Unter Friedhofsvögeln
Seite 2: Verkehrspolizei und Kettenhunde
"Ich sollte mir besser das Gesicht waschen", sagt der verdreckte Simon, bevor er abgeht. "Es ist viel leichter, höflich zu sein, wenn man sauber ist." Für Bernard ist das das Stichwort, um selbst aufzustehen, weil er ein höflicher Mensch ist. Der Film wird danach an der Fassade aus Verantwortung, Anstand und Sauberkeit kratzen, die Bernard vor seinem Geheimprojekt errichtet hat wie den Stacheldraht um das Forschungszentrum. Jemand habe ihr einmal erzählt, sagt Freya, dass ein Bürokrat, der seinen Job behalten will, alles mit dem Stempel "Streng geheim" versehe. Bernards Heimlichtuerei kann sie nicht leiden.
Bernard antwortet mit einer Warnung: "Freya, wenn ich dir auch nur ein kleines bisschen von dem verraten würde, was du meine Geheimnisse nennst, könnte ich dich damit zum Tode verurteilen." So enden die Gloucester-Szenen, die damit beginnen, dass sich zwei Menschen treffen, die früher ein Paar waren und sich immer noch zugetan sind, mit einer Drohung. Bernard wird nicht zögern, sie wahr zu machen. Die Staatsraison verlangt es. Damit erklärt sich auch, warum Freya, die Göttin der Fruchtbarkeit, Bernard eine Skulptur mitgebracht hat, die sie ihren "Friedhofsvogel" nennt. "In der Skulptur", so Losey, "bringt sie ihre Meinung über die Sterilität der Welt zum Ausdruck, die nicht die ihre ist."
Verkehrspolizei und Kettenhunde (15 Bilder)
Der Anfang des Films ist ein Musterbeispiel für erzählerische Ökonomie. Beim ersten Auftreten der Offiziere sind wir in Minute 7, und Losey hat nicht nur eine latent bedrohliche Atmosphäre etabliert und erste Hinweise darauf gegeben, dass hier etwas nicht so ist, wie es sein sollte. Er hat auch die Hauptfiguren eingeführt und ihre Schicksale miteinander verknüpft: Simon geht in eine von King gestellte Falle, mit Joan als Köder; er wird ausgeraubt und verletzt in das Hotel gebracht; dort lernt er Freya und Bernard kennen. Vier der Hauptfiguren müssen am Ende sterben, damit die fünfte, Bernard, ihr Geheimnis bewahren und weiter die Menschheit retten kann.
Es erschreckt, was angesichts dieser Aufgabe alles zur Disposition gestellt wird. Humanität und Demokratie stehen nicht auf Bernards Prioritätenliste, und beim Sterben überwacht der Hubschrauber das Social Distancing. Die Kaltschnäuzigkeit, mit der von Staats wegen Menschen für verzichtbar erklärt werden, wenn es der politischen Agenda nützt, konnte aus Sicht des BBFC nur eines bedeuten: kommunistische, gegen den Westen gerichtete Propaganda. Mit Kommunismus hat das aber nichts zu tun.
In der ersten halben Stunde könnte man meinen, dass The Damned die britische Antwort auf Blackboard Jungle ist oder da weitermacht, wo Beat Girl aufgehört hatte. Dann scheint der Film abrupt das Genre zu wechseln und sich in einen Verschwörungsthriller bzw. eine Science-Fiction-Story mit eingebauter Endzeit-Vision zu verwandeln. Losey bereitet das aber - im Gegensatz zum Roman - genau vor und präsentiert uns auf subtile Weise eine fiktionale Welt, in der die Gepflogenheiten eines demokratischen Rechtsstaats außer Kraft gesetzt sind.
Zur Demokratie gehört eine funktionierende, dem Rechtsstaat verpflichtete und von ihm kontrollierte Polizei. In The Damned regelt sie nur noch den Verkehr. King und sein Gefolge nehmen beim Einhorn am Sockel des King-George-III-Denkmals Marschformation ein und überqueren die Straße an einer Stelle ohne Fußgängerüberweg. Ein Bobby fordert die Teddy Boys auf, zügig weiterzugehen und die Autos nicht zu behindern. Vor dem Hotel Electra bei der Royal Terrace weist ein zweiter Bobby einer älteren Dame den Weg. Alles ist genau geplant und läuft nach Regieanweisung ab.
Weil das ein so detailverliebter, mit Blick auf die Einzelheiten inszenierter Film ist, hat die Frau einen Hund dabei. Während sie nach rechts aus dem Bild verschwindet wird Simon von Joan in eine Falle gelockt. Die Teds schlagen ihn zusammen, dann bringen ihn Major Holland und Captain Gregory zu Bernard, jenem älteren Herrn, der von sich sagt, er halte sich auch noch einen Colonel in einem Zwinger. Das ist ironisch gemeint und doch sehr real. Die Soldaten sind seine Kettenhunde.
Von dem Moment an, in dem auch Joan und Simon vom Bobby aufgefordert werden, zügig die Straße zu überqueren, übernimmt das Militär, wenn es um Recht und Ordnung geht (oder was in der Welt des Films dafür gilt). Im Hauseingang neben dem des Hotel Electra hat Losey einen Mann im dunklen Mantel platziert, mit Hut und Sonnenbrille. Wie das Klischeebild eines englischen Geheimagenten steht er da, als würde er die Szene überwachen. Vielleicht ist das Mr. Crane (wieder ein Vogel, der Kranich), eine Figur aus der Romanvorlage.
Mr. Crane wird in Children of Light als gefährlich und rücksichtslos beschrieben, als "einer der geschicktesten Agenten des britischen Geheimdiensts und zur Zeit Mr. Bernard unterstellt". Losey, der nicht annähernd so humorlos war wie oft behauptet, mochte solche kleinen Scherze, auch wenn sie sich nur ihm und ein paar Eingeweihten erschlossen. Polizisten, das ist die wichtigere Feststellung, werden wir nicht mehr sehen, weder in der Uniform eines Bobby noch im Straßenanzug eines Inspektors, obwohl es reichlich Gelegenheit gegeben hätte, sie auftreten zu lassen.
Wie wird man einen Drehbuchautor los?
Irgendwann verlor man bei der Hammer das Interesse an The Damned. Als der Film mit zweijähriger Verspätung doch noch in den Verleih kam, lief er in ein paar Londoner Vorstadtkinos in einem Doppelprogramm mit The Maniac. Ein Zeichen der Wertschätzung stellt man sich anders vor. The Maniac ist einer von den Psychothrillern mit zu vielen überraschenden Wendungen, mit denen der Drehbuchautor Jimmy Sangster versuchte, sich an den Erfolg von Clouzots Les Diaboliques und Hitchcocks Psycho anzuhängen. Über weite Strecken macht der Film den Eindruck, als habe Michael Carreras nur die Regie übernommen, um mit seinem Freund Jimmy nach Südfrankreich fahren zu können, wo sie drehten.
Das Resultat begeisterte keinen. Also spannte man The Maniac mit The Damned zusammen, um beide Filme abhaken zu können. Die Columbia, war so frustriert, dass sie sich weigerte, vor dem Kinostart eine Pressevorführung anzusetzen. Vielleicht lag es an den Problemen mit dem BBFC oder daran, dass man nicht wusste, wie man den Film, der nicht so geworden war wie erwartet, vermarkten sollte, vielleicht aber auch am Ärger über Losey, der sich als "schwierig" erwiesen hatte, weil er einiges unternahm, um seine künstlerische Vision durchzusetzen, statt ein marktkonformes Produkt abzuliefern (das Budget überschritt er ebenfalls).
Niemand auf Seiten der Hammer und der Columbia, sagte Losey kurz vor dem Kinostart in einem Interview mit der Zeitschrift Movie, habe The Damned leiden können oder verstanden; und je mehr sie den Film verstanden hätten, umso weniger hätten sie ihn gemocht: "Obwohl ich von Anfang an klar gemacht hatte, was ich mit dem Stoff vorhatte, warum ich das Thema mochte und bereit war, den Film zu drehen, und obwohl es ein Drehbuch gab, das alle lesen konnten, war das Ergebnis eine Überraschung für die meisten, die damit zu tun hatten, weil es nicht in eine der von ihnen akzeptierten Kategorien fiel."
Ganz so einfach war es nicht. Anfang April besuchte Losey Ben Barzman an dessen Wohnort in Südfrankreich, um das Drehbuch zu besprechen. Dann beschloss er, dass es nach vier gemeinsamen Filmen (The Boy With Green Hair, Stranger on the Prowl, Time Without Pity, Blind Date) an der Zeit sei, die Zusammenarbeit zu beenden. Michel Ciment gegenüber erklärt er das damit, dass Barzman aus politischen Gründen nicht frei reisen und deshalb nicht zur Recherche nach Weymouth kommen konnte. Das war zumindest die halbe Wahrheit (es gab auch persönliche Differenzen mit dem aufbrausenden und sehr selbstbewussten Autor).
Wie wird man einen Drehbuchautor los? (9 Bilder)
Barzman war wie Losey nach Europa übersiedelt, nachdem Edward Dmytryk, einer von den Hollywood Ten, seinen Namen genannt hatte, um aus dem Gefängnis freizukommen und wieder arbeiten zu dürfen. In Europa mussten die Opfer der schwarzen Liste mit Schikanen der amerikanischen Konsulate rechnen, wenn die Verlängerung ihres Reisepasses anstand. Barzman war als gebürtiger Kanadier noch angreifbarer. Ihm wurde die Staatsbürgerschaft der USA entzogen. Vorgänge wie dieser bestärkten Losey in seiner Überzeugung, dass die Demokratie ein sorgsam zu hütendes Gut ist und hatten somit Einfluss auf The Damned, auch wenn Barzman grollend in Nizza saß, nachdem sie sich zerstritten hatten.
Wieder zurück in England, überraschte Losey Michael Carreras mit der Mitteilung, dass Barzmans Skript für ihn nicht akzeptabel sei - zwei Wochen vor Drehbeginn und ein paar Tage, bevor Tony Hinds vom BBFC eine lange Liste mit Einwänden gegen dieses Manuskript erhielt. Das war gewagt, aber nicht ungeschickt. Die Hammer hatte die Wahl, Losey im letzten Moment durch einen anderen Regisseur zu ersetzen wie bei X the Unknown oder ihn gewähren, ihn sein eigenes Ding machen zu lassen.
Der konfliktscheue Tony Hinds duckte sich weg wie immer, wenn es brenzlig wurde. Michael Carreras ließ Losey seinen Willen. Als neuen Autor schlug Losey Evan Jones vor, dessen Fernsehspiel In a Backward Country (über die Landreform in Jamaika) ihn sehr beeindruckt hatte. Jones musste nicht bei Null beginnen, weil es bereits einen Roman und die Vorarbeiten von Hinds und Barzman gab, doch die Zeit war knapp. Dem Film merkt man gelegentlich an, dass bis zum letzten Drehtag am Skript geschrieben wurde. Nicht alles passt so nahtlos zusammen, wie es Loseys Anspruch war, das meiste aber doch erstaunlich gut.
Zensur und 12er-Gremium
Später behauptete Losey, vom Roman nur die Jugendgang übernommen zu haben. Von vielen Interpreten wird das brav nachgebetet, weil das Buch praktisch nicht mehr erhältlich ist - es sei denn, man begnügt sich mit der antiquarisch noch auffindbaren deutschen Übersetzung, Kinder des Lichts. Englischsprachige Kritiker können selten deutsch. Also sind sie zu einem peinlichen Herumgeeiere gezwungen, wenn sie über einen Inhalt sprechen, den sie schlicht nicht kennen. Die löbliche Ausnahme ist der mit einem robusten Berufsethos gesegnete Tim Lucas, der (fast) keine Kosten gescheut hat, um eines Exemplars von The Children of Light habhaft zu werden.
Mit Ausnahme des Ehedramas mit der toten Gattin sind die wesentlichen Plotelemente im Film noch vorhanden; sie sind nur umgeformt und mit mehr Tiefgang versehen als bei Lawrence. Ein Vergleich ist sehr instruktiv, weil sich daran ablesen lässt, welche Richtung Losey der Geschichte gab und worauf es ihm besonders ankam. Im Roman will der Reporter Johnny Parks das Komplott der Regierung aufdecken und wird im Auftrag von Mr. Bernard ermordet. Der Film ersetzt den Journalismus durch die Kunst und Parks durch die Bildhauerin Freya Nilsson, an deren Skulpturen sich auch das stilistische Konzept orientiert.
Barzmans Drehbuch begann wie der Roman. Simon überrascht seine Frau Sally im Bett mit ihrem Geliebten. Sally will ihn mit einer Schere erstechen, es gibt ein Handgemenge, Sally selbst stirbt durch die Schere. Audrey Field, die Gutachterin des BBFC, warnte Hinds, dass Sally nicht nackt sein durfte, wenn sie mit ihrem Lover schlief (schon die bloße Erwähnung von Nacktheit im Dialog verbat sie sich) und regte an, sie mit einem anderen Gegenstand zu töten, weil die Schere "eklig" sei. Blut auf der Tatwaffe war genauso verboten wie Einstellungen, in denen man hätte sehen können, wie die Waffe aus der Wunde gezogen wird.
Losey und Jones strichen die Kriminalhandlung. Damit waren sie den Ärger wegen der Totschlagsszene los, und sie befreiten sich von einem dramaturgischen Problem. Ohne Frauenmörder keine Fahndung. So konnten sie einen Staat zeigen, in dem die Polizei nur noch für Verkehrsverstöße zuständig ist, ohne gleich mit der Tür ins Haus fallen zu müssen. Als Zuschauer beschleicht einen ganz langsam das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt. So ist das gewünscht. Mag sein, dass es für manch einen Betrachter zu subtil ist.
Im Roman gibt es ein vom Premierminister geleitetes 12er-Gremium, das in geheimen Sitzungen die Lage bespricht und Entscheidungen trifft. Das ist am Parlament und am Kabinett vorbei und nicht sehr demokratisch, aber immer noch besser als im Film. Da entscheidet Bernard ganz allein. Frank Crofts, der Chef-Zensor des BBFC, hatte den Finger in die Wunde gelegt. Wer, will er in seinem Gutachten wissen, hat Bernard und seinen Handlangern die Macht über Leben und Tod gegeben? Weil da niemand war, sah Crofts kommunistische Propaganda am Werk.
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