Unterhosen und unwiderstehliche Impulse

Seite 2: Der amerikanische Traum

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Was in der Populärkultur aus Eisenhowers Ideal von der Herrschaft des Gesetzes wurde, ist in der TV-Serie Perry Mason zu besichtigen, die 1957 auf Sendung ging und bis heute das Vorbild für die Anwaltsserien abgibt, mit denen das ZDF sein Seniorenpublikum in den Schlaf wiegt. Das Handlungsmuster ist immer dasselbe. Raymond Burr spielt den Anwalt, der die Verteidigung eines unschuldigen Mandanten übernimmt, um mit Hilfe einer patenten Sekretärin und eines Privatdetektivs den wahren Täter zu ermitteln und diesen im Gerichtssaal zu präsentieren, vorzugsweise verknüpft mit einer Rückblende, damit der Zuschauer sehen kann, wie es wirklich gewesen ist. Das ist wunderbar beruhigend, weil man sich keinen unangenehmen Überlegungen stellen muss. Beunruhigend allerdings ist die Prämisse dieser endlos durchexerzierten Formel. Der Angeklagte erhält die bestmögliche Verteidigung. Die (unausgesprochene) Vorraussetzung dafür ist, dass er den Mord nicht begangen hat. Wer verteidigt eigentlich die Täter? Perry Mason ist es nicht.

Anatomy of a Murder

Preminger macht es sich nicht so leicht. Die Suche nach dem Täter erübrigt sich, weil Manion Barney Quill vor Zeugen erschossen hat und dies auch nicht bestreitet. Wer von Anatomy of a Murder etwas in der Art von Perry Mason erwartet wird enttäuscht. Das ist schon daran erkennbar, dass mit Parnell McCarthy ein zweiter Anwalt an die Stelle des Detektivs tritt (Parnell landet prompt im Graben, als er für detektivische Ermittlungen nach Kanada fährt), und auch am von Saul Bass gestalteten Vorspann. Bass, mit dem Preminger seit The Moon is Blue zusammenarbeitete, erinnerte sich vielleicht an früher, als Raymond Burr noch der Bösewicht vom Dienst war und bei Hitchcock, als Hofnachbar von Jimmy Stewart, seine Gattin zersägte (Rear Window). Der Vorspann konzentriert sich auf den abstrahierten Körper eines Toten und auf die Summe seiner Teile, die nie ein Ganzes ergeben werden oder vielleicht auch mehr als das. Bass ordnet Kopf, Rumpf und Gliedmaßen mal so und mal anders an, am Ende des Vorspanns erscheint der Name von Otto Preminger vor schwarzem Hintergrund, dann fährt Biegler in seinem Pontiac durch die Nacht. Wer nach dieser Einführung mit einem Film rechnet, der Licht ins Dunkel bringt, ist selber schuld.

Anatomy of a Murder

Die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit, schwören die Zeugen im Prozess, und doch kennen sie nur einen kleinen Ausschnitt von der Wirklichkeit, gefiltert durch ihr jeweiliges Bewusstsein. So wie Bass die Leiche, seziert Preminger den Prozess und die Gesellschaft, in der er stattfindet. Und so, wie man den erschossenen Barney Quill nicht mehr lebendig machen kann, wird es auch nicht gelingen, den "Körper" der Wahrheit so zusammenzufügen, dass mehr daraus wird als eine ungefähre Vorstellung von dem, was gewesen ist. Es wird keine "objektive" Rückblende mit der Tat geben, wir werden nie mit Sicherheit erfahren, ob Quill Laura Manion tatsächlich vergewaltigt hat und was im Kopf von Lauras Mann vorging, als er Quill tötete. Dramaturgisch ist das schon im Roman von Voelker sehr geschickt, Preminger und sein Drehbuchautor Mayes haben es noch zugespitzt. Wenn man den Täter kennt und "die Wahrheit und die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit" schlicht nicht zu ermitteln ist (falls es sie gibt), dann steht automatisch das gegen Manion angestrengte Verfahren im Mittelpunkt des Interesses. Erhält Lieutenant Manion einen fairen, die gesellschaftlich festgelegten Regeln befolgenden Prozess und die bestmögliche Verteidigung, und zwar unabhängig davon, ob er ein Mörder ist oder nicht? Gilt der Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten?

Das klassische Hollywoodkino ist von der Zahl 3 dominiert. Filme sind meistens in drei Akten organisiert. Drehbuchautoren und Regisseure sind dazu angehalten, für wichtig erachtete Informationen dreimal zu vergeben, damit auch die Begriffsstutzigen im Publikum mitbekommen, was sie mitbekommen sollen. Oft wirkungsvoller als die Dialoge, weil unbewusst wahrgenommen, sind die Raumaufteilung und die Montage. Ob eine Schuss-Gegenschuss-Konstruktion (1 und 2) zu einer Zweiereinstellung (3) führt oder nicht, sagt viel über die Figuren und deren Beziehung zueinander aus. Preminger widmet dem Verhältnis Biegler-Manion drei Szenen. Die erste Begegnung, im Büro des Sheriffs, findet in Form einer Konfrontation statt. Ben Gazzara als Frederick "Manny" Manion ist der angry young man der 1950er: arrogant, aufsässig, mit dem etwas exaltierten Schauspielstil des Actors’ Studio (die Zigarettenspitze in seiner Hand akzentuiert und ironisiert den Manierismus seiner Gesten). Stewart als der Vertreter der älteren Generation raucht - gar nicht glamourös - sein "italienisches Stinkkraut", kommt mit einem Minimum an Bewegung aus, artikuliert sich durch Bedächtigkeit und perfekt gesetzte Pausen.

Anatomy of a Murder

Stewart (Biegler) sitzt vor einem vergitterten Fenster, weil er der Mann ist, der Gazzara (Manion) den Weg in die Freiheit weisen kann, oder auch nicht. Im Gegenschuss sehen wir Manion vor einer fensterlosen Wand, an der die Steckbriefe der zehn meistgesuchten Verbrecher hängen. "Die großen Zehn", sagt Manion sarkastisch. "Es gibt die zehn am besten angezogenen Frauen, die zehn besten Mannschaften, die zehn besten Schlagermelodien, und jetzt die zehn Meistgesuchten." Und die zehn unamerikanischsten Amerikaner, könnte man ergänzen, obwohl sich 1959 nur noch wenige an die Hollywood Ten erinnert haben dürften (was Preminger im Januar 1960 nachhaltig ändern würde). "Das ist doch was", antwortet Biegler, der mindestens so sarkastisch sein kann wie Manion. "Das ist der amerikanische Traum. Diese Jungs haben es geschafft." Manion findet das nicht lustig. Quill, meint er, habe seine Frau vergewaltigt, darum sei das "ungeschriebene Gesetz" auf seiner Seite.

"Das ungeschriebene Gesetz ist ein Mythos, Lieutenant", gibt der bis dahin etwas spöttische und nun sehr ernst werdende Biegler zurück. "So etwas wie das ungeschriebene Gesetz gibt es nicht, und jeder, der einen Mord begeht, weil er der Theorie anhängt, dass es doch existiert, hat sich damit die Unterbringung im Staatsgefängnis gekauft." Der Dialog hat zwei Stoßrichtungen. Bei der Urteilsfindung darf nur das geschriebene Gesetz gelten, nicht das Gesetz der Straße und das gesunde Volksempfinden, darum sehen wir immer wieder Bücher mit den Gesetzestexten und den zugehörigen Kommentaren der Rechtsgelehrten (im Kalten Krieg galt das geschriebene Gesetz plötzlich nicht mehr: die Hollywood Ten wurden im Gefängnis untergebracht, weil der Supreme Court die eigenen Entscheidungen ignorierte). Adressiert ist das an uns, das Publikum. Außerdem versucht Biegler, die gelangweilte Selbstgewissheit seines zukünftigen Mandanten zu untergraben. Wir wohnen einem Machtkampf zwischen dem Liebhaber der Rechtssprechung und dem das Gesetz in die eigenen Hände nehmenden Soldaten bei.

Vorsprechen beim Verteidiger

Preminger ist bemüht, das Gespräch so zu inszenieren, dass Biegler und Manion nicht im selben Bild zu sehen sind. Am Anfang und am Ende der Szene, wo es sich nicht vermeiden lässt, teilen sie sich die Einstellung mit Laura bzw. mit dem Gefängniswärter. In der nächsten Szene ist das Verhältnis ein Stück weit fortgeschritten. Schuss-Gegenschuss-Montagen wechseln sich mit Zweiereinstellungen ab. Biegler nimmt den Platz vor den Steckbriefen ein, als gelte es, den Manion zur Verfügung stehenden Raum weiter einzuschränken. An der Wand hinter Manion hängen Plakate für die Führerscheinprüfung, eines mit Verkehrszeichen und eines mit den Buchstaben für den Sehtest. Aus dem arroganten und feindseligen Manion ist ein verunsicherter Prüfling geworden. Im Dialog wird es nun um das Sehen (auch im Sinne von Verstehen) gehen, um die Frage, wie man die Sichtweise der Geschworenen so beeinflussen kann, dass sie auf Freispruch entscheiden. Bei einer Mordanklage, sagt Biegler, gebe es vier mögliche Verteidigungsstrategien: Es war kein Mord, sondern ein Unfall oder Suizid; der Angeklagte hat es nicht getan (die Perry-Mason-Variante); die Tat geschah im Rahmen der Gesetze, zum Beispiel wegen Selbstverteidigung; die Tat war entschuldbar. In Manions Fall käme nur Strategie 4 in Betracht.

Anatomy of a Murder

Auch wir werden in dieser Szene einem Sehtest unterzogen. Dabei wird deutlich, dass sich hinter der Fassade des einfachen Mannes vom Lande ein ziemlich gewiefter Anwalt verbirgt - kein Rechtsverdreher, sondern ein Virtuose im Umgang mit den Gesetzen. Der Berufssoldat Manion hat für sein Land in Korea gekämpft und den (mutmaßlichen) Vergewaltiger seiner Frau erschossen. Damit, so Bieglers Überlegung, ist er den Geschworenen von vornherein sympathisch. Jetzt muss noch etwas her, das die Tat im Sinne des Gesetzes entschuldbar macht oder, anders formuliert, den Geschworenen eine Entschuldigung dafür liefert, den Angeklagten freizusprechen. So erklärt Biegler Lieutenant Manion den Sachverhalt. Da es aber um die Wahrheit und um nichts als die Wahrheit geht und ein Anwalt seinem Mandanten keine Lügen einimpfen darf, die er vor Gericht erzählen soll, kann Biegler Manion nicht direkt sagen, worauf er sich berufen sollte.

Wie Stewart als Anwalt Biegler nun Manion durch Andeutungen, mimischen Minimalismus und beredte Pausen zu der Stelle führt, wo er ihn haben will, das ist große Schauspielkunst (nicht zu verwechseln mit dem Exhibitionismus, mit dem man Oscars gewinnt). Manion steht am vergitterten Fenster und schaut hinaus in die Freiheit, die er am Ende des Prozesses wiedergewonnen oder für sehr lange Zeit verloren haben wird, als er sich das Hirn zermartert wie ein Schüler, der die richtige Antwort auf die Frage des Lehrers sucht. Zuerst probiert er es mit blinder Wut über die Vergewaltigung. Keine vom Gesetzgeber akzeptierte Entschuldigung, sagt Biegler. Ich war verrückt, bietet Manion fragend an, wie wahnsinnig? Das ist schon wärmer. Biegler verlässt ihn mit der Hausaufgabe, sich zu erinnern, wie wahnsinnig er genau war, als er Barney Quill erschoss.

Anatomy of a Murder

Szene 3 findet in der (erzwungenen) Intimität von Manions Zelle statt. Zunächst überragt Biegler den Lieutenant, weil er die Oberhand gewonnen hat. Manion kann sich inzwischen daran erinnern, dass er sich eigentlich an nichts erinnern kann. Er habe die Schüsse gehört, doch es sei gewesen, als habe ein anderer abgedrückt, und nicht er selbst. Fujiwara schreibt, dass Preminger das wie ein Vorsprechen inszeniert hat. Manion gibt seine Version von der Tat wieder. Biegler beurteilt, ob er die Rolle des Mannes mit den Erinnerungslücken glaubwürdig verkörpern kann. Am Ende von Manions Vorsprechen setzt er sich in einer Zweiereinstellung neben ihn und übernimmt den Fall, weil er Chancen für eine erfolgreiche Darbietung sieht. Beim Prozess werden Biegler und der Staatsanwalt wie zwei Regisseure auftreten, die um die richtige Inszenierung ringen. In Bieglers Interpretation des zur Aufführung gebrachten Stücks fällt Manion die Rolle des Angeklagten zu, der freigesprochen wird.

A humble country lawyer

Für eine erfolgreiche Inszenierung muss noch die Rolle des Experten besetzt werden. Das ist ein Problem, weil die Verteidigung kein Geld hat. Umsonst ist nur der Psychiater der Armee. Manion reist zur Untersuchung in eine andere Stadt, weil sie ein Schritt in die Freiheit ist. Wieder zurück, wird er am Bahnhof von Iron City von seinen Verteidigern erwartet. Der Psychiater, sagt Manion, hat herausgefunden, dass er unter dem Einfluss eines "unwiderstehlichen Impulses" handelte, als er Quill erschoss. Interessanterweise werden wir nie erfahren, wie der Experte zu diesem Ergebnis gelangte. Wichtiger ist sein Name: Dr. Smith. Hoffentlich heißt er Ludwig Smith, meint Parnell selbstironisch, oder besser noch: Ludwig von Smith. Dummerweise heißt er Matthew. Ein Ludwig von Schmidt würde glaubwürdiger auf die Juroren wirken, weil die Psychiater im Hollywoodfilm oft deutsche oder österreichische Namen und den dazu passenden Akzent haben (siehe dazu Dr. Max J. Eggelhoffer in His Girl Friday und Dr. Fritz Lehmans Ausführungen zum Liebesimpuls in Bringing Up Baby). Parnell wird noch mehr Grund zur Enttäuschung haben, wenn er Dr. Smith vom Bahnhof abholt. Der Psychiater in Zivil (eine Uniform wäre besser) ist erst 40 Jahre alt und sieht sogar jünger aus, trägt weder Bart noch Monokel wie von Parnell erhofft, hat aber wenigstens eine Hornbrille mitgebracht. Dr. Smith hat im Gegensatz zum Experten der Anklage tatsächlich mit Manion gesprochen. Dafür entspricht der von der Staatsanwaltschaft zugezogene Dr. W. Gregory Harcourt viel mehr der allgemeinen Vorstellung vom Psychiater (älter, Halbglatze, Brille, Schnauzbart, distinguiert und autoritär wirkend). That’s showbiz.

Anatomy of a Murder

Dr. Smith erläutert im Zeugenstand, was eine "dissoziative Reaktion" ist und zeigt sich überzeugt davon, dass Lieutenant Manion die Tat im Zustand temporärer Unzurechnungsfähigkeit beging. Preminger inszeniert die Aussage so ähnlich wie Hitchcock den Auftritt des Psychiaters in Psycho: er lässt ihn reden. Anwalt Biegler findet die Befragung seines Zeugen durch den Staatsanwalt so spannend, dass er sich lieber mit Maida unterhält, während der Experte sein Fachvokabular zum Besten gibt. "Dissoziative Reaktion" versteht sowieso kaum jemand von den Geschworenen (und im Publikum). Darum kommt es darauf an, die Aussage des Sachverständigen auf einen griffigen Nenner zu bringen. Das hat Bieglers eigene Befragung längst geleistet. Manion, so Dr. Smith, konnte gar nicht anders, als Barney Quill erschießen, weil er unter Schock und unter dem Einfluss eines "unwiderstehlichen Impulses" stand.

"Unwiderstehlicher Impuls": Das ist die rechtliche Entschuldigung, die Biegler den Geschworenen offeriert, um Manion freisprechen zu können, wenn sie das wollen. Natürlich ist der irresistible impulse für ein paar Lacher gut. Daraus hätte man eine Farce mit gerissenen Winkeladvokaten machen können (einmal lässt Biegler Lauras Hund ein Kunststück aufführen, was nur dem Zweck dient, die Sympathien der Geschworenen zu gewinnen). Preminger liegt nichts ferner als das. Das Recht ist nicht in Stein gemeißelt wie die Zehn Gebote, sondern flexibel. Biegler testet diese Flexibilität im Interesse seines Mandanten aus, hat auch erkennbar seine Freude daran, bleibt dabei jedoch stets im Rahmen der bestehenden Gesetze und ihrer Auslegung. Das ist entscheidend. Darum beruft sich die Verteidigung erst auf den unwiderstehlichen Impuls, nachdem Polly und Parnell in den Folianten der Gerichtsbibliothek einen Präzedenzfall gefunden haben, wo der Supreme Court von Michigan dies ausdrücklich zuließ. Am Ende siegt nicht die Partei, die das Recht am geschicktesten verdreht, sondern diejenige, die es am besten kennt.

Anatomy of a Murder

Das amerikanische Recht betont - ganz im Sinne der Filmdramaturgie - die Auseinandersetzung zwischen Anklage und Verteidigung, weil die Staatsanwaltschaft in viel geringerem Maße als bei uns dazu verpflichtet ist, auch entlastendes Material zu würdigen und ergebnisoffen zu ermitteln. Preminger spitzt den Zweikampf noch zu, indem er ihn mit dem Stadt-Land-Konflikt verbindet. Zur Unterstützung seines unbedarften Kollegen Lodwick ist Staatsanwalt Claude Dancer aus Lansing angereist, der Hauptstadt von Michigan. Über die Plädoyers der beiden Kontrahenten werden wir nur erfahren, dass der mit städtisch polierter Cleverness auftretende Dancer brillant war und Biegler sich als einfacher und bescheidener Anwalt vom Lande inszeniert hat wie schon während der Beweisaufnahme. "I loved that humble country lawyer bit", sagt Parnell beim Warten auf den Spruch der Geschworenen vergnügt. "You had Mr. Dancer dancing." Tatsächlich ist die gesamte Verhandlung hoch musikalisch, folgt sie einer fast tänzerisch zu nennenden Choreographie, umrahmt vom Score Duke Ellingtons.

Mr. Smith Goes to Washington

Indem Preminger das Theatralische und den Inszenierungscharakter des Verfahrens betont, zieht er Parallelen zwischen Bühne, Film und Gerichtssaal. Das eine kommentiert das andere. Einen Vorgeschmack erhalten wir in den drei Biegler-Manion-Szenen im Gefängnis. Wie nebenbei wird dort vorgeführt, dass auch der scheinbar so bodenständige, die Werte eines unschuldigen und ländlich geprägten Amerikas repräsentierende Publikumsliebling "Jimmy Stewart" eine höchst artifizielle und intellektuell anspruchsvolle Rolle ist, die sich der Schauspieler James Stewart angeeignet hat, als wäre er mit ihr identisch. Stilbildend war sein Auftritt in Frank Capras Mr. Smith Goes to Washington, wo er sich als der Idealist vom Lande über die korrupte Politikerkaste in der Stadt empört. Preminger war nicht der Mann für einfache Wahrheiten und kein Populist wie Capra. Wenn Biegler sich im Gerichtssaal über die schändlichen Manöver der Gegenseite beklagt wie einst Mr. Smith im Senat, dann weiß man nie genau, ob die Empörung echt ist oder nur gespielt. Der kluge Stewart, dem natürlich bewusst war, dass hier seine Leinwand-Persona entmystifiziert wird, macht bereitwillig dabei mit, begegnet seiner Rolle und seinem Image mit einer fast brechtianischen Distanz. Das ehrt ihn. Der Oscar ging an Charlton Hestons Unterkiefer in Ben Hur.

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