Soldaten knapp: Ukrainer sollen mit fairen Angeboten zum Krieg eingeladen werden

Soldatengräber auf dem Lychakiv-Friedhof in Lwiw. Bild: President Of Ukraine,

Kiew will eigene Bürger aus dem Ausland an die Front holen. Dies sei eine "Einladung". Doch wer nicht folgt, dem drohen Strafen. Ein CDU-Mann findet das gut.

Der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow plant, im kommenden Jahr auch im Ausland lebende Männer im Alter von 25 bis 60 Jahren zur Verstärkung der Streitkräfte heranzuziehen. Er betonte in einem Interview mit Bild, Welt TV und Politico, dass es eine "Einladung" sei, aber Sanktionen für diejenigen drohen, die der Aufforderung nicht nachkommen.

Die Ukraine strebt an, 450.000 bis 500.000 weitere Soldaten zu mobilisieren, um die russische Invasion abzuwehren. Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete die Mobilisierung als "sensible Frage", und es gibt noch keine endgültige Entscheidung aufgrund ungeklärter finanzieller und politischer Rahmenbedingungen.

Ukraine-Verteidigungsminister: Gerechte Einberufung

Umjerow unterstrich die Notwendigkeit von Gerechtigkeit bei der Einberufung und betonte, dass künftig klare Informationen über Ausbildung, Ausrüstung, Dienstort und Entlassungsdauer für die Betroffenen bereitgestellt werden sollten.

Seit dem Kriegsbeginn wurde ein Ausreiseverbot für ukrainische Männer zwischen 18 und 60 Jahren verhängt, dennoch sind Zehntausende ins Ausland geflohen, wobei über 20.000 Männer im wehrfähigen Alter Anfang Oktober bei dem Versuch, das Land zu verlassen, festgenommen wurden.

Politische Schützenhilfe aus Berlin

Anfang dieses Monats hatte der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter den Versuch der ukrainischen Führung explizit unterstützt, Männer aus dem Ausland zurückzuholen, um die Kampffähigkeit aufrechtzuerhalten. Im Interview mit Welt TV sagte er:

Das Problem in der Ukraine ist, dass sich zum Beispiel in der Europäischen Union über 600.000 wehrfähige ukrainische Männer dem Wehrdienst entziehen. Allein in Deutschland sind es 220.000 und die würden natürlich helfen, die Männer an der Front zu entlasten.

Sie würden aber auch in der Heimat helfen, sozusagen bei der Unterstützung des Roten Kreuzes, bei der Trümmerbeseitigung, bei der Feuerwehr, bei der zivilen Unterstützung. Deshalb sollten wir auch als Deutsche einen Appell an die wehrfähigen jungen Männer richten. Das sollte auch die Europäische Union tun. 600.000 junge Männer und allein die 200.000 in Deutschland, das wären über zehn Divisionen allein in Deutschland.

Roderich Kiesewetter

Im Spiegel legte der Christdemokrat nun nach: Deutschland solle die Ukraine dabei unterstützen, wehrfähigen Männern "faire Angebote" zu machen. Man könne Anreize zur freiwilligen Rückkehr geben.

"Natürlich könnten die Ukrainer dann versuchen Asyl zu beantragen, es gibt allerdings auch keine Pflicht automatisch Asyl zu gewähren", zitiert ihn das Nachrichtenmagazin. Kiesewetter regte ein Abkommen mit Anreizen zur freiwilligen Ausreise an.

Kiesewetter: Wer nicht kämpft, soll kein Bürgergeld mehr erhalten

In diesem Zuge "könnte Deutschland das Bürgergeld für diese Gruppe aussetzen". Damit gewinnt die Debatte zum wiederholten Male seit Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine an Fahrt.

Bereits im März 2022 hatten humanistische Organisationen und Gruppierungen der Friedensbewegung kritisch auf einen Vorstoß aus der FDP-Bundestagsfraktion reagiert, Soldaten der russischen Armee über ein bevorzugtes Asylverfahren zur Fahnenflucht zu bewegen.

FDP-Vorschlag zum Thema schon im März 2022

Bei einer entsprechenden der Initiative hatte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel, ukrainische Kriegsdienstverweigerer offensichtlich nicht einbezogen. Dabei hatte die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Ausreisesperre für Männer zwischen 18 und 60 Jahren erlassen. Und es gab schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine Berichte über Zwangsrekrutierungen im Land.

Der Spiegel hatte den 39-jährigen liberalen Bundestagsabgeordneten Vogel damals unter Berufung auf ein Hintergrundgespräch mit der Einschätzung zitiert, die Aufnahme von russischen Deserteuren könne "auch ein Beitrag zur Schwächung der russischen Truppen in der Ukraine" sein.

Kritik an einseitiger Hilfe zur Kriegsdienstverweigerung

Dass Vogel, der auch Vizevorsitzender seiner Partei ist, seinen Vorschlag mit einer intendierten Einflussnahme auf das Kriegsgeschehen und nicht humanistisch begründete, traf bei zivilgesellschaftlichen Akteuren auf Kritik.

"Wir fordern offene Grenzen und Unterstützung aller Kriegsdienstverweigerer sowie Deserteure – egal welcher Seite im Konflikt sie angehören", sagte der politische Geschäftsführer der Friedensorganisation DFG-VK, Michael Schulze von Glaßer, damals gegenüber Telepolis.

Niemand dürfe zum Töten gezwungen werden

Niemand dürfe gezwungen werden, eine Waffe in die Hand zu nehmen und andere Menschen töten zu müssen, fügte er an: "Wir verurteilen den völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands in die Ukraine. Die Reaktion der ukrainischen Regierung, Männer zwischen 18 und 60 Jahren nicht mehr ausreisen zu lassen, lehnen wir dennoch ab."

Jeder Mensch müsse die Möglichkeit haben, vor dem Krieg zu fliehen und Schutz zu finden. Schließlich sei Kriegsdienstverweigerung ein Menschenrecht, so der Vorsitzende der 1892 gegründeten Friedensorganisation.

Berichte über Zwangsrekrutierung in der Ukraine ignoriert

Die Bundesregierung bemühte sich nach damals um eine "unkomplizierte Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine". Um Chaos und lange Wartezeiten zu vermeiden, habe das Bundesinnenministerium den Behörden der Länder Regeln für eine vereinfachte Registrierung von Kriegsflüchtlingen an die Hand gegeben.

Dass unter den damals schon mehr als 160.000 Geflüchteten vor dem russischen Angriffskrieg auch einige Kriegsdienstverweigerer sein dürften, liegt auf der Hand, wurde aber medial und politisch lange kaum thematisiert – obwohl es dafür gute Gründe gegeben hätte.

Tunesien sah Beleg für Zwangsrekrutierung

So gingen die Behörden in Tunesien Berichten nach, denen zufolge Staatsangehörige des nordafrikanischen Landes, die in der Ukraine inhaftiert waren, zwangsrekrutiert wurden, um Verbände gegen die russischen Invasoren zu verstärken. Dies habe das tunesische Außenministerium bestätigt, so die panarabische Tageszeitung Asharq al-Awsat.

In Spanien hatte es schon zu Beginn des Jahres 2022 eine Debatte gegeben, nachdem der Oberste Gerichtshof Asyl- und Schutzanträge von Kriegsdienstverweigerern aus der Ukraine verweigert hatte. "Das Innenministerium und die Gerichte lehnen praktisch alle Asylanträge oder irgendeine Art von internationalem Schutz ab", hieß es dazu in der Tageszeitung El Mundo.

"Wenn der Militärdienst im Herkunftsland des Antragstellers verpflichtend ist, kann niemand erwarten, dass dieses Gericht die Verletzung dieser Bürgerpflicht befürwortet", zitierte das Blatt einen entsprechenden Beschluss.

Humanistische Vereinigung für Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern

Der Vorstand der in Nürnberg ansässigen Humanistischen Vereinigung, Michael Bauer, sieht vor diesem Hintergrund Gründe für eine Aufnahme ukrainischer Kriegsdienstverweigerer. "Niemand sollte zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Dergleichen wäre mit einer humanistischen Haltung nicht vereinbar", so Bauer in den Wochen nach Kriegsbeginn gegenüber Telepolis.

Es auch andere Wege, um einen Beitrag zum Schutz und zur Sicherheit des Landes zu gewährleisten, wenn dies aus legitimen Gründen, wie sie im Fall der Ukraine vorliegen, erforderlich ist. Zunächst hatte sich die Humanistische Vereinigung in einer Pressemitteilung auch lediglich für die Aufnahme russischer Deserteure ausgesprochen.

US-Presse mit differenzierterem Blick

Auf die Nachfrage zum Umgang mit männlichen Geflüchteten aus der Ukraine ergänzte Bauer, nicht jeder Beitrag zur Landesverteidigung müsse bewaffnet erfolgen:

Daher ist es auch unter den Bedingungen einer allgemeinen Dienstverpflichtung im Kriegsfall gefordert, den Betreffenden aus Gewissensgründen zu ermöglichen, einen nichtbewaffneten Beitrag zu leisten. Wird diesem Erfordernis nicht Raum gegeben, dann erhält die aktive Verweigerung dieses Kriegsdienstes Aspekte, die Schutz und Asyl rechtfertigen.

Michael Bauer, Vorstand der Humanistischen Vereinigung

Der ungleiche migrationspolitische Umgang mit Männern aus Russland und der Ukraine zeigt gleichsam den politischen Tunnelblick wie auch die gewollte politische Einflussnahme. Beachtlich dabei: In der US-Presse werden die Widersprüche mitunter differenzierter abgebildet.

Die US-Tageszeitung New York Times etwa porträtierte in einem Podcast Anfang 2002 neben einem IT-Fachmann aus Charkiw und einem Freiwilligen der Verteidigungstruppen auch den Kriegsdienstverweigerer Tyhran, einen Animateur, der erfolglos versuchte, sich mit der Flucht nach Polen der Zwangsrekrutierung zu entziehen.

Dramatische Szenen an ukrainischer Westgrenze

"An den Grenzübergängen zwischen der Ukraine und seinen westlichen Nachbarländern spielen sich aktuell dramatische Szenen ab: Väter und Söhne dürfen ihre Mütter und Schwestern nicht auf der Flucht begleiten und werden von ukrainischen Regierungstruppen zurückgehalten", bestätigt auch Schulze von Glaßer:

Familien werden zerrissen. Unbestätigten Meldungen zufolge sollen sogar schon Ukrainer, die trotz des Ausreiseverbotes versuchten das Land zu verlassen, an der Grenze von ukrainischen Landsleuten erschossen worden sein. Auch von Erschießungen russischer Deserteure durch die eigenen Leute gibt es bereits zahlreiche unbestätigte Meldungen.

Schulze von Glaßer, Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK)

Dass von einigen Politikern der Bundesregierung und der EU geplant wurde, russischen Soldatinnen und Soldaten, die sich dem Krieg verweigern, Aufnahme und Schutz zu gewähren, begrüßte die traditionsreiche Friedensorganisation. "Dies muss aber auch für die ukrainische Seite gelten", so Schulze von Glaßer.

Lage von Verweigerern in Russland und Ukraine unterschiedlich

Für die Humanistischen Vereinigung weist Bauer allerdings auch auf die unterschiedliche Lage von Kriegsdienstverweigerern aus Russland und der Ukraine hin:

Im ersten Fall verweigern es die Betroffenen, sich an einem aggressiven Angriffskrieg zu beteiligen. Dieser ist eindeutig völkerrechtswidrig, und es steht bereits der begründete Verdacht auf mehrfache Kriegsverbrechen im Raum. Hier ist die moralische Beurteilung einer Kriegsdienstverweigerung klar, allein schon deshalb, weil es aus ethischer Sicht keine guten Gründe für die Mitwirkung an diesem Kriegseinsatz gibt.

Im zweiten Fall geht es um die Verweigerung der Verteidigung des eigenen Landes, das von einem äußeren Aggressor bedroht wird, mit der Waffe. Hier bedarf es einer differenzierten Abwägung.

Aus ethischer Sicht ist es durchaus möglich gute Gründe zu finden, die eine bewaffnete Verteidigung des eigenen Landes rechtfertigen. Dies gilt auch für den Imperativ, an der Verteidigung gegen einen Aggressor grundsätzlich mitzuwirken zu müssen. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass es einen ethisch begründeten Zwang für jedermann gibt, dies mit der Waffe in der Hand zu tun.

Michael Bauer, Vorstand der Humanistischen Vereinigung

Der Vizevorsitzende der FDP, Johannes Vogel, mochte sich mit diesen Widersprüchen und Hausforderungen der Debatte zunächst nicht weiter befassen.

Eine Anfrage von Telepolis, ob er eine bevorzugte Behandlung auch für Kriegsdienstverweigerer oder Deserteure aus der Ukraine zwischen 18 und 60 Jahren anstrebe, ließ Vogels Büro unbeantwortet.

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