Unternehmensstrafrecht: Auflösung gestrichen, Manager geschont

Grafik: TP

Der neue Referentenentwurf hat aus einem "Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität" ein "Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft" gemacht

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Von den coronakonzentrierten Medien relativ unbeachtet hat das deutsche Bundesjustizministerium einen Referentenentwurf zum Umbau des Unternehmensstrafrechts vorgelegt. Die geplante Rechtslageänderung soll nun nicht mehr (wie noch im ersten Entwurf) "Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität" heißen, sondern "Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft".

Zehn Prozent des Weltumsatzes statt zehn Millionen Euro

In diesem Gesetz enthalten ist - wie in einer russischen Matrjoschka-Puppe - ein "Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten", das mit seiner offiziellen Abkürzung "VerSanG" möglicherweise auch unerwünschte Assoziationen wecken könnte. § 8 dieses VerSanG erhöht die bislang bei zehn Millionen Euro liegende Geldbußenhöchstgrenze für Unternehmen mit einem jährlichen Weltumsatz von mehr als hundert Millionen Euro auf bis zu zehn Prozent dieses Umsatzes.

Das hatten CDU, CSU und SPD bereits in ihrem letzten Koalitionsvertrag vereinbart, in dem auch eine Absenkung der Obergrenze für kleinere Unternehmen in Aussicht gestellt wird, von der im aktuellen Entwurf nichts zu finden ist: "Die geltende Bußgeldobergrenze von bis zu zehn Millionen Euro", heißt es im Koalitionsvertrag zur Begründung der Vorhaben, sei nämlich "für kleinere Unternehmen zu hoch und für große Konzerne zu niedrig".

War das bestrafte Handeln nicht vorsätzlich, sondern fahrlässig, soll sich die Obergrenze dem Referentenentwurf nach allerdings auf fünf Prozent verringern. Hat ein Unternehmen durch Ordnungswidrigkeiten jedoch sein Vermögen gemehrt, kann dieser Zuwachs künftig getrennt vom Bußgeld abgeschöpft werden. Öffentlich bekanntgemacht werden die Strafen aber nur dann, wenn die Zahl der Geschädigten "groß" ist. Was als "groß" gilt, und was nicht, sollen die Richter im Einzelfall entscheiden.

Aktienmarkt und Auflösungsrisiko

Die Möglichkeit der Auflösung eines Unternehmens ist im aktuellen Entwurf nicht mehr enthalten. In den Zehnerjahren hatten sie Juristen und Ökonomen als Reaktion auf die in der Finanzkrise bekannt gewordenen Handlungen und deren Folgen gefordert, um Banken und anderen juristische Personen Anreize für gesetzestreues Verhalten zu geben, weil sich Personen, die für externalisierte Schäden verantwortlich waren, im Gewirr der Entscheidungsprozesse häufig nicht ausfindig machen ließen (vgl. Justizminister debattieren Unternehmensstrafrecht https://www.heise.de/tp/features/Justizminister-debattieren-Unternehmensstrafrecht-3362536.html).

In den USA gab es bereits Mitte des 19. Jahrhunderts eine breite Debatte über diesen Effekt. William M. Gouge postulierte 1845, dass ein Verbrechen, das auf dem Gewissen eines einzelnen Menschen schwer lasten würde, auf viele Schultern verteilt durchaus erträglich wird - und Peter C. Brooks, der reichste Mann Bostons in der Ära Jackson, beschrieb die Möglichkeiten, die das System der juristischen Personen für die Handlungsspielräume brachte, mit einem Vergleich aus William Shakespeares Macbeth:

Where the dishonesty is the work of all the Members, every one can say with Macbeth in the murder of Banquo 'thou canst not say I did it.' (Peter C. Brooks)

Am besten auf den Punkt brachte die Problematik aber ein beliebter Aphorismus unbekannten Ursprungs: "Corporations have neither bodies to be kicked, nor souls to be damned" (vgl. Entscheidung gegen Verantwortungslosigkeit).

Die Möglichkeit der Auflösung eines Unternehmens sollte durch einen potenziellen Schaden für den Aktionär wünschenswertes Verhalten von Unternehmen über den Aktienmarkt regeln: Anteile an Firmen mit schädlichen Praktiken und einem dadurch hohen Auflösungsrisiko sollten potenziell weniger Käufer finden, ihre Kurse sollten sinken (vgl. Siemens und die Multation). Ob bloße Bußgelder Aktionären ausreichend Anreize bieten, um ihren indirekten Einfluss entsprechend geltend zu machen, wird sich zeigen.

Neben der Möglichkeit der Unternehmensauflösung fehlen im neuen Entwurf auch Sanktionen für jene Manager, deren Externalisierung von Schäden zum eigenen Vorteil das deutsche Strafrecht nicht erfasst, wie unter anderem Gabor Steingart bemängelt. Er sieht beim Ahnden individuell zurechenbaren Verhaltens im internationalen Vergleich noch viel Potenzial: "In den USA", so der Podcaster, "muss der im Dieselskandal angeklagte ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn mit sofortiger Inhaftierung rechnen, weshalb er Deutschland nicht mehr verlässt. Hierzulande ist er sicher: Es gibt nicht mal eine Anklageschrift."