder Verbündete der Russen gesehen. Zudem speisten sich die Morde aus einem tief verwurzelten Judenhass der ostgalizischen Landbevölkerung. Selbst im Zusammenhang des Holocausts seien diese Lynchmorde unvergleichlich grausam gewesen, schreibt Boris Zabarko.28

In drei der vier zugelassenen Lehrbücher für ukrainische Geschichte wird zur Judenvernichtung durch die Deutschen nicht mal angedeutet, dass Ukrainer Mittäter bei diesem Verbrechen waren. In einem Buch immerhin, wird in einem Nebensatz erwähnt, dass auch Einheimische sich an den Morden der Nazis beteiligten.29 Von den Pogromen findet sich in keinem der Lehrbücher ein Wort. Genauso sieht es auch in anderen geschichts-offiziellen Darstellungen aus.30 Um Hinweise auf die Pogrome verschwinden zu lassen, manipulierte ein Museum in Lwiw sogar mit Photoshop.31

Gäbe es eine intensive Aufarbeitung des Holocausts in der Ukraine, so würden auch die eigenen Verstrickungen ans Licht kommen. Doch hierzu müssten sich auch bildungspolitische Vorgaben ändern. "Das pädagogische Ziel ist eben nicht die Aufarbeitung von Geschichte, sondern das Nationalbewusstsein zu stärken", erklärt Ukraine-Experte Frank Golczewski.