Ungelöste deutsch-polnische Probleme
Besuch des polnischen Premierministers Jaroslaw Kaczynski in Berlin führte nicht zu einer Verbesserung der angeschlagenen deutsch-polnischen Beziehungen
Von großen Erwartungen auf deutscher und polnischer Seite wurde der Besuch des polnischen Premierministers Jaroslaw Kaczynski in Berlin begleitet. Auf beiden Seiten erhoffte man sich eine Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen, die auf politischer Ebene erheblich schlechter sind als auf gesellschaftlicher. Doch die Erwartungen wurden enttäuscht, denn die Gespräche zwischen Merkel und Kaczynski führten zu keinem klaren Ergebnis. Trotzdem stellen beide Seiten den Verlauf der Gespräche als einen Schritt in die richtige Richtung dar. Dies dürfte daran liegen, dass beide Regierungschefs zur Zeit mit starker innenpolitischer Kritik zu kämpfen haben. Vor allem für Jaroslaw Kaczynski wäre ein positives Gesprächsergebnis ein innenpolitischer Erfolg. Dieser blieb jedoch aus und die Opposition wie auch die polnische Bevölkerung sehen den Berlin-Besuch kritisch.
Es ist schon lange her, dass dem Besuch eines polnischen Regierungschefs so viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wie dem von Jaroslaw Kaczynski am Montag. Die Bundeskanzlerin widmete ihre wöchentliche Videobotschaft den deutsch-polnischen Beziehungen, in denen sie ihre Freude über den Besuch kundtat und den Willen „nach einem freundschaftlichen, partnerschaftlichen Verhältnis zu unserem Nachbar im Osten“ betonte. Auch die deutsche Presse richtete ihre Aufmerksamkeit dem Antrittsbesuch des seit Sommer amtierenden polnischen Premierministers. Der ZDF-Sendung "Berlin direkt" gab Kaczynski ein Interview, ebenso wie der Bild-Zeitung, welches am Montag erschien. Und am Dienstag diskutierten bei Phoenix der polnische Botschafter Marek Prawda, die Polen-Beauftragte der Bundesregierung und Präsidentin der Europa-Universität in Frankfurt/Oder Gesine Schwan, die Autorin und Journalistin Helga Hirsch und der Publizist Adam Soboczynski über den momentanen schlechten Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen.
Gründe für die aktuellen Spannungen zwischen Deutschland und Polen gibt es einige. Die Debatte um das geplante "Zentrum gegen Vertreibungen" in Berlin, die Entschädigungsansprüche der "Preußischen Treuhand" für die durch die Vertreibung verlorenen Güter, die nicht erfolgte Zahlung der polnischen Regierung an das deutsch-polnische Jugendwerk, eine unsägliche Affäre um eine in der taz erschienene Satire über Lech Kaczynski, vor allem aber die im Bau befindliche Ostseepipeline zwischen Deutschland und Russland, welche die Versorgung des deutschen Marktes mit russischen Gas sichern soll.
Die meisten der erwähnten Probleme zwischen den beiden Nachbarn sind nicht neu, obwohl sie in Deutschland mit der seit einem Jahr in Warschau amtierenden konservativen Regierung in Verbindung gebracht werden. Schon die Vorgängerregierung äußerte ihren Unmut über die Forderungen der Preußischen Treuhand, das "Zentrum gegen Vertreibungen" und die Ostseepipeline. Aber es war die heute regierende PiS, die diese Themen im Wahlkampf 2005 instrumentalisierte und auch während ihrer Regierungszeit immer wieder populistisch kommentierte. So verglich der polnische Verteidigungsminister die Ostseepipeline mit dem Hitler-Stalin Pakt von 1939, der Hitler erst den Überfall auf Polen ermöglichte.
Wie sich herausstellte, entwickelten sich die populistischen Äußerungen für die polnische Regierung zu einem politischen Bumerang. Eine in Deutschland wenig beachtete Tatsache war der innenpolitische Druck, der auf den polnischen Premier Kaczynski lastete und seinen Besuch in Berlin bestimmte. Durch die Regierungskrise in Polen, ausgelöst durch den Zerfall der Koalition aus PiS, der erzkatholischen LPR und der populistischen Bauernpartei Samoobrona (Per Entengang in die Zukunft Polens) und der plötzlichen Versöhnung der einst zerstrittenen Partner, ist Kaczynski in Misskredit der Polen geraten, deren Mehrheit sich noch Anfang Oktober in Umfragen für Neuwahlen aussprach, die eine klare Niederlage der Kaczynski-Partei zur Folge hätten. Unter diesen Umständen wäre ein erfolgreicher Besuch für Jaroslaw Kaczynski eine willkommene positive Nachricht gewesen, die seine Position gestärkt hätte.
Nimmt man die aktuelle Kritik an Angela Merkel hinzu, der Führungsschwäche vorgeworfen wird, war für beide Gesprächspartner der Berlin-Besuch des polnischen Premierministers von großer innenpolitischer Bedeutung. Als Sieger ging dabei die Bundeskanzlerin hervor, denn die Ergebnisse der Gespräche dürften für Jaroslaw Kaczynski alles andere als zufriedenstellend sein.
Angela Merkel erteilte eine klare Absage an den Wunsch des polnischen Premiers, in einem Vertrag zwischen den beiden Nachbarn, die Entschädigungsansprüche, wie zum Beispiel von der "Preußischen Treuhand", endgültig zu unterbinden. Die Kanzlerin betonte lediglich, dass die Bundesregierung solche Forderungen niemals unterstützen werde. Zum Thema Ostseepipeline stellte Merkel klar: „Kein Mitgliedstaat der EU darf durch ein Projekt eines anderen Mitgliedstaates in Bedrängnis geraten.“ Damit zeigte die Bundeskanzlerin Verständnis für die polnischen Befürchtungen und gab als Ziel eine gemeinsame europäische Energiepolitik an. Diese könnte eine Ableitung der Pipeline nach Polen bedeuten, was Kaczynski jedoch ablehnt. Auf seiner Pressekonferenz meinte Kaczynski, Polen will aus allen Richtungen mit Energie beliefert werden, um nicht allein vom russischen Gasmonopolisten Gazprom abhängig zu sein. Die einzige Einigung bei dem Gespräch zwischen den beiden Regierungschefs, war die Garantie der polnischen Seite, endlich seinen finanziellen Beitrag an das deutsch-polnische Jugendwerk zu leisten.
Die polnische Opposition ist unzufrieden
Zu einer erhofften Besserung in den deutsch-polnischen Beziehung, die auf politischer Ebene den guten gesellschaftlichen hinterherlaufen, ist es also nicht gekommen. Eine große Überraschung ist es nicht, da die Gräben zwischen den beiden Regierungen einfach zu groß waren und sind. Trotzdem sagte Gesine Schwan gegenüber der taz, dass ein „Schritt in die richtige Richtung“ getan wurde. Eine Sicht, die man wohl als Vertreterin der Regierung haben muss.
Auch die Kaczynski-Regierung versucht den Besuch als einen kleinen Erfolg zu verkaufen. Der Ausschussvorsitzende für außenpolitische Angelegenheiten im polnischen Parlament und Parteifreund von Jaroslaw Kaczynski, Pawel Zalewski, bedauerte zwar das Ausbleiben eines klaren Ergebnisses, erkannte jedoch in dem Gespräch zwischen Merkel und Kaczynski den Wunsch nach einem gegenseitigen Verständnis. Und Andrzej Lepper, Landwirtschaftsminister und Vizepremier, der vor einem Monat noch die Warschauer Regierungskoalition verließ, kommentierte den Staatsbesuch mit „der gute Wille ist vorhanden.“
Nüchterner und kritischer sieht die polnische Opposition den Besuch. Sie wäre für die deutsche Seite auch kein leichterer Gesprächspartner gewesen, vielleicht nur ein wenig moderater als die jetzige Regierung um Jaroslaw Kaczynski. Denn die Oppositionsparteien kritisieren ebenfalls den Bau der Ostseepipeline und sehen in ihr die gleichen Gefahren für Polen wie die Regierung. Auch die Bemühungen der "Preußischen Treuhand" und die Debatte um das "Zentrum gegen Vertreibungen" werden von den Oppositionsparteien skeptisch beobachtet. Deshalb bemängelte Jan Rokita, Vertreter der größten Oppositionspartei PO (Bürgerplattform), dass die Gespräche zwischen der Bundeskanzlerin und dem polnischen Premier lediglich einen „allgemeinen Charakter“ hatten, ohne jegliches Ergebnis zu Gunsten Polens. „Ich habe erwartet, dass Jaroslaw Kaczynski mit einer Liste von polnischen Forderungen an Deutschland nach Berlin fährt“, sagte er gegenüber der Gazeta Wyborcza. Und der Europaabgeordnete Marek Siwiec von der sozialdemokratischen SLD entdeckt nach dem Besuch ebenfalls keine Fortschritte in den deutsch-polnischen Beziehungen.
Mit dieser Meinung stehen die polnischen Oppositionsparteien nicht alleine da. In einer Online-Umfrage der Gazeta Wyborcza gaben 52 Prozent der Leser an, nicht an eine Besserung der deutsch-polnischen Beziehungen zu glauben, auch nicht nach dem Besuch von Jaroslaw Kaczynski.