Unterhosen und unwiderstehliche Impulse

Otto Preminger und die Herrschaft des Gesetzes, Teil 2

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Im ersten Teil haben wir mit Laura Manions Unterhose aufgehört. Wie kommt man von den Panties zurück zum McCarthyismus und zur schwarzen Liste Hollywoods? Die Verbindung ist die Heimlichtuerei, die Preminger ein Graus war und gegen die er anging wo er konnte, weil intransparente Verfahren seiner Überzeugung nach die Demokratie untergruben. Wenn seine Filme gegen Gesetze verstießen, war das eine Sache für die Polizei und für ordentliche Gerichte, nicht für ein dubioses, hinter den Kulissen agierendes, übermäßig von der katholischen Kirche beeinflusstes Gremium aus Scheinheiligen, Pharisäern und Moralaposteln. Und wenn ein Produzent Leute von einer (offiziell nicht existierenden) schwarzen Liste beschäftigte, sollte er es zugeben, statt ihre Namen zu unterdrücken.

Teil 1: Anatomie einer Jungfrau

Breaking the Blacklist

Als Preminger Anatomy of a Murder drehte liefen bereits die Vorbereitungen zu seinem nächsten Film: Exodus nach dem Roman von Leon Uris. Das Drehbuch sollte Albert Maltz schreiben, einer von den Hollywood Ten, die zu Haftstrafen verurteilt worden waren, weil sie 1948 vor dem Kongressausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten unter Berufung auf ihre durch die Verfassung garantierten Rechte die Aussage verweigert hatten. Chris Fujiwara zitiert in seinem Preminger-Buch aus einem Brief von Maltz an Dalton Trumbo, auch einen von den Zehn (neun von ihnen verfassten Drehbücher). Darin sagt er, dass ihn der Produzent des Films (Exodus), an dem er gerade arbeite, unbedingt als Autor nennen wolle. Dazu kam es nicht, weil Preminger mit dem von Maltz geschriebenen Buch extrem unzufrieden war und schließlich Trumbo engagierte, was Otto in seiner Eigenschaft als Produzent im Januar 1960 auch einem Journalisten der New York Times erzählte - verbunden mit der Ankündigung, dass Trumbos Name im Vorspann auf der Leinwand zu sehen sein werde. Diese Nachricht war der Times einen Platz auf der Titelseite wert (20.1.) und sorgte für beträchtlichen Wirbel.

Zu dieser Zeit gab es ein Gezerre zwischen der Universal und Kirk Douglas, dem Star und Produzenten von Spartacus, für den Trumbo ebenfalls das Drehbuch geschrieben hatte. Douglas wollte den richtigen Namen des Autors nennen, die Universal war dagegen, Douglas setzte sich am Ende durch. Spartacus darf für sich in Anspruch nehmen, der erste amerikanische Film zu sein, in dessen Vorspann der Name eines Drehbuchautors von der schwarzen Liste auftaucht, weil er zwei Monate vor Exodus ins Kino kam. Ob Douglas sich auch ohne den Rückenwind durch Premingers Times-Interview gegen die Chefetage der Universal durchgesetzt hätte bleibt eine offene Frage. Fest steht, dass Douglas mit seinem Vorhaben erst im September 1960 an die Öffentlichkeit ging (im Oktober war Premiere) - ein Dreivierteljahr nach Preminger, der den Minenhund machte. Als er nicht zerrissen wurde, folgten andere nach.

1991 verlieh die Writers Guild Kirk Douglas ihren Robert Meltzer Award und tat so, als habe er fast im Alleingang mit der schwarzen Liste Schluss gemacht. Trumbos Witwe Cleo war empört und forderte in einem Brief an die Guild, die Ehrung dem inzwischen verstorbenen Preminger zuzuerkennen, weil seine Verdienste viel größer seien. Sie erhielt nie eine Antwort. Die Familie Trumbo boykottierte daraufhin die Feier, bei der Douglas seinen Preis erhielt. Der Geehrte war deshalb eingeschnappt und weigerte sich, mit Cleo zu sprechen, wenn sie sich auf Partys trafen (in der Version der Witwe). Daraus kann man eine Verschwörungstheorie spinnen, oder man bleibt realistisch: Solche Preise werden meistens vergeben, um Werbung für den edlen Spender zu machen. Mit einem Publikumsliebling geht das viel besser als mit einem widerborstigen Regisseur, der aller Voraussicht nach nicht zur Verleihung kommen wird, weil er schon tot ist. 2012 veröffentlichte Kirk Douglas sein Buch I Am Spartacus!, dem er (oder der Verlag?) den Untertitel Making a Film, Breaking the Blacklist gab. Falsche Bescheidenheit ist des Autors Sache nicht. Prompt warf ihm Mitzi Trumbo ein Übermaß an Selbstbeweihräucherung vor, gepaart mit einem Zuviel an dichterischer Freiheit. Mitzi scheint den Kampf ihrer Mutter Cleo um die historische Wahrheit fortzuführen. Solche Auseinandersetzungen rund um die Blacklist, zwischen Opfern, Tätern und anderen Beteiligten oder deren Angehörigen, gibt es öfter. Sie zeugen von einer unbewältigt bleibenden Vergangenheit und Wunden, die nicht verheilt sind.

Gerecht ist das Leben eher nicht, und in der am Umsatz orientierten Unterhaltungsindustrie sowieso nicht. Kirk Douglas durfte sich später Preise abholen. Preminger wurde zu seinen Lebzeiten vorgehalten, was man ihm immer vorhielt, wenn er Zivilcourage zeigte, während die Kollegen noch in der Deckung blieben: er habe Dalton Trumbo nur engagiert und dies an die große Glocke gehängt, um die Werbetrommel für sich und seinen Film zu rühren. Das habe keinen Mut erfordert, weil ohnehin klar gewesen sei, dass die Zeit der schwarzen Liste vorbei war. Mutig aber war es sehr wohl. Jemand musste den Anfang machen. Erst danach ließ sich sagen, was das für Folgen haben würde. Trumbo war Preminger dankbar und überzeugt davon, dass er ihn nicht aus Reklamegründen als Drehbuchautor genannt hatte, sondern aus Prinzip und weil er ein Gegner der schwarzen Liste war.

Preminger selbst sagte gegenüber der New York Times, dass seine Entscheidung praktisch und nicht politisch motiviert sei. Seine Aufgabe als Regisseur und Produzent sei es, Filme nach den bestmöglichen Drehbüchern zu machen: "Ich bin keine Autorität was die schwarze Liste betrifft. Angenommen, dass so etwas existiert, werde ich mich nicht daran beteiligen. Meiner Meinung nach ist das gesetzwidrig und unmoralisch." Das Branchenblatt Variety (20.1.) zitierte ihn mit den Worten: "Ich werde mich nicht an der schwarzen Liste beteiligen, weil sie unmoralisch ist und nicht im Einklang mit einem rechtsstaatlichen Verfahren, so wie die Lynchjustiz. Es ist nicht meine Aufgabe, mich nach den politischen Überzeugungen der Personen zu erkundigen, die ich unter Vertrag nehme." "Ich glaube auch", sagte er am 26. Januar in einem Fernsehinterview, "dass man niemanden für das bestrafen kann, was er denkt. Man bestraft ihn für das, was er tut."

Was Preminger wohl für einen Film gedreht hätte in einer Zeit, in der die Unschuldsvermutung nicht viel gilt, wenn es um Vorwürfe wie Terrorismus und Kinderpornographie geht? Jedenfalls einen, der Mut erfordert. Vielleicht eine Geschichte darüber, welche den Opfern mehr schadenden als nützenden Relativierungen dabei herauskommen, wenn sich eine Gesellschaft Tugendpolizisten leistet, die alles, was ihren Vorstellungen von Sitte und Anstand widerspricht, in einen Topf werden. (Der Begriff "Kinderpornographie" ist ein unrühmliches Beispiel dafür. Der erzwungene Sex mit Abhängigen ist etwas völlig anderes als einvernehmlicher Sex unter Erwachsenen vor einer Kamera, keine Pornographie mit einem Kind davor.)

Die Preminger-Interviews zu Dalton Trumbo forderten den Widerspruch des rechten Lagers heraus, von der mächtigen Veteranenorganisation American Legion bis zur New York Daily News (5.2.1960), deren Leitartikler schrieb: "Wir sind froh zu erfahren, dass die großen Studios beabsichtigen, die schwarze Liste beizubehalten, statt Premingers Beispiel zu folgen. Die schwarze Liste Hollywoods atmet nicht den Geist der Lynchjustiz. Der Gedanke dahinter ist vielmehr, denen die Unterstützung zu verweigern, deren Hauptanliegen es ist, die Freiheit zu lynchen. Kein Gesetz zwingt Herrn Preminger, sich an die schwarze Liste zu halten. Aber genauso wenig zwingt ein Gesetz patriotische Amerikaner, in den Preminger-Trumbo-Film zu gehen." Damals konnte niemand mit Sicherheit sagen, wie das für Preminger enden würde. Das wusste man erst hinterher. Die Protestmärsche der American Legion verloren merklich an Impetus, als die erhoffte Resonanz ausblieb und sich die Legionäre bei ihren Umzügen an der Seite von Mitgliedern der American Nazi Party wiederfanden. Die American Legion arbeitete übrigens gleich nach ihrer Gründung im Jahre 1919 J. Edgar Hoover zu, der die Freiheit durch Datensammeln und Anlegen von Geheimdossiers schützen (sowie nebenbei die Arbeiterbewegung zerschlagen und seine eigene Macht festigen) wollte. In den USA hat so etwas eine unheimliche Tradition.

Planlose und ungeordnete Seele des Menschen

Was, mag sich der Leser inzwischen denken, hat das mit Anatomy of a Murder zu tun, oder gar mit Obamas Drohnenkrieg (was Richter Lynch wohl dazu gesagt hätte?) gegen den Terror? Ganz einfach. Preminger präsentiert nicht die Anatomie eines Mordes, sondern die eines Mordprozesses. Indem er der Frage nachgeht, unter welchen Umständen ein Angeklagter zu verurteilen und zu bestrafen oder auf freien Fuß zu setzen ist, feiert er den Rechtsstaat - nicht in Form von Sonntagsreden, sondern indem er ihn in Aktion zeigt. Der Rechtsstaat, sagt Preminger mit seinem Film, ist keineswegs perfekt. Aber auch, wenn vieles daran zu wünschen übrig lässt: Für eine demokratische Gesellschaft ist das rechtsstaatliche Verfahren unverzichtbar. Das steht letztlich hinter all seinen Auseinandersetzungen mit Zensoren, Studiobossen und Jägern des "Unamerikanischen": Wenn Filme oder Personen aus dem Verkehr gezogen werden müssen, um dieses oder jenes zu schützen, dann bitte nach Abschluss eines geregelten Verfahrens mit öffentlicher Verhandlung.

Anatomy of a Murder

Eine der schönsten Szenen in Anatomy of a Murder ist diese hier: Biegler wartet mit seinem Team auf den Spruch der Geschworenen, die sich zur Beratung zurückgezogen haben. Maida hat Kaffee gemacht und hofft auf einen Freispruch, weil dann vielleicht Geld eingeht, mit dem sie sich eine neue Schreibmaschine kaufen kann. Bei der alten schlagen das p und das f nicht mehr richtig an, weshalb aus einer der typischen Anwaltsphrasen, "party of the first part", oft ein "arty of the irst art" wird, was in dieser Kanzlei im Grunde gar nicht anders sein kann. Polly sitzt am Klavier, einen Zigarillo im Mund, und spielt ein paar Takte Jazz. "Arty of the irst art", meint er, das hat einen guten Klang, von dem er sich nun inspirieren lässt. Sein Anwaltsfreund sinniert vor sich hin, als improvisiere er in freien Rhythmen einen Text zu Pollys (Ellingtons) Musik: 12 Leute gehen in ein Zimmer. 12 verschiedene Köpfe, 12 verschiedene Herzen, 12 verschiedene Leben. 12 Augen- und Ohrenpaare, 12 Körper. Und diese 12 Leute sollen das Urteil über einen Mitmenschen sprechen, der so verschieden von ihnen ist wie sie von einander. Und bei ihrem Urteil müssen sie zu einem Kopf und Verstand werden. Mit einer Stimme.

Anatomy of a Murder

Es sei "eines der Wunder der planlosen und ungeordneten Seele des Menschen", sagt der Anwalt, dass sie das können. Und in den meisten Fällen machen sie es recht gut. "Gott segne die Geschworenen." Gott segne die Transparenz, könnte man auch sagen. Aus Premingers Film spricht ein Urvertrauen in die Öffentlichkeit, der er bei The Moon is Blue den Fall der ehrlich und direkt über ihre Sexualität sprechenden Jungfrau und im Vorfeld von Exodus den Fall des Dalton Trumbo vorlegte. Die Zeit der schwarzen Liste endete nicht durch tiefere Einsicht der hinter den Kulissen kungelnden Funktionsträger, sondern weil sie unhaltbar wurde, nachdem Preminger in der New York Times und in anderen Medien auf rechtsstaatliche Verfahren gepocht, Gesinnungsschnüffelei abgelehnt sowie auf ein im Verborgenen operierendes Femegericht hingewiesen hatte, das zwar keine Todesurteile aussprach, wohl aber - ohne eine demokratische oder juristische Legitimation - die Existenz bedrohende Berufsverbote. Darum durfte er sich auch Debattenbeiträge wie den Leitartikel in der Daily News als Erfolg anrechnen. Indem der Verfasser die schwarze Liste verteidigte, erkannte er die Existenz von etwas an, das es offiziell nicht gab (allein in der oben zitierten Passage wird sie dreimal genannt). Das war der Anfang vom Ende dieses düsteren Kapitels, auch wenn die schwarze Liste nicht über Nacht verschwand (wie lange sich Betroffene noch demütigenden Ritualen unterwerfen mussten, um von der Liste gestrichen zu werden, weiß man bis heute nicht genau).

Wahrscheinlich traute Preminger seinen Augen nicht, als er bei der ersten Lektüre von Voelkers Roman den Namen von Bieglers Freund las. Der Mann heißt Parnell Emmett Joseph McCarthy. Mit der Hatz auf (echte oder vermeintliche) Kommunisten hat das Buch höchstens sehr indirekt zu tun, und Voelker interessierte sich mehr für das Forellenangeln als für Hollywood. Vermutlich war es als Scherz für Insider gemeint, dass der Anwalt so heißt wie jener Senator aus Wisconsin, der einer unseligen Periode in der US-Geschichte den Namen gab. Die Marquette University in Milwaukee, an der Joseph McCarthy Jura studiert hatte, bevor er als Kommunistenjäger und Held der Paranoiker Politkarriere machte, ist nach demselben französischen Jesuiten benannt wie Marquette County, wo Voelker sein Amt als Staatsanwalt verloren hatte, als er den im fiktiven Iron Cliffs County angesiedelten Roman schrieb.

Die beiden anderen Vornamen dürften Zufall gewesen sein. Das ändert nichts daran, dass es einen Emmet Lavery gab (mit einem t), der, obwohl ein Kommunistenhasser, 1946 vom Hollywood Reporter als einer der "roten Kommissare" der Filmindustrie identifiziert wurde und 1947 in seiner Eigenschaft als Präsident der Screen Writers Guild vor dem Kongressausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten aussagte, was ihm von vielen als Kollaboration angekreidet wurde, auch wenn er den unterstellten Einfluss Moskaus auf Hollywood bestritt und Leute wie Dalton Trumbo in Schutz nahm. Preminger kannte Lavery gut, weil er der Autor des Drehbuchs zu seinem Film The Court-Martial of Billy Mitchell (1955) war. Der Vorsitzende, dem Lavery 1947 Rede und Antwort stand, hieß J. Parnell Thomas, war Börsenmakler und Abgeordneter der Republikaner im Repräsentantenhaus. Parnell Thomas war maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich der 1938 eingerichtete Ausschuss der kommunistischen Unterwanderung Hollywoods widmete - als Reaktion auf die dort ausgetragenen Arbeitskämpfe zwischen den Gewerkschaften und der Produzentenvereinigung. Nach einem Korruptionsskandal zu 18 Monaten verurteilt, fand er sich im selben Gefängnis wieder, in dem die Drehbuchautoren Lester Cole und Ring Lardner Jr. ihre Haftstrafen absaßen, zwei der von ihm einst vorgeladenen Hollywood Ten.

Amerikaner mit Bindestrich

Im Roman eines Juristen aus Michigan fiel ein Name wie Parnell Emmett Joseph McCarthy vielleicht nicht weiter auf. Im Kino war das anders. Da lädt er sich mit einer Bedeutung auf, die Voelker vermutlich nie so intendiert hatte (wobei: ganz sicher bin ich mir da nicht). Um nicht zu demonstrativ zu werden ließ Preminger wenigstens den Joseph weg. Arthur O’Connell als Parnell Emmett McCarthy ist James Stewart ein kongenialer Partner in diesem Film, in dem es so sehr auf Rhythmus, Timing und das Zusammenspiel der Akteure ankommt. Mit O’Connells Hilfe (und der für ihn als Regisseur typischen Hinterlist) macht Preminger aus der Figur den Repräsentanten der Utopie. Der von FBI-Chef Hoover mit Lügen und Halbwahrheiten gefütterte Joseph McCarthy, ein gelernter Anwalt, blies zur Jagd auf die auf dubiosen Listen stehenden Staatsfeinde und starb 1957 an den Folgen seines Alkoholkonsums. Parnell McCarthy, eine Art positive Wiedergeburt des mit Rufmord arbeitenden Demagogen aus Wisconsin, hört mit dem Trinken auf, als er die Chance erhält, auf Seiten der Verteidigung in einem großen Mordprozess mitzuwirken und dem Rechtsstaat zum Sieg zu verhelfen. Thematisiert wird das mit dem für Preminger typischen Understatement und - auch typisch - einem Verstoß gegen die guten Sitten. Statt hochmoralischem Gerede über die Läuterung eines Alkoholikers hört man einen Rülpser Parnells, der seinen Durst jetzt mit Erdbeerlimonade löscht.

Bei Voelker gibt es einen Exkurs darüber, dass McCarthy ein irischer Name ist und Iron Cliffs County ein Bezirk mit einem bunten Völkergemisch. Der Hinweis auf die Herkunft eines Menschen und seiner Vorfahren sei dort nie beleidigend gemeint, die Bürger seien vielmehr stolz darauf, "hyphenated Americans" zu sein, also Amerikaner mit einem Bindestrich wie in irisch-amerikanisch, italo-amerikanisch oder afro-amerikanisch (den McCarthyisten waren hyphenated Americans automatisch verdächtig, die Agenten einer fremden Macht zu sein). Der aus Wien zugezogene und als Deutsch-Amerikaner wahrgenommene Otto Preminger war ein zu subtiler Filmemacher, um Voelkers Text im Dialog zu wiederholen. Bei ihm geht das so:

Paul Biegler, der Anwalt mit dem deutschen Namen, spielt am Anfang des Films die Musik der Afroamerikaner, raucht italienische Zigarren und trinkt Südstaaten-Bourbon mit seinem irischen Freund McCarthy, dem vorher, in der Kneipe, von einem Bartender namens Toivo eingeschenkt wurde. Toivos Kollege in der Bar von Barney Quill heißt Alphonse Paquette (auf der Upper Peninsula gibt es viele Nachkommen finnischer, irischer und französischer bzw. frankokanadischer Einwanderer). Um nicht zu eurozentrisch zu werden hängt neben Bieglers Kühlschrank das Bild einer Geisha. Zusammengehalten und geschützt wird diese multikulturelle Gesellschaft nicht durch das Erstellen von Feindeslisten, Gesinnungsschnüffelei und Geheimorganisationen, sondern durch die Regeln des Rechtsstaats. Deshalb sind Bieglers Regale vollgestopft mit juristischen Büchern, in denen Legenden der amerikanischen Rechtssprechung wie Oliver Wendell Holmes ihre Ansichten zu den Gesetzen und zur Verfassung darlegen. Die Bücher dienen als Erinnerung daran, dass viele Vorfahren der heutigen Amerikaner aus wirtschaftlichen Gründen in die USA auswanderten, aber auch, weil sie in einer freien demokratischen Gesellschaft mit Rechtsschutz für ihre Bürger leben wollten.

Anatomy of a Murder

Einmal, am Sonntag, sehen wir dem Vorsitzenden Richter im Prozess, Judge Weaver, dabei zu, wie er nach dem Besuch der Heiligen Messe ins Justizgebäude geht, begleitet von der leicht sakral anmutenden Musik Duke Ellingtons. Weaver hört Geräusche in der Bibliothek, öffnet vorsichtig die Tür und beobachtet mit wohlgefälligem Lächeln die beiden Verteidiger, die in alten, schön gebundenen Büchern nach Präzedenzfällen suchen wie andere im Wald nach Trüffeln. Preminger gelingt es gut, einem die Leidenschaft für die Rechtssprechung nahezubringen, die Biegler, McCarthy und auch den Richter erfüllt. Anatomy of a Murder ist ein Film für Connaisseure der Jurisprudenz. Laien wie mich muss das überhaupt nicht abschrecken. Trotz der Darlegung juristischer Finessen braucht man kein Vorwissen. Preminger lässt die Anwälte nicht ausführlich debattieren, um den Zuschauer ohne juristische Vorbildung einzuschüchtern, sondern um das ordentliche Gerichtsverfahren, auf das sich die Gesellschaft geeinigt hat, als den Pfeiler der Demokratie zu zelebrieren.

Anatomy of a Murder

So etwas könnte man in Leitartikelform abhandeln, im Stil der Predigt und im langen Heldenmonolog. Im Gerichtsfilm sehr beliebt sind die Schlussplädoyers von Anklage und Verteidigung, weil sie sich so gut für den hohen Ton der Moral eignen, den einer wie Obama sehr gekonnt über die Rampe bringt, wenn er vom Teleprompter abliest. Preminger lässt die Plädoyers einfach weg. Er zeigt, wie das System funktioniert, um zu einem für ihn selbstverständlichen Ergebnis zu kommen: das rechtsstaatliche Verfahren ist in einer Demokratie unverzichtbar - unabhängig davon, wer gerade der Feind ist, den man bekämpft. Wer das verstanden hat und sich daran hält, braucht keine Sonntagsreden mehr. Da Preminger die Prinzipien des Rechtsstaats als solche respektiert, statt an ihnen herumzuschrauben, wenn sie lästig sind, muss er keine Girlanden aus der Requisite holen, um sie auszuschmücken. Wenn man etwas grundsätzlich akzeptiert, weil es keine Alternative gibt, kann man auch die Schwächen des Systems zeigen. Obwohl der Gerichtssaal in Anatomy of a Murder ein beinahe sakraler Raum ist (was nicht heißt, dass sich die handelnden Personen dort betragen würden wie in der Kirche): Verklärung und Überhöhung sind Premingers Sache nicht.

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