Ukraine an den Verhandlungstisch! Wieso aktive Politiker den Mund halten
Friedensvorschläge für die Ukraine gibt es inzwischen zahlreich, aber die Stimmen der aktiven Politiker fehlen. Sind sie mutlos oder strategisch? Ein Kommentar.
Der Weg zu einem Frieden in der Ukraine ist ein steiniger – aber dennoch in die Suche nach ihm unabdingbar. Kürzlich dokumentierte Telepolis einen solchen Vorschlag, der den Weg zu einem dauerhaften und gerechten Frieden skizziert. Unterschrieben wurde er von namhaften Persönlichkeiten wie Horst Teltschik, Hajo Funke und Harald Kujat.
Es fällt auf: Die Unterzeichner des Aufrufs sind alle längst im Ruhestand; unter ihnen befindet sich kein aktiver Politiker, Beamter oder Akademiker. Es sind Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, außer vielleicht ihren guten Ruf.
Und das ist das eigentliche Problem, denn in Deutschland und den USA ist die Bereitschaft vorhanden, Frieden auf dem Wege von Verhandlungen zu schließen. Die New York Times schrieb kürzlich, deutsche Beamte seien sehr an einer Verhandlungslösung interessiert. Sie sprächen allerdings nur unter vier Augen oder mit vertrauenswürdigen Spezialisten darüber, wie Russland an den Verhandlungstisch gebracht werden könne.
Selbst innerhalb der Nato-Strukturen wird offenbar die Option geprüft, dass die Ukraine die Krim, den Donbass und andere Gebiete Russland überlässt und im Gegenzug dafür in die Nato aufgenommen wird. Stian Jenssen, der Stabschef des Nato-Generalsekretärs, äußerte diese Gedanken auf einer Podiumsdiskussion in Norwegen.
Laut der norwegischen Zeitung VG sagte er: "Ich sage nicht, dass es so sein muss, aber ich denke, dass eine Lösung darin bestehen könnte, dass die Ukraine Territorium abgibt und im Gegenzug eine NATO-Mitgliedschaft erhält". Aber es müsse der Ukraine überlassen bleiben, wann und zu welchen Bedingungen sie verhandeln wolle.
Jenssens Worte lösten wütende Reaktionen seitens der Ukraine aus. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg musste intervenieren, und schließlich entschuldigte sich Jenssen für seine Äußerung.
Dabei handelte es sich um keine Einzelmeinung. Samuel Charap, leitender Politikwissenschaftler bei der RAND Corporation, hatte sich in der Vergangenheit ähnlich geäußert. In seiner Funktion berät er die US-Regierung in zahlreichen Fragen.
Er sagte laut NYT weiter: In jeder Demokratie müsse eine ernsthafte Debatte darüber geführt werden, wie man eine Verhandlungslösung herbeiführen könne. Er betonte zudem, dass die Interessen Washingtons nicht immer mit denen Kiews übereinstimmen würden. Dafür hagelte es auch für ihn Kritik.
"Es gibt ein breites und zunehmend verbreitetes Gefühl dafür, dass das, was wir jetzt tun, nicht funktioniert, aber keine große Vorstellung davon, was als Nächstes zu tun ist, und keine große Bereitschaft, darüber zu diskutieren, wie man zu einer Lösung kommt", sagte Charap. Der ausbleibende Erfolg der Gegenoffensive habe den politischen Raum für eine offene Diskussion über Alternativen nicht geöffnet.
Charap hat bereits zu spüren bekommen, dass sich der Meinungskorridor in den westlichen Demokratien verengt hat. Im Juli veröffentlichte er einen Artikel in der Zeitschrift Foreign Affairs. Darin rief er Washington und seine Verbündeten auf, einen Plan zu entwickeln, um vom Schlachtfeld an den Verhandlungstisch zu gelangen. Schließlich sei die Gefahr eines langwierigen Krieges gegeben.
Er berief sich dabei auf Forschungen der Universität Uppsala. Demnach endeten 26 Prozent aller zwischenstaatlichen Kriege in weniger als einem Monat. Weitere 25 Prozent fanden innerhalb eines Jahres ihr Ende. Die Studie ergab allerdings auch, dass "zwischenstaatliche Kriege, die länger als ein Jahr dauern, im Durchschnitt über ein Jahrzehnt andauern".
Einen Plan B zu entwickeln, ist nach wie vor nicht einfach. Was früher ein Tabu gewesen, sei jetzt ein großes Tabu, erklärte Charles A. Kupchan, Professor an der Georgetown University, gegenüber der NYT. Man ernte dafür nur einen Sturm der Kritik und Beschimpfungen.
Auf der westlichen Seite der Schützengräben fürchtet man, indem man die Bereitschaft für Verhandlungen zeigt, signalisiere man gegenüber Russland Schwäche. Und die Regierung in Kiew ist nach wie vor nicht bereit, mit dem Kreml in Verhandlungen zu treten.
"Territorium gegen einen NATO-Schirm tauschen? Das ist lächerlich", schrieb Mykhailo Podolyak, ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, auf X, früher Twitter. "Das bedeutet, sich bewusst für die Niederlage der Demokratie zu entscheiden, einen globalen Verbrecher zu ermutigen, das russische Regime zu bewahren, das Völkerrecht zu zerstören und den Krieg an andere Generationen weiterzugeben."
Es gehört zur Propaganda des Krieges, ihn zu einem Kampf um die Demokratie zu stilisieren. Die Demokratien nach westlichem Vorbild werden allerdings in keinem Land verteidigt, das seit Jahrzehnten von Korruption zerfressen wurde.
An dieser Stelle sei an eine Untersuchung der Stiftung Wissenschaft und Politik, die dem Bundeskanzleramt nahesteht, erinnert, die noch vor dem Krieg veröffentlicht wurde. Darin wird die Ukraine als "limitierte Demokratie" beschrieben, in der mächtige Lokalfürsten erheblichen Einfluss haben und auch gegen verfassungsmäßige Institutionen arbeiten. Außerdem gebe es in dem Land eine politische Justiz.
Dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj wurde beschieden, eine autoritäre "Machtvertikale" zu etablieren. Das war vor dem Krieg – inzwischen wurden zahlreiche oppositionelle Parteien verboten und die Gewerkschaftsrechte deutlich eingeschränkt.
Kann ein solches Land für sich ernsthaft in Anspruch nehmen, die Demokratie in Europa zu verteidigen? Wäre nicht Krieg, hätte die Ukraine wahrscheinlich kaum eine Chance, mit Milliardenbeträgen aus Deutschland und dem Westen über Jahre hinweg über Wasser gehalten zu werden. Polen und Ungarn wurden die Beihilfen aus Brüssel schon aus geringeren Gründen verwehrt.
Es wäre an der Zeit, dass die Regierungen in Berlin und anderswo ihren Staatsvölkern erklären, wie sie – realistisch – den Frieden in der Ukraine erreichen wollen.
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